Mit sparsamen Mitteln intensive Wirkung
Ein Leben lang hat sich der Dichter Walter Helmut Fritz an dem Einfachen abgearbeitet, das bekanntlich besonders schwer zu machen ist, hat er auf die abhanden kommende Stille gehört und ihr die Klänge seiner Gedichte abgewonnen. Mit den Jahren gelang es ihm mehr und mehr, die besonderen Eigenschaften seiner Verse, die mit Adjektiven wie leise, zurückhaltend oder lakonisch umschrieben worden sind, zum Leuchten zu bringen. Mit sparsamen Mitteln erzielte er intensive Wirkungen und ist stets der Leuchtspur gefolgt, die schon ausstrahlte vom Titel seines ersten Gedichtbandes „Achtsam sein“ von 1956. Zu seinem 80. Geburtstag im zurückliegenden September hat der Verlag Hoffmann und Campe den noch längst nicht hinreichend gewürdigten Walter Helmut Fritz mit einer dreibändigen Werkausgabe geehrt, eine Genugtuung für den schwerkranken Dichter, der nach langen Jahren in Karlsruhe seit einiger Zeit in Heidelberg lebt.
Wenn der Lyriker auch eher leise aufgetreten ist und in der Öffentlichkeit weit weniger als seine Jahrgangsgenossen Hans Magnus Enzensberger und Peter Rühmkorf wahrgenommen wurde, so gehört er doch keineswegs zu den duckmäuserischen „Stillen im Lande“, und die Lakonie seiner Verse ist nicht etwa mit Trockenheit zu verwechseln, sondern immer sinnlich unterfüttert und beglaubigt durch Beobachtungsgenauigkeit und sprachliche Einpassung. Diese Qualitäten teilen sich dem aufmerksamen Leser mit, der jetzt die im ersten Band der Werkausgabe versammelten Gedichte des Autors neu oder erneut liest. Mehr als 20 Sammlungen hat Fritz seit seinem Erstling herausgebracht, sie werden – soweit sie Berücksichtigung fanden - in chronologischer Reihung abgedruckt.
Greift man nur die drei Bandtitel „Die Zuverlässigkeit der Unruhe“ (1966), „Immer einfacher, immer schwieriger“ (1987) und „Offene Augen“ (2007) heraus, so hat man schon in nuce die Poetik von Fritz. Ein zentrales Charakteristikum seiner Gedichte ist es, dass er durch das nüchterne, aber genaue Benennen der Dinge die Welt gewissermaßen noch einmal hervorbringt, sie ins Licht seiner „achtsamen“ Sehweise rückt. Dergestalt finden eigentümliche Verlebendigungen statt, denn dem Autor ist alles, was er in seine Gedichte einholt, nicht gleichgültige Materie, sondern Anmutungsstoff, der seine Anteilnahme herausfordert. Dabei sind es häufig die eher unscheinbaren Aspekte, die seine Aufmerksamkeit finden, dem geringfügig Erscheinenden spürt er nach und setzt es in sein Recht. Er tut das mit unangestrengten Fügungen, denen man die Mühen des Feilens nicht mehr ansieht, und gerade die durchgehende Verknappung macht diese Gedichte so hintersinnig und wirkungsvoll.
Neben Landschaften, die er auf seine sparsam-eindringliche Weise heraufruft und so vor Augen stellt, dass man in sie hineinwandern möchte, hat Fritz auch immer wieder die wechselvollen Stimmungen des Jahres- und Tageslaufs im Gedicht festzuhalten versucht. Der flüchtigen Natur des Traums und seiner Verquickung in unser nur scheinbar „festeres“ Tagesleben geht der Lyriker ein ums andere Mal nach, lässt Traumsequenzen direkt in den Alltag münden, wenn es etwa in einem Text darum geht, bei einem Stadtgang die „erträumten grünen/Schuhe zu suchen“.
Einen nicht geringen Teil des Bandes machen Liebesgedichte aus, die ihre Intensität aus jener Schlichtheit und Unverkrampftheit gewinnen, wie sie für diesen Autor typisch sind. Es geht in diesen Texten nicht um den Furor der Hingerissenheit oder das Pathos der erotischen Grenzüberschreitung, was zum Naturell von Fritz auch gar nicht passen würde, sondern um eine Kultivierung der Zuwendung, die im anderen das grundverwandte Wesen erkennt, das gleichwohl immer neu gesehen und „entziffert“ werden muss, wie es einmal heißt. Insofern kommt im Liebesgedicht nur in besonderer Weise zum Ausdruck, worum es dem Lyriker im Blick auf die Beziehungen der Menschen untereinander grundsätzlich geht, „dass wir füreinander endlich/bessere Auslegungen sind“, wie eine Kernpassage des Gedichts „Sehnsucht“ lautet.
Bei seinem überall bemerkbaren Gespür für das stimmige Bild verwundert es nicht, dass Fritz eine besondere Affinität zur Malerei hat. Auch hier sind es eher die „leisen“ Maler, denen seine Liebe gilt und die er – wie etwa Giorgio Morandi und Jan Vermeer – in schönen Gedichten porträtiert hat. Auch Fotos faszinieren den Autor, der selbst so bestechend mit Licht „aufnimmt“. Arbeiten des bedeutenden Fotografen Andre Kertesz machen ihn auf die scheinbare „Absichtslosigkeit“ dieser Bilder aufmerksam. Das ist jene Qualität, die auch für die Lyrik von Fritz selbst charakteristisch ist, für seine Poesie ohne falschen Aufwand, wie man sie nennen könnte, die weder etwas mit Beliebigkeit noch mit Inhaltslosigkeit zu tun hat, sondern mit unauffälliger Bedachtsamkeit, mit Anmut und mit Leichtigkeit.
Mit vollem Recht hat der Verlag den ersten Band der neuen Edition allein den Gedichten und Prosagedichten von Fritz vorbehalten, denn sie bilden unbezweifelbar das Herzstück seines Schaffens. Man sollte darüber aber nicht vergessen, dass er auch vier Romane – der bekannteste davon wohl „Bevor uns Hören und Sehen vergeht“ von 1975 – veröffentlicht hat, in denen er den Erzähltechniken des Nouveau Roman Tribut zollt. Diese Werke und etliche Prosatexte sind im zweiten Band der Werkausgabe zu finden, während der dritte neben einem Hörspiel und einem Theaterstück die Aufsätze des Schriftstellers bietet. Er befasst sich darin etwa mit den Dichtungen Rimbauds , den poetischen Werken Apollinaires oder mit dem Expressionisten Georg Heym. Unter seinen Zeitgenossen galt sein essayistisches Interesse unter anderem Karl Krolow, dem er nahe stand, Günter Eich, Hilde Domin, Rose Ausländer, Ingeborg Bachmann und dem zu früh gestorbenen Lyriker Rainer Malkowski.
Gar nicht berücksichtigt wird in der Werkausgabe der Übersetzer Walter Helmut Fritz, der insbesondere Gedichte französischer Lyriker wie Philippe Jaccottet, Alain Bosquet und Jean Follain ins Deutsche herübergeholt hat. Der Rechenschaftsbericht des Herausgebers über die Textgestaltung der Ausgabe am Ende des dritten Bandes fällt recht summarisch aus – die Texte wurden demnach nach den Ausgaben „letzter Hand“ ediert -, seine Kommentare zu den einzelnen Arbeiten sind äußerst knapp. Zum Anhang gehören ein chronologisches und ein alphabetischen Verzeichnis der Werke und eine Zeittafel zum Leben des Dichters.
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