Der Roggen glänzte wie kostbarer Marderpelz
Iwan Bunin (1870-1953), der 1933 als erster russischer Schriftsteller den Nobelpreis für Literatur erhalten hatte, war 1953 krank und verarmt in Paris gestorben. In der Sowjetunion wurden seine Bücher erst in der „Tauwetter“-Periode nach dem XX. Parteitag der KPdSU wieder veröffentlicht worden. Bunin hatte bereits als junger Mann im zaristischen Russland die Politisierung in den Literaturzirkeln verabscheut. Die Russische Oktoberrevolution beobachtete er als Augenzeuge mit leidenschaftlichem Argwohn. Seine Eindrücke der wirren Jahre 1918-20 hatte er in einem heute noch durch seine Klarsichtigkeit beeindruckenden “Revolutionstagebuch” aufgezeichnet. Fassungslos beschrieb Bunin den fanatischen Willen der Bolschewisten, alles Überkommene zu zerstören. 1920 war Bunin schließlich in das französische Exil geflohen.
Die Erzählungen, die im vorliegenden Band „Gespräch mit der Nacht“ gesammelt sind, belegen, daß er sich bereits in seinem frühen Werk der Beschreibung von Schattenseiten seiner russischen Heimat zugewendet hatte. Anhand scheinbar unwesentlicher Gesten beobachtet Bunin einen unaufhaltsamen Niedergang und Verfall der ländlichen Welt. Wie in einem Speicher beinhalten die vorliegenden acht Erzählungen aus dem Jahr 1911 Erinnerungen an dieses verlorene Land. Dem Leser begegnen Bilder von kauzigen Eigenbrötlern und ihrem ungeschönten Leben auf den verarmten Dörfern aber auch schüchterne Gefühle von Charakteren, die ihren Weg noch nicht gefunden haben. In der Titelerzählung „Gespräch in der Nacht“ lauscht ein Gymnasiast, der als Sohn der Herrschaft das Landleben kennenlernen will, atemlos den skurrilen Berichten seiner Gefährten. Nach harter Tagesarbeit auf dem Feld ruhen sie im Freien und plaudern vor dem Schlaf. Da ist von einer jämmerlich krepierten Ziege die Rede und einer dieser Gesellen überrascht die Kameraden mit seiner Beichte, daß er bereits einen Menschen auf seinem Gewissen habe. Wie schnell doch so ein Menschenleben zu erlöschen vermag. Umgeben von verschwitzten Fellen, stinkenden Fußlappen und beißenden Hundeflöhen erlebt der Gymnasiast eine vollkommen andere Welt. In stummer Ernüchterung setzt sich der Gymnasiast unversehens ab „und ging mit gebeugtem Rücken rasch auf den dunklen, rauschenden Garten zu, nach Hause. Auch die drei Hunde erhoben sich und liefen als weiß schimmernde Schatten seitwärts hinter ihm her, die Rute steil nach oben gebogen“. Mit diesen dürren Worten endet die Erzählung und spricht in ihrem ganz und gar unspektakulären Ende ganze Bände!
Bunin stammte aus altehrwürdigem Hause, dennoch war seine Kindheit nicht von jener kulturellen Überspanntheit geprägt, die das adelige Leben in der Metropole kennzeichnete. Bunin wuchs vielmehr in der typischen Monotonie der russischen Provinz auf. Sein ganzes Leben lang hatte Bunin sich nach dieser verlorenen Welt zurückgesehnt und war sich zugleich vollkommen darüber im Klaren, daß das dörfliche Russland seiner Kindheit und Jugend unwiederbringlich verloren waren.
Dabei hing Bunin keinen idyllischen Illusionen an. Die zeitlose Kraft in seinen Erzählungen rührt neben seiner ausdrucksstarken Sprache auch daher, daß er Bilder, Sujets und Motive aus einer ungeschönten Wirklichkeit geschöpft hat. Ein beinahe selbstverständliches Nebeneinander von Leben und Tod, Freude und Elend sorgt in Bunins Prosa für eine innere Dynamik. Dieses Ineinandergreifen von Vitalität und einer existentialistischen Grundstimmung läßt sich exemplarisch an der Erzählung „Der fröhliche Hof“ nachweisen. Anissja, die alte Mutter des Ofensetzers Jegor Minajew, war vor Hunger geradezu ausgemergelt. Zudem war ihr das linke Auge ausgelaufen, weil ein Hahn es ausgepickt hatte. Verarmt war auch ihr Sohn Jegor, der im Gegensatz zu seiner Mutter ein Nichtsnutz und Trinker war, der es liebte, mit Anekdoten aufzuschneiden. Zugleich wird die dörfliche Umgebung voll anteilnehmender Aufmerksamkeit beschrieben: „Der Roggen stand dicht und hoch, er wogte, kräuselte sich und glänzte wie kostbarer Marderpelz; nur hier und da leuchteten dunkelblaue Kornblumen darin.“ Doch die Erzählung endet im Fiasko. Nach dem einsamen Tod durch Entkräftung der Mutter trinkt Jegor mehr, wie je zuvor. Und während die Mutter noch einsam auf einer Holzbank unter Heiligenbildchen entschläft, erleidet Jegor als verschmutztes und blutdurchtränktes Bündel im Staub einen elenden Tod. Er hatte sich vor eine Eisenbahn geworfen…
Ausdrücklich hervorzuheben ist die hervorragende und sorgfältige Übersetzung von Dorothea Trottenberg. Die Bunin-Werkausgabe nimmt indessen Gestalt an. Mit „Gespräch in der Nacht“ ist inzwischen der sechste Band erschienen, von denen freilich jede Ausgabe für sich steht. Neben einem sorgfältigen Anmerkungsapparat sowie einem Porträtfoto Bunins komplettiert das kundige Nachwort des Konstanzer Slavisten Thomas Grob diese bislang im deutschen Sprachraum zu Unrecht übersehenen Meisterwerke.
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