Der lustigste Roman des Jahres?
Nun, ich gestehe: Wenn ich mit einem Buch nicht so recht zurande komme, spicke ich in die Kritiken der Kollegen. Gerne in die der „Großen“ des Fachs. Ich beginne mit Robbie Millen (The Times): „Fließsand ist der lustigste Roman, den ich in den letzten 12 Monaten gelesen habe, und der Schluss geht einem wirklich und ehrlich zu Herzen“. Die Australian Book Review jubelt: „Fließsand hat mehr Humor als die gesamte Jahresproduktion der australischen Literatur zusammengenommen.“
Ja, Toltz Roman ist über viele Seiten hinweg lustig. Und ja: Steven Toltz kann witzig und pointiert schreiben. Er weiß einen Plot zu setzen und versteht sein Handwerk. Aber dennoch: Ich habe das Buch nicht als lustig gelesen. Vor allem nicht als das „lustigste“ des vergangenen Jahres. Zu oft blieb mir das Lachen im Halse stecken und ich verstört zurück.
Immerhin: Ein Roman muss nicht von der ersten bis zur letzten Seite (in diesem Fall immerhin 525) lustig sein.
In Fließsand, seinem zweiten Roman, entwirft Steve Toltz zwei Protagonisten, die als durchaus authentische Typen durchgehen können. Liam Wilder ist alles andere als ein Erfolgsmensch: Er versucht sich als Schriftsteller, wird von seiner Frau verlassen, die einzigen beiden Konstanten in seinem Leben sind sein Brotberuf als Polizist und sein bester Freund Aldo Benjamin. Aldo Benjamin ist bekennender Totalversager. Beide zusammen sind prädestiniert dafür, Eine todsichere Anleitung zum Scheitern (so der Untertitel des Romans) zu geben. Aldo Benjamin als lebendes Beispiel und Liam Wilder als treuer Chronist.
Sein bester Freund Max Brod soll einst Franz Kafka gefragt haben: „Gibt es denn keine Hoffnung?“ „Doch“, soll Kafka geantwortet haben, „es gibt unendlich viel Hoffnung. Aber nicht für uns.“ Was für Kafka und Brod gelten mochte, ist für Liam und Aldo programmatisch. Toltz stellt Kafkas Satz dem ersten Teil des Romans voran, in dem Liam Wilder sein und Aldo Benjamins Leben erzählt. Das alles, vor allem für Aldo, nicht gut ausgehen wird, ist von der ersten Seite an klar: Er hockt „zusammengesackt in seinem sperrigen Elektrorollstuhl“, als widerwillige Muse in einer Bar mit seinem Freund Liam. Aldo wurde gerade aus dem Gefängnis entlassen, Liam ist im Begriff ein Buch über Aldos Leben zu schreiben.
Die Frage nach der Witzigkeit des Lebens stellt sich gleich zu Beginn: „Komm schon, Aldo. Wo ist dein Sinn für Humor geblieben?“ Rollstuhl, Speichel, Knast: Man ahnt, dass Aldos „irrwitziger Komikfaktor“ irgendwo auf der Strecke geblieben ist. All das gibt dem Buch, so meine persönliche Lektüre, von der ersten Seite an eine Bitterkeit, die sich bei allem Witz (und Irrwitz) nicht versüßen lässt.
Toltz erzählerischer Kniff, den Leser am Entstehen des Buchs von der ersten Stunde an teilhaben zu lassen, macht den Roman authentisch, die Figuren glaubhaft. Kein anonymer Erzähler, sondern Liam, der beste Freund, verbürgt sich für die Wahrhaftigkeit des Geschehens. Mitgeliefert bekommt der Leser auch Liams poetologischen Background in Gestalt von „Innen Künstler, außen Künstler“, dem kunsttheoretischen Manifest des gemeinsamen Kunstlehrers von Liam und Aldo; einem Sammelsurium von Ratschlägen wie „schreibe, was dich kennt … um den Sinn deiner Nutzlosigkeit zu entdecken“. Seine literarischen Versuche entwickelt Liam entlang dieses Wustes von Unterweisungen. Aldo perfektioniert sein Scheitern vor dem Hintergrund von Erfolgsratgebern à la „Es gehört dir – greif zu“ und „Gemeinsam an die Spitze“ und setzt klaglos eine von vornherein zum Scheitern verurteilte Geschäftsidee nach der anderen in den Sand. Eine ständig wachsende Schar geprellter Geldgeber steckt diese Misserfolge weniger nonchalant weg.
Als Polizist ist es immer wieder Liam, der seinen Freund aus größeren und kleineren Fettnäpfen herausholen muss: Der beste Freund und Erzähler ist zunehmend genervt von Aldos endloser Pechsträhne. Mir als Leserin geht es nicht anders: Die Schilderung der endlosen Missgeschicke ist kaum erträglich. „Mensch Aldo …“, möchte man rufen, „sieh wie Du tust, aber lass mich endlich in Ruhe.“ Steve Toltzs Konzept von der Erfindung eines bis zum Anschlag enervierten Erzählers geht auf: Weder gelingt es dem Erzähler das „Projekt Aldo“ ad acta zu legen, noch bringt es der Leser übers Herz das Buch einfach zuzuklappen. Wie Liam fühlt man sich irgendwie hineingezogen in Aldos höchstpersönlichen Abwärtsstrudel, kann und möchte ihn nicht alleine und im Stich lassen.
Zur Buchmitte hin lässt Toltz Aldo Benjamin persönlich zu Wort kommen. Aldo steht vor Gericht. Der Vorwurf: Mord und Vergewaltigung. Sein Plädoyer, das er persönlich im Gerichtssaal vorträgt, umfasst gut 200 Buchseiten. Aldo genützt die Gelegenheit alles loszuwerden. Jedes Detail. Jede Petitesse. Jede seiner skurrilen Theorien (zum Beispiel jene, dass er an „Unsterblichkeit erkrankt“ ist). Richter und Geschworene müssen sich Aldos Ausführungen in all ihrer quälenden Epik anhören. Aufforderungen, endlich auf den Punkt zu kommen, pariert Aldo mit Gelassenheit. Er lässt sich nicht aus seinem Konzept bringen. Fordert Geduld von allen, die über ihn urteilen sollen; auch vom Leser. Kurz bevor der Geduldsfaden zu reißen beginnt, wartet Aldo mit neuen Volten und Kuriositäten auf; Leser, Richter und Geschworene können nicht anders: Sie bleiben bis ans Ende von Aldos Ausführungen am Ball.
Zum Ende des Romans übernimmt wieder Liam den Erzählfaden, heftig von seinem Protagonisten kritisiert: „Menschenskind Liam. Für einen Schriftsteller hast Du verdammt wenig Fantasie. (…) Schon klar – diese Langeweile könnte sich in den zwanzig Jahren entwickelt haben, in denen du krampfhaft versucht hast, dir einen Plot auszudenken, der auch funktioniert.“
Witz und Langeweile, Humor und körperliche Qualen liegen bei Steve Toltz dicht beieinander. Treibsand hat Längen, sie gehören jedoch zum erzählerischen Konzept. In Liams Sprache hört sich das so an: „Romanhandlungen interessieren mich nicht.“ Toltz fordert Geduld von seinem Leser: Geduld für den armen Aldo und Geduld mit dem Erzähler Liam. Bringt man beides auf, ist Treibsand ein lesenswertes Buch. Aber nicht das lustigste des Jahres.
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