Dort unten ist es geblieben, warm, das Leben
Luftfarbe meiner Augen, Zeit
die sie auf dem Grunde jedes Windes verbrannten
lebendige Hände, mich suchend…
Geblieben ist jene Liebkosung, die ich
nur zwischen Schlaf und Schlaf wieder finde,
zersprungen meine unendliche Weisheit. Und du, Wort
das Blut in Tränen verwandeltest.
Nicht einmal ein Gesicht trage ich mehr
bei mir, verwandelt schon in ein anderes,
wie Schatten im Wein und verschlissen
in entzündeter Stille…
Zwischen Schlaf und Schlaf kehre ich
allein hinab, schaue das Rosa des Olivenbaums
vor wasservollen Krügen und dem Mond
des langen Winters. Zu dir zurück, der friert
in meinem dünnen Gewand aus Feuer.
Gezähmte Zügellosigkeit
Das Leben der italienischen Lyrikerin Cristina Campo ( 1923-1977) steht im Zeichen der Krankheit. Ein angeborenes Herzleiden, dem sie am Ende erlag, setzte ihr zeitlebens enge Grenzen, in die sich schickte, und die sie zugleich durch ihr Schreiben zu erweitern trachtete. Als Außenseiterin sui generis identifizierte sich Campo, die dem gebildeten Bürgertum Bolognas entstammte, bevorzugt mit anderen Außenseitern. Zu den geistigen Weggefährten ihres zurückgezogenen Lebens zählte neben Ezra Pound, Emily Dickinson und John Donne insbesondere die französische Philosophin Simone Weil, mit der sie früh in einen intimen Dialog tritt. Lesen und schreiben - das waren für Campo zwei Seiten ein und derselben Bewegung. Dies war ihr Leben. Neben ihren eigenen Gedichten - es sind nur rund dreißig an der Zahl - und literarischen Aufsätzen zur Literatur übersetzte sie, vorzugsweise aus dem amerikanischen Englisch, Gedichte einzelner Autoren, die ihr lieb waren. Trotz gelegentlicher Auftragsarbeiten von Verlagen, führte Campo niemals das Leben einer professionellen Schriftstellerin, sondern eher das einer altmodischen Privatgelehrten, deren Name nur in kleinen Zirkeln überhaupt ein Begriff war.
Diese selbst gewählte Zurückgezogenheit hat unmittelbare Konsequenzen für ihre Stellung innerhalb der italienischen Literatur der 50er und 60er Jahre.
Cristina Campo galt in ihrer Heimat als konservative Schriftstellerin, die den dominierenden politischen Strömungen ihrer Zeit skeptisch bis ablehnend gegenüberstand und statt dessen ihr Heil im Katholizismus suchte - und fand. Ebenso wie ihr großes Vorbild Simone Weil führte auch sie die Obsession des Absoluten zur Religion, die ihr Leben zunehmend beherrschte. Den höchsten Kunstgenuss erfuhr sie in ihren letzten Lebensjahren in der katholischen Liturgie, zumal feiertäglicher Hochämter im Rahmen der griechisch - byzantinischen Liturgie, die in vollkommener Weise ihr Bedürfnis nach Spiritualität und Ästhetik stillten.
Zu ihrer Zeit nicht oder kaum gelesen, wurde die Autorin in den vergangenen Jahren vom Mailänder Adelphi Verlag wieder entdeckt, der mittlerweile den gesamten Nachlass editiert hat.
Herausgelöst aus ihren zeit- und lebensgeschichtlichen Einbindungen entfalten die Gedichte Campos heute einen rätselhaft-ambivalenten Reiz. In unserer Gegenwart, die nichts verschweigt, besticht die Diskretion ihres lyrischen Sprechens, das sich außerhalb von Raum und Zeit in einer ewigen Schwebe verwirklicht, in Andeutungen und eigenwilligen Symbolen. Doch hinter Campos verhaltenen Tönen und matten Bewegungen, dem nicht enden wollenden Herbst in ihren Gedichten, lauert Beunruhigung und unterdrückte Lebensgier, die abgründige Ahnung davon, wie nahe Entsagung und Entäußerung in Wirklichkeit zusammen liegen. Den Halt, den sie in Natur, Kultur und Religion sucht und beschwört, demontiert nämlich die innere Struktur ihrer Gedichte, die allesamt ins Offene tendieren. Diese Gegenläufigkeit ist, so steht zu vermuten, nicht Absicht, sondern unterläuft der Autorin gegen ihre eigenen Intentionen, und ist deshalb in ihrer ästhetischen Wirkung um so eindringlicher.
Ob Cristina Campo von der grenzüberschreitenden, leidenschaftlich-zerstörerischen Beziehung der asketischen Simone Weil zu Georges Bataille, dem Philosophen der dépense, gewusst haben mag, die jenen zu seiner Erzählung Das Blau des Himmels inspiriert hat, wissen wir nicht. Fest steht indes, dass ihr äußeres Leben niemals aus dem Rahmen fiel. Bis zum Tode ihrer Mutter, Mitte der 60er Jahre, lebte sie in ihrem Elternhaus als die ob ihrer schwächlichen Konstitution zärtlich umsorgte Tochter, erst danach, bis zu ihrem Tode, in einer zunehmend problematischen Lebensgemeinschaft mit dem in Italien hoch angesehenen Kulturphilosophen Elémire Zolla.
Der blinde Rest, das zügellose Leben der Cristina Campo - ungelebt - flackert nur in den Zwischenräumen ihrer Verse auf und als rätselhafte Verstörung, wenn die letzte Zeile eines Gedichts verklungen ist.
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