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Kritik

„daß ich nicht dichte sondern das alles lebe“

Christine Lavants Gedichte aus dem Nachlass sind erschienen
Hamburg

Christine Lavant, ein „von allen guten Geistern mißbrauchter Mensch“, wie Thomas Bernhard in  seiner Auswahl ihrer Gedichte kommentierte, wird seit 2014 eine Werkausgabe im Wallstein-Verlag zuteil. Deren dritter Band, die Gedichte aus dem Nachlass, liegt nun vor und hat es bereits auf die Liste der „Lyrik-Empfehlungen 2017“ geschafft. Einige Zahlen vorweg: Nur ein Drittel ihres lyrischen Werks ist zu Lavants Lebzeiten veröffentlicht worden. Die rund 1. 500 weiteren Gedichte wurden von der Germanistin Doris Moser und dem letztes Jahr verstorbenen Schriftsteller Fabjan Hafner für die Werkausgabe gesichtet: Als Resultat liegt nun ein fast 500 Gedichte umfassender Band vor. Er wird ergänzt durch einen editorischen Kommentar, der biographische Hintergründe liefert, wozu Ausschnitte zahlreicher Briefe genutzt werden sowie ein Nachwort von Doris Moser, in dem sie unter anderem auf die recht unterschiedliche Rezeption von Lavants Werk eingeht. Trotz des beachtlichen Umfangs handelt es sich also um keine historisch-kritische Ausgabe, was philologische Einschränkungen mit sich bringt: Zu fragmentarische Gedichte sind in diesem Band nicht enthalten, Zusammenhänge zwischen Lyrik und Prosa können nicht erläutert werden, wie die Herausgeber selbst anmerken.

Der Band gliedert sich in vier größere Abschnitte: Er umfasst eine Auswahl aus dem Nachlass Christine Lavants, der vom Robert-Musil Institut betreut wird, eine aus der Sammlung Werner Berg, dem langjährigen Künstlerfreund und Geliebten Lavants, und Gedichte aus kleineren Sammlungen wichtiger Weggefährten der Dichterin, die sie aus Dankbarkeit und Zuneigung mit Gedichten beschenkte. Der Band eröffnet jedoch mit etwas Vollständigem, etwas, das für eine größere Öffentlichkeit bestimmt war: dem ersten, unveröffentlichten Gedichtband Die Nacht an den Tag. „Ich kann den Schund nimmer anschauen.“, kommentierte Lavant später ihr lyrisches Frühwerk. Fernab Kärntens, im Stuttgarter Brentano-Verlag, wurden ihre ersten drei Bücher publiziert. Die Nacht an den Tag  erreichte aber nie den Buchhandel, da Verleger Viktor Kubczak den Band zwar setzen ließ, aber den Druck nicht finanzieren und keine Subventionen auftreiben konnte. Da half auch kein „dickköpfiger Optimismus“, den Lavant in einem Brief dem Verleger als Begabung anrechnete. Später erschien Lavants Werk vor allem beim Otto-Müller-Verlag in Salzburg.

Die umfangreichste Sammlung an Gedichten findet sich – abgesehen vom Lavant-Nachlass selbst– bei dem Maler Werner Berg. Berg war, als Lavant 1950 und er sich kennenlernten, seit 20 Jahren verheiratet und hatte fünf Kinder, Lavant, deren Kinderwunsch sich nie erfüllte, seit 11 Jahren mit dem Maler Josef Habernig verheiratet. Sie schickte ihm ihre Gedichte, „damit sie einen Ort haben“. Es entstanden Porträts, Lavant besuchte Berg und seine Familie auf dessen Bauernhof, aber Berg verlässt seine Familie für Lavant nicht. Wütend schreibt sie ihm in einem Brief: „Frau bleibt Frau auch wenn sie in einer Dichtertoga herumläuft.“ Später unternahm der Maler einen Suizidversuch, zuletzt sandten die beiden einander noch Weihnachtsgrüße.

Leidenschaft und Sprachgewalt sind zwei abgenutzte Begriffe, in denen aber die Ungeschiedenheit von Kunst und Leben, die von Ausdruck, Anschauung und Reflexion noch anklingt. Diese Qualitäten zeigen sich in vielen Gedichten der Lavant an Berg:

„Wenn sich in deinen so geliebten Augen
am frühen Morgen Sonnenaufgang spiegelt,
denkst du dann nie, dass jeder neue Tag
schon wie ein Höllenjahr mich überkommt?

Und dass ich schreien möchte, um der Vögel
zärtliches Rufen in dem Apfellaub
nicht mehr zu hören, dass mein dürrer Mund
mit fremder Stimme meinen Leib verflucht.

Um dann auf einmal wieder umzuschlagen
in das Gewinsel einer Kreatur,
die sich verworfen weiß und dennoch hofft
und Christus ruft und den Geliebten meint.“

Dass das Christentum Ausgangspunkt und Begleiter der Lyrik Lavants ist, kann man nicht bestreiten. Ludwig von Ficker, Lavants Mentor und einflussreicher Literaturvermittler, nannte die Gedichte „Lästergebete“. Immer schon war es aber eine illegitime Vereinfachung, Lavant als katholische Dichterin sauber in eine Schublade einzuordnen. Auch im Nachlass finden sich Gedichte, die man einem frommen Publikum kaum zumuten kann – und wohl auch deshalb nie vom Verlag in einen Band aufgenommen wurden: Gedichte, die mit blasphemischem Zorn jeder versuchten religiösen Vereinnahmung der Dichtung ihre Plausibilität entzieht:

„Was nützt schon Toten das Sanftmütigsein
es wird ihnen sicher auch weggenommen
beim trostlosen Absterben. Amen.“

Dieses „Lästergebet“ lästert über das Beten selbst, äfft „das Gespräch mit Gott“ regelrecht nach, „trostloses Absterben“ und „Erlösung“ haben nichts gemein. Noch schärfer geht sie mit dem Christentum in einem anderen Gedicht ins Gericht und attackiert den Glauben, das Glauben und die Erzählung in der heiligen Schrift selbst:

„Wir sind arm und durch und durch versteint
mit Notfrucht können wir uns nur beschenken
auch wenn wir innen vor Erbarmen brennen;
was hilft mir es dass einst ein Menschensohn
als Brot sich anbot – welch verrückte Sage.“

Auch für  Lavant ungewohnte Formen waren in diesem Nachlass verborgen, etwa eine Miniatur über einen gelben Autobus oder Prosagedichte über den Ruf der Mutter.

Selbstverständlich finden sich hier und da auch misslungene Metaphern, beispielsweise in Liebesgedichten an Berg, die für das Begehren keine überzeugenden Worte finden. Im Frühwerk sind einige Verse durchaus noch frömmelnd. Aber das ändert nichts an der Wichtigkeit dieses Buchs, den vielen großen Gedichten, die sich hier finden lassen. Nicht nur angehende Lavant-Philologen sollten sich deshalb der Gedichte aus dem Nachlass annehmen.

Christine Lavant · Doris Moser (Hg.) · Fabjan Hafner (Hg.) · Brigitte Strasser (Hg.)
Gedichte aus dem Nachlass
Reihe: Christine Lavant: Werke in vier Bänden (i. A. des Robert-Musil-Instituts der Universität Klagenfurt und der Hans Schmid Privatstiftung hg. von Klaus Amann und Doris Moser); Bd. 3
Wallstein Verlag
2017 · 654 Seiten · 38,80 Euro
ISBN:
978-3-8353-1393-4

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