Lesart
Eduardo Coimbra* 1864† 1884

Landschaft

Im Westen ist die Sonne noch ein roter Hall
jenseits der Höhen, die dämmernd stehn und schweigen.
Zum Rascheln aus dem dichtbelaubten Dunkel zweigen
Vögel späte Melodien aus dem grünen Wall.

Im Feld ringsum verstummt der Schall
und kein andres Lied will mehr entsteigen
als das Trotten müder Mädchen und der Kicherreigen
in den Blicken nach den Burschen und ihrm Hosenstall.

Matt ziehn die Stiere kreischende Gespanne.
Im Wirtshaus schwatzen Bauern bei einer roten Kanne
Wein, der Regen fehlt, was ist zu tun?

Laut keift die Nachbarsfrau vom Stall zur Stube
und aus der Türe springt ein kleiner Bube,
barfuß im Hemd, und hascht nach einem Huhn.

Nachdichtung
Frank Milautzcki 13.11.08

Versprengt und ausgezehrt

der portugiesische Dichter Eduardo Coimbra

Der portugiesische Poet Eduardo Coimbra wurde 1864 in Porto geboren und starb kaum zwanzigjährig am 9. Oktober 1884 an Tuberkulose. Im Jahr seines Todes erschien sein einziger Gedichtband „Dispersos“, was soviel heißt wie „Versprengte“, darin Sonette mit einem Vorwort von Joaquim de Araújo. Coimbra galt als Bohemien und Neo-Romantiker, war Wegbegleiter des unwesentlich jüngeren, einflußreichen Lyrikers António Nobre (der ebenfalls an Tuberkulose starb), beeinflußt von der volkstümlichen Dichtung von João de Deus und dem parnassischen Brasilianer Gonçalves Crespo. Coimbra, Nobre, de Deus und auch Crespo haben an der Universität von Coimbra, dem Thron der namensgleichen Stadt am Rio Mondego, studiert und in ihrer wundervollen Bibliothek die alte Literatur erstöbert.

Wenn sich Gallensaft schwarz und verbrannt ins Blut ergießt, dann, so dozierte Hippokrates, würde der Mensch melancholisch werden. Der traurig nachdenkliche Typ, zu dessem allegorischen Inventar Kunstwerke, Musik, Gedichte gehören, ist prädestiniert für die Krankheit der Schwindsucht, denn er wollte sich aus der Welt verabschieden. „Oh ich möchte so gerne in das Kloster gehen, das jenseits des Todes liegt und Frieden heißt“ schrieb António Nobre. In Portugal nennt man diese Stimmung Saudade, sie ist dunkler als blue und doch nicht wirklich schwarz. Portugals Dichter der Generation Coimbra waren schwermütig und mit Fernando Pessoa stolz darauf - „nur Portugiesen können dieses Gefühl kennen. Weil nur sie dieses Wort besitzen, um es wirklich beim Namen zu nennen.“

Die Krankheitskeime fanden in ihre Matrix. Die Medizin diagnostizierte folgerichtig: der Künstler ist der Ausgezehrte, der Feinfühlige und Empfindsame, der sich mit dieser Krankheit herumplagt und zu Tode quält an der Welt. Die Tuberkulose war die Krankheit der Bohème.
Daß sich in Wirklichkeit in den verschmutzten Massenquartieren der Industriearbeiter, in zugigen Löchern und auf verlausten feuchten Britschen die Bakterien ebenso unkontrollierbar verbreiteten und ganze Familien dahinrafften, spielte in der Wahrnehmung der Welt nur die zweite Geige – die Arbeiterfamilien tauchten nicht auf in den Kliniken und Kurhäusern und auf Zauberbergen. Der Fehlglaube, die Schwindsucht sei eine Schicksalsbürde empfindsamer Seelen, paßte sehr gut in die Selbstrechtfertigungen der finissecularen Künstlerwelt. Mancher Feuilletonist witterte gar den Niedergang der Kultur, als die Krankheit nach der Jahrhundertwende allmählich zurückgedrängt wurde.

„Man müsste einmal eine Literaturgeschichte der Schwindsüchtigen schreiben. Diese konstitutionelle Krankheit hat die Eigenschaft, die von ihr Befallenen seelisch zu ändern. Sie tragen das Kainsmal der nach innen gewandten Leidenschaft.“
Der dies 1921 in seiner „Geschichte der Weltliteratur in einer Stunde“ schrieb, war seit früher Jugend krank und verbrachte Jahre seines kurzen Lebens in Kliniken und Kurhäusern. 1905, während eines Ausflugs der Untersekunda des Crossener Gymnasiums durch das Riesengebirge, war Fredi Henschke mit seiner Klasse durchs Tal des Großen Zacken bei Schreiberhau gewandert. Dort konnte er der Versuchung nicht widerstehen, in einem Weiher zu baden, der von einem eiskalt hinzustürzenden Wasserfall gespeist wurde. Trotz Vorboten einer Erkältung zog er, unschlagbare, leichtsinnige Jugend, tagelang weiter durch die Berge. Prompt packte ihn eine beidseitige Rippenfellentzündung, der eine Lungenschwindsucht folgte. Aus Fredi Henschke wurde der schon zu Lebzeiten umstrittene und heute fast vergessene, bunte Dichterkolibri Klabund und eine solche Literaturgeschichte würde neben ihm noch so manchen zu früh verstorbenen Dichter wieder ins Rampenlicht holen, eventuell auch den Portugiesen Eduardo Coimbra.

Wilhelm Storck (1829-1905), Romanist und Übersetzer, war der erste der Coimbras Gedichte ins Deutsche übersetzte. Storck war ordentlicher Professor der deutschen Sprache und Literatur an der Akademie in Münster, wo er zeitweise auch Sanskrit sowie Provenzalisch, Italienisch, Spanisch und Portugiesisch lehrte. Er hat vor allem den portugiesischen Nationaldichter Luis de Camoens und dessen sämtliche Gedichte (in sechs Bänden) übersetzt, und eine Biographie über denselben geschrieben. In seinem Buch „Aus Portugal und Brasilien – 1250-1890 – ausgewählte Gedichte“ hatte er dann Gedichte von Coimbra an Bord. Weiter ist im Deutschen nichts erschienen.

Erst der naturlyrische Hans Bethge brachte als Herausgeber 1907 in „Die Lyrik des Auslandes in neuerer Zeit“  wieder ein (dem Storck Buch entnommenes) Gedicht von Coimbra, eine altbackene Version ohne Wunderkerzen, ein Schreibtischkonstrukt ohne Luft und ohne doppelten  Boden. Bethge selbst war Übersetzer, besser: Nachdichter, aber ließ die Finger von Storcks bravem Kindelein.
„Es kommt nicht darauf an, ein Gedicht wörtlich zu übertragen, es kommt vielmehr darauf an, den Geist, den Stil, die Melodie eines Gedichtes in der fremden Sprache einigermaßen neu erstehen zu lassen. Normen für die Übertragungskunst aufzustellen ist nicht möglich.“  Diesen idealistischen Satz schrieb Bethge in das Vorwort des Buches und fabrizierte selbst bestenfalls „verdeutschten Text“ – wo er als Nachdichter unterwegs war, brachte er es fertig, die fremdsprachige Poesie um ihre Exotik und ihren Zauber zu berauben. Im Gegensatz zu seiner Begeisterungs war sein Einfühlungsvermögen nicht groß genug, um den Wesensmerkmalen und ästhetischen Polen der Originale ein deutschsprachiges Pendant zu erspüren. „Kunstgewerblich“, nannte Adorno Bethges Dichterei.

Bethge wurde dennoch bekannt. Vor allem seine chinesischen Nachdichtungen zweiter Hand (unter Benutzung fremder Übersetzungen – gerade so wie es auch Klabund in den zwanziger Jahren erfolgreich betrieb) erreichten hohe Auflagen. Es waren schmucke Insel-Büchlein, Mitbringsel für den ersten Kaffeetreff mit der angebeteten Dame - eine rote Nelke quer über den Buchdeckel überreicht man das Buch und beweist seinen geistreichen Kopf hinter dem spiegelnden Kneifer.
Richard Wilhelm, als ernsthafter Übersetzer der Originaltexte wissenschaftlich unterwegs, blieb ob dieser inflationären Nachdichterei aus zweifelhaften Quellen nicht ganz cool, sondern merkte zu einer zeitgeschmäcklerischen Lao-Tse Übertragung ungewohnt linkisch an, dass es „unter den vielen Wiedergaben des alten Chinesen [...] sich vielleicht ganz gut“ mache, „wenn er selbst auch einmal wieder zu Wort kommt“. Viele Übertragungen aus fremden Literaturen wurden eingesperrt in ein deutsches Korsett.

Meine Übertragung, die sich an Storck anlehnt, enthält wahrscheinlich relativ wenig Coimbra, aber sie enthält wenigstens das portugiesische Land. Es ist nicht saudade und nicht blue. Es hat eine heitere Lautstärke. Man kann es vor-expressionistisch nennen. Und es ist einfach, idyllisch und schön.

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