Nachrichten aus dem Tal der Traurigkeiten
Christine Thonhauser, die sich als Autorin nach dem Fluß in einem Tal gleichen Namens benannte (in dem sie auch geboren wurde), schrieb in vergleichsweise kurzem Zeitraum, nämlich etwa von 1945 bis in die frühen 1950er Jahre, ihre Erzählungen, die nun in einem umfangreichen Band der auf vier Bände konzipierten Werkausgabe veröffentlicht worden sind. Später hat sie von ihnen nichts mehr wissen wollen, bezeichnete sie einmal sogar als „Brechmittel“ und erlaubte ihre Veröffentlichung nur widerwillig, vor allem wegen der unverhüllten familiären Bezüge, deretwegen sie übel angegangen wurde. Daß man sie zu Lebzeiten für ihre Gedichte mehr als für ihre Prosa geschätzt hat, verwundert nicht — eine ebenso eigentümliche wie eigenwillige Stimme ist hier nämlich zu vernehmen, die Volkstümliches mit Kunstvollem, Märchenhaftes mit Realistischem, Absurdes mit Allegorischem auf eine unterschwellig kühne Art vermischt, die lange Zeit selbst manchen gestandenen Kritiker irritiert hat.
Alle Erzählungen Lavants sind Nachrichten aus einem beschädigten, geschundenen Leben. Ihre Lektüre läßt sich nur mit einem Schlag in die Nierengegend vergleichen. Daß viele autobiographische Elemente oder unmittelbare Anregungen aus dem Umfeld Lavants in die Erzählungen eingeflossen sind, macht sie nicht weniger kompromißlos, im Gegenteil. Es ist hinlänglich bekannt, daß die Autorin von frühester Kindheit an mit erheblichen körperlichen und seelischen Problemen zu kämpfen hatte; ihr Ventil, überhaupt die Freudlosigkeit ringsum zu bewältigen, war das Schreiben, unmittelbar und authentisch. Es geht aber von den Erzählungen darüber hinaus eine allgemeine Kraft aus, die jene persönlichen Limitierungen hinter sich läßt und von Zeitläuften und einem Milieu berichtet, in dem Gewalt, Armut, Schwere, religiös motivierter Unverstand an der Tagesordnung waren.
Christine Lavants Erzählungen sind Schreie nach Liebe in liebloser Zeit und Aufschreie gegen die Ungerechtigkeiten, wie sie in ihrer Vehemenz wohl ihresgleichen suchen. Schon früh beginnen Erniedrigung und Kränkung. In „Das Krüglein“ setzt das Neugeborene eine Reihe von fatalen Familienverhältnissen in Gang, in „Das Kind“ kann das Mädchen nicht schnell genug aus der Heilanstalt abgeholt werden, um nach Hause gebracht zu werden, weil das Geld für die Fahrt fehlt, der „Knabe“ wird von seinen Mitschülern wegen der Hasenscharte verspottet. Und so fort. Körperliche Mängel und soziale Benachteiligung verbünden sich zu einer unheiligen Allianz. Das bekommt etwa „Rose Berchtold“ zu spüren, eine Näherin, die, ohne es zu bemerken, von ihren Kolleginnen wegen ihres scheinbaren Geizes verspottet wird, bloß weil sie für den Fall einer schweren Krankheit spart, an der auch ihre Schwestern verstarben. Aufsässig und mit einer Frechheit, die nur mühsam von eingeimpfter Pflicht zur Demut bezügelt wird, wenden sich indessen „Nell“ und das Mädchen „Maria Katharina“ gegen die widrigsten Lebensumstände: die eine streitet für eine ruhige Wohnung für ihren Mann, die andere für eine Stelle im Kloster, die ihr auf Grund ihrer Familienherkunft verwehrt wird.
Christine Lavant ist immer auf der Seite der Schwachen. Mit großer Leichtigkeit kann sie die Perspektive des Kindes einnehmen, sich aber genauso in jene Figuren versetzen, die zwischen Kirchentreue und nahezu blasphemischer Auflehnung hin und her gerissen sind. Dabei enthüllt sie mit schärfstem Blick und schneidender Kritik die Heuchelei und Bigotterie der Frömmelnden. Gnade finden ihre Figuren nirgends, höchstens schaffen sie diese sich selbst im Gebet, und hier gelingen Lavant dann auch die poetischsten Passagen.
Glücke
heißt es einmal,
halten sich selten lange vollkommen aufrecht. Sie werden leicht an den Rändern herum blasser oder gar trüber und sind eben nimmer das, was ein richtiges Glück sein soll.
Es bleibt in der Konsequenz nichts, als sich
eine schöne und schwebend traurige Geschichte auszudenken.
Versöhnliche Schlüsse werden dem Leser darum vorenthalten, und wenn sie sich doch einmal andeuten sollten, sind sie nicht als zahme Gesten, abgerungene Zugeständnisse an Konventionen. Wenn
alle Aussicht auf äußere Hilfe sinnlos geworden
ist, wenn die äußere Gestalt abstoßend ist und nur schöne Augen bleiben, wie in „Baruscha“ und „Der Knabe“, dann werden die Innenwelten umso reicher, sind aber dennoch nicht von der Traurigkeit abzulösen. Zum Leiden an der Welt gehört buchstäblich das Leiden am eigenen Leib. Bei soviel Intensität gelingt es Lavant nicht immer, Distanz zum eigenen Schicksal zu bewahren, die Bandbreite solcher verräterischen Zeichen reicht vom ketzerischen Aufschrei —
Und beten will ich vorher für keinen Menschen mehr, höchstens für den Teufel. Aber für den richtigen Höllteufel, der auch ganz verstoßen ist von dir bis in alle Ewigkeit.
ruft ein Mädchen aus — bis zu den sentimentalen Konstellationen beispielsweise in „Der Lumpensammler“, die wohl Anleihen an Lavants exzessive Trivialliteratur-Lektüre sind, wie das Nachwort darlegt. Solche Passagen sind Gratwanderungen, drohen beinahe umzukippen, werden aber von der realistischen Schilderung im letzten Moment wieder zurück ins Gleichgewicht gestoßen. Lavant spielt virtous mit verschiedenen Stilmitteln, mit märchenhaftem („Baruscha“), allegorischem („Der Messer-Mooth“) oder mit expressivem Tonfall, wie an dieser Stelle:
Während Rosa mit ihrer vertragenen, schäbigen Handtasche im Schoß spielte, trug sich vor ihren eigentümlich stumpf glimmenden Augen der ganze starke, frühe Frühling zu.
Ihre Erzählungen mögen nicht die gedrängte Dramatik der Gedichte haben, dennoch muß man etliche wohl zu den unbedingten Glanzlichtern deutschsprachiger Prosa rechnen.
Den Erzählungen liegen in dieser Ausgabe, soweit möglich, die Typoskripte Lavants zu Grunde; frühere Eingriffe von Verlagsseite wurden damit rückgängig gemacht, allerdings war es nötig, trotzdem einige „editorische Entscheidungen“ zu treffen, denn ganz fehlerfrei sind auch Lavants Vorlagen nicht; ein Anhang informiert sorgsam über diese Entscheidungen, die nicht in allen Fällen zwingend gewesen wären und einige Male auch den volkstümlich-mündlichen Ton oder die religiöse Prägung („Am Anfang“ statt „Im Anfang“) verschleiern. Zahlreiche Erläuterungen u.a. zur dialektal gefärbten Sprache Lavants sind zudem beigegeben — wobei hier des Guten manchmal zuviel getan und der Leser unterschätzt wird. Dennoch, die neue Edition, besorgt von Klaus Amann und Brigitte Strasser, präsentiert nun erstmals diese eindrückliche, intensive Prosa in unredigierter Form und dürfte somit diejenige sein, nach der man in absehbarer Zukunft zitieren wird.
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