Aus der Zeit, als das Dichten noch geholfen hat
Es gab Zeiten im letzten Jahrhundert – lang, lang ist’s her -, in denen Gedichte nicht nur geschrieben, sondern auch gelesen und tatsächlich auch verkauft wurden. In diesen Zeiten gab es einen Erich Fried, dessen Liebesgedichte in einem kleinen Berliner Verlag erschienen waren, der sich der antiautoritären Revolte verschrieben hatte, aber aus dieser Szene heraus wohl einer der erfolgreichsten Lyrikbände der Nachkriegszeit wurde, Auflage über 200.000. Und es gab Friedrich Christian Delius, der den Älteren noch eher unter dem Kürzel F. C. Delius bekannt geworden ist.
Delius gehörte wie Fried zu dieser Szene, die sich in den 1960ern mit einer politisierten Literatur, zu der auch die Lyrik gehörte, als Nabel der Welt gerierte und alles neu erfinden wollte, unter anderem eine gerechte Gesellschaftsordnung. Delius‘ Verlag war erst der 1964 noch rechtzeitig gegründete Wagenbach Verlag, später dann dessen radikalere Ausgründung Rotbuch, dessen rotgeränderte Bücher in jede gute revolutionäre Wohngemeinschaft gehörte und deren Leben gehörig mitprägte mit Titeln zwischen „Wie man gegen Polizei und Justiz die Nerven behält“ und „Weihnacht ist und Wotan reitet“.
Bei Wagenbach und Rotbuch erschienen Delius-Gedichtbände wie „Kerbholz“ (1965), „Wenn wir, bei Rot“ (1969), „Ein Bankier auf der Flucht“ (1975) – allein der Titel ist großartig – und „Die unsichtbaren Blitze“ (1981), bevor dann eine lange Pause eintrat, die erst mit Erscheinen der Tanka-Gedichte 1989 unterbrochen wurde, die schon von Rowohlt publiziert wurden, der in den 1980ern der neue Hausverlag von Delius wurde.
Zwar veröffentlichte Delius 1993 noch einen Auswahlband mit Gedichten, aber eigentlich war sein lyrisches Werk damit abgeschlossen. Delius ist ein nicht übermäßig produktiver Lyriker, wenngleich sein sonstiges Werk recht umfangreich und vielfältig ist.
Fünf Lyrikbände in knapp 25 Jahren – das spricht dafür, dass sich der Autor für seine Gedichte Zeit lässt, was in einem derart konzentrierten Genre als vorteilhaft gilt. Und das alles ist auch noch 25 Jahre her. Delius als Lyriker ist ein Phänomen der alten Bundesrepublik. Sein Werk geht freilich über das Jahr 1989 hinaus: Romane zum Deutsche Herbst und die alternative Siemens-Festschrift gehören dazu, eine Verteidigung der Gemüseesser und – seit einigen Jahren bevorzugt – Langerzählungen in Buchform, die ihre Themen aus dem persönlichen Erinnerungsreservoir Delius‘ und aus dem kollektiven Gedächtnis nehmen: von den „Birnen von Ribbeck“ bis zum „Jahr“ in dem er „Weltmeister“ wurde. Erst seinen politischen Romanen um den Deutschen Herbst, dann seinen Erzählungen, mit denen er höchst erfolgreich bundesdeutsche Nachkriegsalltagsgeschichte aufarbeitete.
Dabei wurde der Lyriker Delius durchaus wahrgenommen. Seine Lyrikbände hatten zwar nur kleine Auflagen, aber ihr Autor hat es sogar ins populäre Liedgut geschafft – Rainer Kunze nennt seinen Namen in einem seiner erfolgreicheren Songs.
Nun hat der Rowohlt-Verlag eine neue Auswahl aus dem lyrischen Werk Delius‘ publiziert, in dem man auf rd. 250 Seiten einen Überblick über sein einschlägiges Schaffen erhält. Und es lohnt sich, auch wenn die Gedichte aus ihren alten Zusammenhängen gelöst, ohne die alten Kapitelzuordnungen und etwa die Collagen von Arwed D. Gorella bei „Wenn wir, bei Rot“ ein wenig in der Luft hängen.
Dass Delius eine Vorliebe für den lakonischen Ton hat, ist bereits seinem frühen Werk abzulesen und nicht erst den Tanka-Gedichten, die – genrespezifisch – mit nur wenigen Zeilen auszukommen haben. Die strenge Form der Tankas, denen Delius einige beschreibende Bemerkungen im Anhang der kleinen Sammlung beifügt, zwingt den Autor zur Konzentration, zur Verdichtung von Sprache und Disziplin in der Bildlichkeit. Seine Tanka wirken freilich eher skizzenhaft.
Daneben finden sich allerdings gerade im Frühwerk auch Variationen Pathetischen, was sich etwa in „Hymne“ erkennen lässt, einem frühen Text, in dem er sein Verhältnis zu Deutschland reflektiert, das – wenn wundert’s – einigermaßen gestört ist: „Ich habe Angst vor die, Deutschland, / Wort, den Vätern erfunden, nicht uns“. Politisch ist er in beiden Schreibweisen, wobei das Angst-Pathos noch am ehesten Patina zu erkennen gibt.
Im frühen Werk scheint Delius, der anders als Ingeborg Bachmann und Hans Magnus Enzensberger, die die politische Lyrik im Zeitraum vor Delius repräsentierten, eben nicht von Brecht geprägt zu sein, sondern sich erproben zu wollen. Seine Neigung aber eben auch Fähigkeit, im Gedicht verschiedene Stillagen und Techniken zu erproben, begründet die Vielfalt seines lyrischen Werks – was zu seinem Vor- wie Nachteil ausgelegt werden kann, als Beliebigkeit oder Wandlungsfähigkeit. Letzteres gefällt besser.
Seine Distanz zu Brecht und Bachmann führt in stattdessen zu Rolf Dieter Brinkmann, der im „Verlegenheitsgedicht“ stilistischer Pate gewesen zu sein scheint: „so muss man ein Gedicht schreiben, / ich sehe, anfangen einfach so und dann / aufzählen, was alles ich sehe“.
Aber damit fass man diesen Delius eben nicht vollständig. In den dezidiert politischen Gedichten wird erkennbar, weshalb er in den späten 1960er und in den 1970er Jahren ein breit wahrgenommener Lyriker war: In „Wir stinken ein bisschen“ nimmt er die Vorwürfe gegen die Sponti-Szene auf, die als von Ulbricht ausgehalten galt: „wir geben ihnen recht: / Räumen am Mittag das Laken, / wickeln Dich in eine rote Fahne, / lassen mir die Haare wachsen, / fahren im Auto zu Ulbricht Lohn holen“.
In der „Moritat aus Helmut Hortens Angst und Ende“ lässt er den Kaufhauskönig aus Angst zugrunde gehen, was freilich nur guter Traum ist – „Nicht immer endet der Kapitalist /so einfach, idyllisch, ohne Kampf; ohne List“: das darf sich dann auch reimen, als Moritat.
„Ein Bankier auf der Flucht“ könnte aktueller kaum sein: „Ganz sicher, er war es. Vor kurzem noch im Fernsehn, / jetzt sehn wir ihn im Schwarzwald zu Fuß / und abgehetzt, Dreck an den Schuhn, sehn ihn allein / mit einem Koffer, Richtung Süden, kein Gespenst.“
Ja, das hat damals gezündet, und heute? Das waren noch Zeiten, in denen uns die Gedichte geholten haben, die Welt zu erklären. Ob sie besser waren oder schlechter? Was interessiert es?
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