Philologie als Rettung: Roland Reuß
Literatur, so Roland Reuß in seinem schmalen, aber ungemein gewichtigen Essay »Wo aber Gefahr ist, wächst/ Das Rettende auch […]« (... Friedrich Hölderlin, natürlich, dessen Edition ja nicht zu den einfachsten Herausgaben zählt...), vermag es, irreduzible semantische Ereignisse zu schaffen, darin etwa „die syntaktischen Bezüge umzugruppieren” – doch ist sie auch irreduzibel, sie ist auch fragil, was an ihr eigentlich irreduzibel ist, ist immer gefährdet durch Deutungskartelle und „externe[r] Vernutzung”.
Daß man, indem man der Intention eines Textes und vielleicht seines (nicht selten verstorbenen) Dichters dient, sich eher Feinde macht, ist hierin begründet – und wurde schon von Lessing gesehen, den Reuß darum auch sozusagen zum Zeugen aufruft, der von seinem Band und der Behandlung deutscher Schriftsteller darin schrieb:
„Die wenigen Abhandlungen desselben, sind alle, Rettungen, überschrieben. Und wen glaubt man wohl, daß ich darinne gerettet habe? Lauter verstorbne Männer, die mir es nicht danken können. Und gegen wen? Fast gegen lauter Lebendige, die mir vielleicht ein sauer Gesichte dafür machen werden. Wenn das klug ist, so weiß ich nicht, was unbesonnen sein soll. – –”
Heute hat der Philologe nicht nur die Beliebigkeit und die Intentionen Einvernahmender zum Feind, sondern ferner die Illusion, der Text sei ersetzbar, und zwar materiell – doch der Philologe sollte es, so Reuß, besser wissen, die Unersetzlichkeit und das Prekäre eben dessen betreffend, etwa bei Kafka, der „ein für allemal gerettet” nicht ist, solange der Textzeuge von der Edition differiert, während bei ihm leicht „jedes Umblättern Materialität der Schrift vernichtete”…
Von da gelangt Reuß zu der Obszönität, daß mitunter Digitalisierung, die nicht zureichenden Ersatz schafft, mit der Vernichtung der Schriften einhergeht, die ja nun anders und besser zugänglich seien – was sie nicht sind; und da ist von der Möglichkeit der Manipulation noch nichts gesagt, auf die Reuß auch hinweist.
Reuß’ Arbeit – Philologie, wie die Literatur, sozusagen, sie sich wünschte.
Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben