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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Bedrückende Stimmung im Sonettenkranz und schlafende Hunde

Der im März 2009 erschienene Lyrikband von Thomas Rackwitz mit dem Titel "in halle schläft der hund beim pinkeln ein" (Kleinschreibung des Originals beibehalten) enthält 22 Gedichte, von denen die ersten 15 zu einem Sonettenkranz zusammengeschlossen sind. Dieser bildet den Kern des 28-seitigen Bändchens im A-5-Format, wie schon die Parallelität zwischen seinem Titel und dem des gesamten Buches vermuten läßt.

Wenn ein Lyriker sich heutzutage noch die Mühe macht, etwas so "Klassisches" wie einen Sonettenkranz zu schaffen - weitere vier Gedichte des Bandes sind ebenfalls Sonette -, sagt das einiges über ihn und seine Anschauung von Poesie aus. Thomas Rackwitz ist ein junger (geboren 1981), aber eben kein wilder Lyriker. Seine Verse sind rhythmisch und ihr Inhalt - wenn man sich die nicht ganz konsequent beiseitegelassenen Satzzeichen dazu ergänzt - ohne semiotische oder syntaktische Probleme erschließbar. Das ist bei moderner Lyrik durchaus keine Selbstverständlichkeit. Aber nicht allein aus diesem Grund liegt die Versuchung nahe, den Verfasser von "in halle schläft der hund ..." als einen "Postmodernen" zu apostrophieren: immer wieder begegnet man in seinen Versen auch Anspielungen auf klassische Vorbilder. Namentlich genannt werden Joseph von Eichendorff und Jakob von Hoddis, aber auch Benn, Rilke, Goethe, Mörike (und zweifellos ein paar weitere, die ich nur noch nicht entdeckt habe) winken dem genauer Hinsehenden aus seinen Zeilen entgegen. Wenn sich aber ein Lyriker von heute noch die Mühe macht, seine Klassiker zu studieren, über Händel, Don Giovanni und Nietzsche sowie Artemis, Hades und Styx räsoniert, sagt das einiges - - - siehe oben.

Nun könnte der Eindruck entstanden sein, entsprechend der äußeren Form sei auch der Inhalt der Gedichte "leicht unzeitgemäß". Dem ist allerdings ganz und gar nicht so und in diesem Punkt unterscheidet sich Thomas Rackwitz am auffälligsten von seinen lyrischen Vorbildern aus den Tagen der Klassik oder Romantik: in den meisten seiner Gedichte dieses Bandes schildert er eine bedrückende, sehr "heutige" bundesrepublikanische Stimmung, im Sonettenkranz z. B. ein Arbeits- und Obdachlosenschicksal. Wollte man hier literarische Vorbilder suchen, müßte man sich im 20. Jahrhundert umsehen, etwa bei den schon genannten Gottfried Benn und Jakob von Hoddis, bei Bertolt Brecht oder - was die Verbindung von Sonett und Großstadtschilderung nahelegt - bei Georg Heym. Daß es nichts Illegitimes ist, keinen Tabubruch darstellt, ästhetisch Unschönes oder moralisch Unbequemes in eine solch "hochheilige" lyrische Form wie das Sonett  zu verpacken, hat spätestens Baudelaire bewiesen und bedarf an dieser Stelle keiner weiteren Erörterung. Wer freilich Heile-Welt-Poesie in dem äußerlich ansprechenden Gedichteband sucht, wird bitter enttäuscht. Der Titel hätte ihn aber schon warnen können. Hier schreibt - bei aller desillusionierenden Nüchternheit dennoch poetisch - ein Vertreter der No-future-Generation. Der Ist-Zustand wird bilanziert - sicher nicht bloß gültig für Halle, das übrigens als ehemalige Studienstadt Eichendorffs im vorliegenden Zusammenhang besondere Pikanterie besitzt, sondern für die gesamte Bundesrepublik. Und nun erweist sich auch gerade die "Postmodernität" der Gedichte als treffliches Mittel, durch Form und Zitat den Kontrast "vom goldnen glanze längst verflossner tage" (Vers aus "in halle schläft der hund ...) deutscher Dichter und Denker zur wirtschaftskrisengebeutelten Gegenwart herauszustellen. Glücklich, ist man beinahe versucht zu sagen, wen heutzutage ohnehin nur noch sein Computer-Update, Handytarif oder die Abwrackprämie anficht, aber kein Eichendorff mehr, Goethe oder Mörike! Möglicherweise kommt - um einen Ausdruck Dürrenmatts in bezug auf die Tragödie zu gebrauchen - der heutigen Welt das Sonett nicht mehr bei, steht dessen Schreiber verlorener, heimatloser, lebensuntauglicher denn ein "junger Wilder" in der Gegenwart. Aber vielleicht empfindet er auch die Diskrepanz zwischen Damals und Heute intensiver und schreibt aus dieser Sensibilität heraus wehmütiger, melancholischer. Oder nennt man das bereits wieder "romantisch"?

Dergleichen illusionslos-klassische, traurig-ästhetische Gedichte jedenfalls finden sich in dem Band "in halle schläft der hund beim pinkeln ein" von Thomas Rackwitz.

Thomas Rackwitz
in halle schläft der hund beim pinkeln ein
Verlag im Proberaum 3
2009

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