„Maulwürfe im Felde der Natur”
Es ist eines der Bücher, deren Titel jeder kennt, das Topos wurde, Versatzstück des Pop1 – und das doch nicht allzu fleißig gelesen worden sein dürfte: La Mettries L’homme machine. Es tatsächlich einer Lektüre zu unterziehen, das lohnt noch immer.
La Mettrie war das Schreckgespenst braver Reaktionärer seiner Zeit und selbst den Aufklärern als enfant terrible nicht geheuer: Selbst als Mitglied der Preußischen Akademie der Wissenschaften, als das er theoretisch völlig frei publizieren hätte können, erlebte er Zensur und mußte sich als Hofnarr inszenieren, um nicht zu erleben, wie theoretisch genau man die Toleranz hochhielt... Man würde dabei indes diesem Denker Unrecht tun, würde man ihn als pathologischen Provokateur verstehen, oder als Vertreter einer mechanistischen Darstellung; schreibt Marx, jener sei „Antimetaphysiker [...], nämlich Physiker”, so ist das seine Metaphysik, wie man bald sieht, und keine der Vereinfachung, wie es der vulgäre Materialismus ist, von dem Adorno schreibt: „Nicht daß der Kaugummi der Metaphysik schadet, sondern daß er im Gegenteil selbst Metaphysik ist, gilt es klarzumachen.”
Dieser Denker schreibt souverän und gerade im Gegenteil von einem Materialismus getrieben, der das, was sonst Behauptung oder Dogma wäre, neu – besser – würdigen will. Wie hier gerade der Dualismus zergliedert wird, Leibniz’ Philosophie nebenbei als Vergeistigung der Materie eher denn („plutôt” – nicht „statt”, wie Lange schreibt) Materialisierung der Seele darstellt, zu Auswüchsen der Spekulation wie dem Vampir einiges bemerkt, das ist quasi Präludium.
Vor allem wird doch dargelegt, daß der Körper und seine Kenntnis ein wesentlicher Schlüssel zur Philosophie, zur Seele sind (umgekehrt empfiehlt sich bekanntlich, sich zur Materie jedenfalls auch bei Idealisten zu erkundigen), die Seelenzustände in Wechselbeziehung – „corrélatifs” – zu Somatischem; das ist noch immer lesenswert dargelegt, gerade auch wegen der Undifferenziertheit, die der Wissensstand gestattet und die hier zugleich paradox für klare Begrifflichkeiten zu sorgen scheint.
Sie selbst ist für La Mettrie Anstoß und Ärgernis, Projekt und Ahnung, es nicht vollenden zu können, wiewohl es um eine „harmonie” gehe, wie er vorsichtig – mit Kursivierung nämlich – schreibt. Allein die Diversifikation der Kenntnisse indes treibt ihn, noch seien selbst Wildheit oder Schwachsinn erklärbar, so schreibt er zur Gehirnphysiologie, und noch viel weniger „la variété de tous les Esprits” – was also läge näher, als statt sich Spekulationen hinzugeben, genauer hinzusehen: „Ne nornons point les ressources de la Nature”, so lautet seine Parole, den unendlichen Reichtümern der Natur sollen keine Grenzen gezogen werden, indem man, was man nicht sieht, sich viel zu klein erfindet. Noch der Mensch als Tier ohne sprunghafte oder gar gewaltsame („violente”) Art des Übergangs („transition”) von diesem verstehe sich so, sei so von einer Würde, die Fiktionen von Gott und Seele nicht eignen mag.
Hier wird der Atheist und Häretiker zum Prediger, Lange schreibt vom „ununterbrochenen Strom der Rede”, womit der Autor „ebenso sehr zu überreden, als zu beweisen” versuche. Bloß ist eben nicht leicht zu sagen, worauf er ziele, fast scheint es, als sei seine Suada doch eben Lob, und zwar eines Numinosen, das nicht beschworen, sondern wahrgenommen werden soll: Die Wahrheit bestehe – und gerade sie, unvergänglich nicht gerade, sondern sogar da, wo ihre Vertreter ihre Märtyrer werden. Einsicht (oder: ihre „momens [...] de réfléxion”), das zerreiße Barbarei, nicht Glaube. Die Vernunft ist, was Gott gewesen sein mag; und sie ist materialistisch, sie kommt ohne leere Begriffe wie jenen der Seele aus. So wird aus der Darlegung der Vernunft eine furiose Rede, die unstimmig und anrührend endet: „Dispute à présent qui voudra!” Seine Wahrheit ist gesagt, man möge, wenn man will, darüber streiten – eine seinerzeit uneindeutige Geste, die aber vorwegnimmt, daß nur, wo Kriterien einer Falsifikation vorliegen, wo diskursanalytisch für klare Begriffe und eben die Möglichkeit des Einwandes gesorgt ist, sich etwas anderes als Aberglaube konkretisiere.
Man sieht: viel Gegenwärtiges – hier wunderbar übersetzt und ediert. Jener Wunderling, der mögliche Verbündete fast systematisch brüskierte und in der Folge totgeschwiegen und/oder plagiiert wurde und noch von Lange, der ihn gleichsam wiederentdeckte, aufgrund von „frivolem Behagen” und der „absichtlichen Frechheit” wenig Gegenliebe erfuhr, bleibt eine Herausforderung – man nehme sie an..!
Fixpoetry 2014
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben