Underground fürs Kaffeetischchen?
Das Berghain ist der vielleicht bekannteste Club der Welt, seine Wirkmacht liegt den Bildern. Das großformatige Buch »Berghain. Kunst im Klub« umkreist mit beeindruckenden Fotos, Interviews und Essays aber weniger die Möglichkeiten von Kunst im Clubkontext, sondern fokussiert sich auf Menschen dahinter.
Clubs sind Nicht-Orte: durchlässig, unbewohnt und semantisch leer. Ein Club kann nicht zur Heimat werden, niemand kann sich dort niederlassen und vor allem ist ein Club nicht mehr als ein Gebäude – reine Architektur, der ihr Zweck erst eingeschrieben werden muss. Clubs sind zudem unwirkliche Orte, die sich in Opposition zur Realität, sprich: dem Alltag positionieren. Es sind Orte des Exzesses, der Flucht und des Vergessens. Restrealität nennt sich nicht ohne Grund ein der Berliner Clubszene gewidmetes Forum.
Das Berghain ist vielleicht der bekannteste Club der Welt, zumindest polarisiert es wie kaum ein anderer. Über die von Sven Marquardt in schweigender Personalunion verkörperte Türpolitik wird ständig und überall getuschelt, schätzungsweise zwei Meter der oftmals mehrere hunderte Meter langen Schlange an einem Sonntagmorgen werden vom Feuilleton besetzt, das mal wieder dringend einen Erfahrungsbericht bringen will: So ist es im Berghain. Oder eben: So ist es, nicht ins Berghain zu kommen.
Das Berghain hat sich als eigener Mythos etabliert und sorgt dafür, dass das auch so bleibt: Seit geraumer Zeit werden die Smartphones von Gästen mit Stickern beklebt, damit keine Fotos gemacht werden. Dafür gibt es mindestens zwei Gründe.
Der erste schreibt sich aus der Geschichte der House-Kultur hervor, die nach der Disco Demolition Night im Jahr 1979 aus dem Underground als – wie es damals hieß – Disco’s Revenge geboren wurde. Queeren people of color schafften sich eine Community, wo neben Unterdrückung nur Zersplitterung herrschte. Das zu fotografieren hätte damals geheißen, Menschen bloßzustellen – und sie vielleicht rechtlichen, ganz sicher aber gesellschaftlichen Repressionen auszuliefern. Es ist selbst im Jahr 2015 in Berlin nur logisch und moralisch mehr als vertretbar, dem vorbeugen zu wollen. Wer sich draußen nicht ausleben kann, der darf das drinnen – ohne, dass draußen jemand etwas davon erfährt.
Der zweite hängt damit zusammen, dass sich ein mit mythischen Interpretationen überhäufter Club eben dann am besten präsentieren kann, wenn seine Selbstinszenierung auf einer vermeintlichen Nicht-Inszenierung beruht. Je mehr über das Geschehen im Berghain bekannt wird, je umfassender die Dokumentation wird, desto kürzer wird auch die Feuilletonschlange draußen vor der Tür und desto kürzer wird auch die Aufmerksamkeitsspanne derjenigen Clubkids, die es bisher noch nicht herein geschafft werden. Der Mythos hält sich am Leben, wenn er sich verschleiert.
Die größte Wirkmacht des Berghains liegt in den Bildern. Denen, die drinnen nicht geschossen werden und denen, die draußen davon kreiert werden.
Schon die Fassade des ehemaligen Heizkraftwerks scheint perfekt zu symbolisieren, was darin zu hören ist, ähnelt sie doch derer der verlassenen Michigan Central Station in Detroit – der Heimatstadt des Technos, welche gemeinsam mit Berlin Anfang der neunziger Jahre den Sound und den dazugehörigen Lifestyle etablierte. Auch das Berlin jener Zeiten, das letztes Jahr in einem Bildband mit dem schlagenden Titel Wonderland geehrt wurde, scheint in jeden unverputzten Betonpfeiler eingeschrieben. Die brutalistische Architektur des Berghain allein bedeutet eine kleine Zeitreise in einen unwirklichen Ort. Für den harten Kern des »Berghain-Adels« macht es das zu einem Sehnsuchtsort: Von »Hainweh« oder davon, sonntags »in die Kirche« zu gehen, ist im codierten Sprechen die Rede. Als wäre dieser Club ein festes Zuhause mit einer beständigen Community, Heilsversprechen inklusive. Das ist eigentlich ein schöner Gedanke: Die Institution Club als etwas Beständiges.
Paradoxer Weise jedoch erzwingen die Marktmechanismen – ebenso wie auch der eigene gestalterische Anspruch – Agilität von diesem Club, der anders als andere seit gut elf Jahren dem Schreckgespenst des Clubsterbens trotz. »Diese Purheit im Sinne einer Einheit von Idee, Form und Funktion, die ein Leitbild des Modernismus im 20. Jahrhundert war, die ist eben selten aufrechtzuerhalten«, sagt Fotograf Wolfgang Tillmans, dessen Arbeiten das Berghain seit Beginn begleiten, über seine eigene Sicht auf Architektur. Dem Berghain geht es ebenso.
Es sind vor allem zwei Bilder Tillmans‘, die im Kontext des Berghains wichtig wurden: Das einer entblößten Vagina und das eines entblößten männlichen Arschlochs. Das erste, erklärt Tillmans im Gespräch mit Groove-Redakteur Thilo Schneider, habe er zu schwuleren als Erinnerung an das andere biologische Geschlecht in die Panorama Bar hängen lassen, das zweite habe es dann abgelöst, um den mittlerweile zunehmend von einem heterosexuellen Publikum besuchten Obergeschoss-Dancefloor an die Wurzeln des Clubs zu erinnern. Seine Kunst im Klub, so auch der Untertitel des Buches, in welchem Tillmans das sagt, sie reagiert auf eine Art und Weise, die gleichermaßen Kontinuität verspricht wie sie Wandelbarkeit an den Tag legen muss.
Dieses Buch, das schlicht Berghain überschrieben ist, versammelt Essays und Interviews zu der Kunst, die sich in diesem Club, der sich lieber mit hartem K als dehnbarem C schreibt, finden lässt, die dort entstand und dort bereits ausgestellt wurde: Im August 2014 öffnete die Ausstellung 10 in der sonst eher selten zugänglichen Halle am Berghain. Die Personen, Geschichten, Ideen und Konzepte hinter den Kunstwerken, die sich nicht zu einer schlüssigen Ausstellung zusammenfinden wollten, weil sie kaum etwas mehr als der Nicht-Ort verband, werden nun in einem großformatigen Buch aufbereitet, das vor allem eins zeigt: viele, viele Bilder.
Von Piotr Nathans überdimensionierten Bild Rituale des Verschwindens, das im Eingangsbereich des Clubs gut 25x5 Meter Wand überdeckt und sich damit seinen Titel gerecht werdend tatsächlich der Wahrnehmung zu entziehen scheint, über Joseph Marrs aus Zucker gegossene Skulpturen einander fellierender Männer aus der sogenannten »Klobar« bis zu den Tillmanschen Fotografien setzt das Berghain seine Kunst mit einer dermaßen brillanten fotografischen Leistung in Szene, dass diese allein schon die Investition lohnen würden. Denn, und das ist der dem Band inhärente performative Widerspruch, Berghain. Kunst im Klub ist nicht allein Dokument der disparaten und wandelbaren Gestaltung des Clubs, sondern auch ein verkäufliches Objekt für das Kaffeetischchen. Ein Souvenir aus einem unwirklichen Ort, wie die mit aufwändigen Grafiken und Essays ausgestatteten Monatsflyer, die begehrte Sammlerstücke sind und ebenfalls zu Teilen abgedruckt im Buch zu sehen sind.
Denn das ist ein Club ebenfalls: Ein Ort, an und mit dem Geld gemacht wird. Schmuggelt Thomas Meinecke in seinem den Band eröffnenden Essay Le Spleen De Paris mit Verweis auf die US-amerikanische Disco-Szene der siebziger Jahre den Begriff des Undergrounds in den hintergründig schwelenden Diskurs des Buches mit ein, so erfährt der im nächsten Schritt eine Abfuhr von Tillmans: Das Berghain »steht natürlich nicht mehr in dem Maße für die wünschenswerte Utopie, die [es] vielleicht auch in [seinem] Leben mal war«, meint er. » Aber wenn es verloren ginge, wäre es unter Umständen für immer weg. « Es ist die Gratwanderung zwischen Underground und (Selbst-)Musealisierung, Kunst und Kommerz, Nicht-Örtlichkeit und Konkretion, die die Spannung innerhalb des Berghains bestimmt und sich logischer Weise auch auf Berghain. Kunst im Klub auswirkt.
Tatsächlich ist es ein seiner opulenten Aufmachung zum Trotz ein sehr heterogener Band geworden. Tatsächlich nämlich wird vor allem in den Interviews wenig über den Club an sich oder das Berghain im Speziellen gesprochen, sondern eher die davon inspirierten Werke und am meisten die Menschen dahinter. Vom lockeren Plauderton, der das Gespräch zwischen Berghain-Mitarbeiter Joey und Piotr Nathan über dessen auf schwule Subkultur rekurrierende Mal- und Installationskunst beherrscht über die eher produktionsorientierten Diskussionen von Ex-Spex-Chefredakteur Jan Kedves mit Sarah Schönfeld über deren mit tausend Liter im Berghain gesammelten Urin gefüllte Vitrine bis hin zu Jens Balzer, stellvertretender Ressortleiter des Feuilletons bei der Berliner Zeitung, der Türsteher und Fotografen Sven Marquardt über Analogfilme und Teamarbeit fachsimpeln lässt – es gibt viel Expertentalk zu lesen. Besonders beeindruckend ist das auf hohem Niveau geführte Interview der Kunsthistorikerin Dorothée Brill mit Norbert Bisky. Auch darin allerdings geht es weniger um das Berghain, sondern eher die Person Bisky.
Die Essays etwa zur zwischen Performance und Installation changierenden Kunst Marc Brandenburgs oder Nina Lörkens Meditationen über Viron Erol Verts verschlungenen Statuen schaffen schon eher abstraktere Kontexte und stellen Bezüge zum Berghain her, das allerdings eher als Produktionsstätte oder Inspirationsquelle gewertet wird. Da stimmt selbst Marquardt-Assistent und Türsteher Jan Behrendt zu, der meint, »dass das Berghain eigentlich nichts mit den Bildern zu tun hat«, die das Team mache. Literarisches Beiwerk wie Jürgen Wronskis Kurzgeschichte Die Spurensammlerin oder das Gedicht Tiere von DJ Hanno Hinkelbein lassen ebenfalls nicht drauf schließen, was genau das eigentlich ist: Kunst im Klub.
Was jedoch ist und macht Kunst im Club? Wie wirkt Kunst an einem Nicht-Ort, der noch viel mehr semantischen Einschreibeprozessen unterliegt als jeder white cube, dessen Wirkmacht vor allem eine bildliche ist? Was also ist Berghain. Kunst im Klub? Käuflich erwerblicher Underground fürs Kaffeetischchen? Eine heterogene Sammlung künstlerischer Positionen, die sich an einen unwirklichen Ort bündelt, von ihm Inspiration bezieht oder ihn wie Tilmanns konzeptuell zu kommentieren versucht?
Vielleicht lautet die simpelste Erklärung, dass Berghain. Kunst im Klub von der Unmöglichkeit zeugt, über Kunst im Club zu sprechen. Weil alle Kunst im Clubkontext nur auf diesen reagieren und ihn damit externalisieren kann oder aber, wie die Fotografien Tilmanns‘, irgendwann selbst zu Bestandteilen des Nicht-Ortes, des unwirklichen Ortes Club werden.
Es bleiben wiederum selbst nur Bilder über, die nach außen getragen werden. Drinnen schließlich dürfen keine gemacht werden.
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