Von und mit Natalie Neumaier
nowhere, the road leads nowhere
Zur Zeichnung habe ich mir gedacht: Für mich ist es eigentlich ganz vielen Stimmen zuzuhören. Das können ganz unterschiedliche Stimmen sein. Also eigentlich ist es das Material, einmal zunächst. Das Papier, ob das Papier rau ist, oder glatt, die Textur, das Gewebe von dem Papier und der Bleistift, oder die Farbe. Und zum Anderen ganz viele andere Bilder und Texte. Und viele andere Dinge auch. Und die Umgebung, wo man sich aufhält. Ja, und jetzt möchte ich mit Inger Christensen beginnen.
„Wenn ich Gedichte schreibe, dann kann es mir einfallen so zu tun, als schriebe nicht ich, sondern die Sprache selber.“ (Inger Christensen, Der naive Leser)
„Was man von ihr erzählt hat – oder mir wohl nur erzählen wollte – , weiß ich nicht. Sie war das Stumme, Lockere, Flockige, das gleich dem Schneegestöber in den kleinen Glaskugeln sich im Kern der Dinge wölkt. Manchmal wurde ich darin umgetrieben.“ (Walter Benjamin, Berliner Kindheit um Neunzehnhundert)
„My paradise was full of snow“ (Jonas Mekas, as I was moving ahead occasionally I saw brief glimpses of beauty)
“Wolkenatmosphäre, Wolkenwandelbarkeit der Dinge im Visionsraum.” (Walter Benjamin, Pariser Passagen I)
„der schnee ist
selber aufgestiegen
und hat geblüht
im juni“
(Inger Christensen, alphabet)„Das Licht
bricht anders
durch
das
durch
unserer Augen
wenn die Stille
darin bereits
Wurzeln schlägt.“(Mathias Müller)
„Ja, dann lieber den Schmetterlingseffekt. All die kleinen Zwischenräume, in die der Zufall hineinkommt. Die kleinen Zwischenräume zwischen unseren Sinnen, die Zwischenräume zwischen Aufmerksamkeit und Unaufmerksamkeit, die Zwischenräume zwischen den Wörtern auf dem Papier, die unüberschaubaren Zwischenräume des Papiers, wenn nichts darauf steht, die Zwischenräume des Schlafes, die Zwischenräume des Formlosen, die Zwischenräume der öden Strecken, dort, wo man draußen ist, bis man wieder drin ist. All die Stellen, wo das Bewußtsein sich dem Spiel der Zufälle ergibt. Lieber also diesen Schmetterlingseffekt als die totale Ordnung.“ (Inger Christensen, Die ordnende Wirkung des Zufalls)
„Wenn nun aber die Sprache ebensoviel durch das ausdrückt, was zwischen den Wörtern ist, als durch die Wörter selbst? Durch das, was sie nicht >sagt<, wie durch das, was sie >sagt<? Wie, wenn es, in der empirischen Sprache verborgen, eine Sprache in der zweiten Potenz gäbe, wo die Zeichen wiederum das verschwommene Leben der Farben führen und wo die Bedeutungen sich nicht ganz und gar von den Beziehungen der Zeichen befreien.“ (Maurice Merleau-Ponty, Das indirekte Sprechen und die Stimmen des Schweigens)
„Hoa, das chinesische >tuschen< ist so viel wie kua, >anhängen<: man hängt fünf Farben an die Dinge. Farben >anlegen< sagt das Deutsche. In solch farbenbehängte, undichte Welt, wo bei jedem Schritt sich alles verschiebt, wird das Kind als Mitspieler aufgenommen. Drapiert mit allen Farben, welche es beim Lesen und Betrachten aufgreift, steht es in einer Maskerade mitten inne und tut mit. Beim Lesen – denn es haben auch die Worte zu diesem Maskenball sich eingefunden, sind mit von der Partie und wirbeln, tönende Schneeflocken durcheinander. >Prinz ist ein Wort mit einem ungebundenen Stern<, sagte ein Junge von sieben Jahren. Kinder, wenn sie Geschichten sich ausdenken, sind Regisseure, die sich vom >Sinn< nicht zensieren lassen.“ (Walter Benjamin, Aussicht ins Kinderbuch)
„- Vergiß mich nicht. Bewahre für immer die in der Schwebe befindliche, begehrenswerte verweigerte Welt, jene verzauberte, die ich dir gegeben hatte, flüsterte die Kurzsichtigkeit.“ (Hélène Cixous, Jaques Derrida, Voiles Schleier und Segel)
„niemals die zinkweißen nächte so weiß,
so wehrlos aufgelöst, milde ionisiert
weiß, und nie die unsichtbarkeitsgrenze so nahezu
berührt; juni, juni, deine Jakobsleitern
gibt es, dein schlafendes vieh und deine schlafträume
gibt es, ein schweben galaktischer keime zwischen
der erde so irdisch und dem himmel so himmlisch“(Inger Christensen, alphabet)
„Die Hitze umfing uns, der Mittag, der lange, unzerbrechliche Sommer.“ (Ilse Aichinger, Kleist, Moos, Fasane)
„Ich erkenne abermals
eine lichtung in der sprache wieder
die geschlossenen wörter
die da sind um geliebt und wiederholt
zu werden“(Inger Christensen, lys/ licht)
„Die Farben waren die hier im Lichttheater gesammelten märchenhaften Abstände der Sonne, zu Blüten gesteigert, verkleinert. Die Blumenwiese erhob sich aus allen Namenssystemen, in ganz senkrechter Bewegung, in die Halme hinauf, in die Ähren, in die Blätter, in die Knospen. Für die Dinge, Umkehrerscheinungen des Versinkens, gab es – die Wörter waren alle dem Versinken dienend – keine zugehörige Sprache, keine sie nennende. Die Sprache, dem Versenken nicht zu dienen, mußte sich auf den Abstand besinnen, im Abstandhalten wieder wirklich werden, im Abstand die Lichtform entwickeln.“ (Peter Waterhouse, Sprache Tod Nacht Außen)
„In der Volte der Welten Blütenstaub sein, aufgewirbelt von einem ungekannten Wind in die Nachmittagsluft und von der reglosen Abenddämmerung fallen gelassen an einem Zufallsort, sich verlierend unter größeren Dingen.“ (Fernando Pessoa, Das Buch der Unruhe)
„A Tale
Do you know the story of the man who could not live anymore without knowing what’s at the end of the road and what he found there when he reached it? He found a pile, a small pile of rabbit shit at the end of the road. And back he went. And when people used to ask him: “Eh, where does the road lead to?” he used to answer: “Nowhere, the road leads nowhere, and there is nothing at the end of the road but a pile of rabbit shit.” So he told them. But nobody believed him.” (Jonas Mekas, I had nowhere to go)
“das Säumen des Kindes, das Trödeln: es zupft die Fransen aus den Erlebnissen, strähnt sie; darum trödelt das Kind. Saumseligkeit, so könnte man wohl den besten Teil seines Glücksgefühls nennen,“ (Walter Benjamin, Protokolle zu den Drogenversuchen)
„Wenn wir das Labyrinth nicht finden konnten, sagte Sam und sah tiefsinnig aus, dann deshalb, weil es nie gefunden werden kann, weil es sich nicht in Clusium oder anderswo findet, sondern sich überall findet, so daß wir immer im Labyrinth drinnen sind und eigentlich größeren Grund haben sollten zu glauben, daß wir es finden können, als wir selber ahnen, aber es geschieht nie, denn mit jedem Schritt, den wir tun, bewegt das Labyrinth sich mit uns zusammen, in genau derselben Geschwindigkeit und Richtung, wie wir selber.“ (Inger Christensen, Das gemalte Zimmer)
„Die Beeren begannen in unseren Träumen Muster zu bilden, sie verschoben sich lautlos und ohne sich zu berühren gegeneinander, jedes Muster war ein Glück, das dunkelste entsprach dem hellsten, so schliefen wir ein.“ (Ilse Aichinger, Kleist, Moos, Fasane)
„schau den herrlichen sommer
die taubenblauen pflaumen
werden zu staub und flocken wie federn.“(Inger Christensen, alphabet)
„Eine Sache beobachten, heißt nur, sie zur Selbsterkenntnis bewegen. Ob das Experiment gelingt, hängt davon ab, wie weit der Experimentator imstande ist, durch Steigerung seines eigenen Bewußtseins, durch magische Beobachtung, wie man sagen darf, sich dem Gegenstand zu nähern und ihn endlich in sich einzubeziehen. In diesem Sinn sagt Novalis vom echten Experimentator: Die Natur „offenbart sich umso vollkommener durch ihn, je harmonischer seine Konstitution mit ihr ist“ und vom Experiment, „daß es die bloße Erweiterung, Zerteilung, Vermannigfaltigung, Verstärkung des Gegenstandes“ sei. (Walter Benjamin, Der Begriff der Kunstkritik in der deutschen Romantik)
„Die Übersetzung ist die Überführung der einen Sprache in die andere durch ein Kontinuum von Verwandlungen. Kontinua der Verwandlung, nicht abstrakte Gleichheits- und Ähnlichkeitsbezirke durchmißt die Übersetzung.“ (Walter Benjamin, Über Sprache überhaupt und über die Sprache des Menschen)
„weiß, es ist weiß,
sagen die kinder, das dunkel ist weiß, aber nicht
auf die art weiß wie das weiße das es gab,
als es die obstbäume gab, ihr blühen so weiß,
das dunkel ist weißer, die Augen schmelzen.“(Inger Christensen, alphabet)
„Erinnerung begreift sich nicht zu Ende. Aber vielleicht, daß die Beeren ein geheimes Verhältnis zu ihr haben, das so offenbar und so undurchsichtig vor uns liegt wie sie selber mit dem Blau und Rot ihrer Kinderfarben, eingebettet in den warmen Schatten, in die Unaufhörlichkeit der frühen Zeit.“ (Ilse Aichinger, Kleist, Moos, Fasane)
„What I am trying to get across is that material is a means of communication. That listening to it, not dominating it makes us truly active, that is: to be active, be passive.” (Anni Albers, material as metaphor)
“Ich wartete. Nicht bis es nachließ. Sondern daß es mehr und immer üppiger hinunter rausche.“ (Walter Benjamin, Berliner Kindheit um Neunzehnhundert)
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