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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Grünes Wachstum auf dem Rücken der Ärmsten

Der verschwenderische imperiale Lebensstil der westlichen Welt ist die moderne Form der Kolonialzeit, diesmal aber nachhaltig und bio-zertifiziert. Getragen durch Großkonzerne, aber auch durch die Politik und internationale NGOs
Hamburg

Kathrin Hartmann ist eine Journalistin aus München, die bereits mehrere aufrüttelnde Bücher veröffentlicht hat. In ihrem neuesten Buch setzt sie sich sehr kritisch mit dem Begriff der Nachhaltigkeit auseinander. Grundlage sind ihre Reisen nach Indonesien und Bangladesch, wobei sie die entsprechenden Lebensmittel, nämlich Palmöl und Shrimps, gerade als nicht nachhaltig entlarvt. Hartmann bezeichnet "nachhaltiges Palmöl" als den Schmierstoff des grünen Kapitalismus - als eine seiner vielen bloß scheinbaren "Lösungen" für nachhaltiges Wirtschaften, diese

Idee, Wachstum und Naturverbrauch mit Hilfe neuer Technologien zu 'entkoppeln'.

Ausschließlich um solche "Lösungen" geht es in diesem Buch.

Was "Aus kontrolliertem Raubbau" so wichtig macht, sind die Beschreibungen von Hartmanns eigenen Recherchereisen und ihren Erfahrungen mit Kleinbauern und lokalen Umweltschutzorganisationen - also das, was sie wirklich vor Ort erlebt hat. Sie hat Palmölplantagen in Indonesien besucht, auf denen Menschen ausgebeutet werden und die durch das Abholzen der Regenwälder (oftmals illegal, aber staatlich geduldet - "legalisiertes Landgrabbing") entstanden sind. Aus jenen Regenwäldern, die dabei übriggelassen und im Namen der Nachhaltigkeit unter Naturschutz gestellt werden, werden dann die Indigenen und Kleinbauern vertrieben. Die Autorin war auch in Bangladesch, wo sie sich mit der Shrimps-Aquakultur ("pinkes Gold") auseinandergesetzt hat, die das Problem der Überfischung in keinster Weise löst:

... ein Drittel der Seefische [wird] als Futter für Aquakulturen gefangen.

Shrimpsanlagen versauern und vergiften auch die umliegenden Ackerflächen dauerhaft, was zu stark sinkenden Reisernten führt. Das ist die neue Kolonialzeit:

Die satten Shrimpsgenießer in den wohlhabenden Ländern fressen den Hungernden in Bangladesch also buchstäblich die Teller leer.

Wobei

der Marktzugang via Zertifizierung das neue Zwangsmittel für die Länder des Südens

ist: Der reiche Norden diktiert die Vorgaben, z.B. für öko-zertifizierte Shrimps.

Unternehmen, Staaten und internationale NGOs geben dem ausbeuterischen und Regenwald vernichtenden Palmölanbau sowie den Shrimps-Aquakulturen (als zwei konkreten Beispiele von vielen) einen nachhaltigen "Anstrich":

Denn Nachhaltigkeit ist nur ein wohlklingendes Wort für Systemerhalt.

Natur und Klima werden nur gerade so weit geschützt, wie es nötig ist, um das Wirtschaftssystem zu erhalten. Ein Beispiel ist der Runde Tisch für nachhaltiges Palmöl, der auf Initiative des WWF entstanden ist. Hartmanns Kritik nimmt auch ökologischen Anbau nicht aus, da dieser auf ehemals (und oftmals illegal) gerodeten Regenwaldflächen stattfindet und riesige Monokulturen nicht biologisch sein können. Ihr Hauptkritikpunkt insbesondere an staatlichen Einrichtungen wie der deutschen "Gesellschaft für internationale Zusammenarbeit" (GIZ) und großen Umweltschutzorganisationen ist dieser: Dass sie nie mit den betroffenen Kleinbauern und Indigenen selbst sprechen. Die "nachhaltigen" oder sogar ökologischen Projekte dieser Institutionen werden immer über den Köpfen dieser Landbevölkerung hinweg gemacht.

Hartmann entlarvt den Kapitalismus in Gestalt internationaler Unternehmen als die Hauptursache sowohl für Armut und Hunger als auch für die Zerstörung unserer Umwelt. Das ist nicht neu. Was mir allerdings vor der Lektüre ihres Buches nicht bewußt gewesen ist: wie zerstörerisch auch vermeintlich nachhaltige oder sogar ökologische Landwirtschaft weltweit wirkt.

Ausführlich setzt sich die Autorin mit Bill Gates und seiner Milliardenstiftung auseinander, die wie ein Krebsgeschwür in alle gesellschaftlich relevanten Bereiche hineinwächst und Gesundheitssysteme in den ärmsten Ländern der Welt zerstört. Weitere Themen sind die weltweite Saatgutkontrolle, insbesondere durch Monsanto. Auch das Märchen von der Wunderwaffe Gentechnik im Kampf gegen den Welthunger entkräftet Hartmann: Beispielhaft zeigt sie auf, dass genmanipulierte Auberginen in Bangladesch nur kümmerlich gedeihen. Außerdem haben gentechnisch veränderte Pflanzen sogar zu einem Anstieg des Pestizidgebrauchs geführt.

Im Schlusskapitel von "Aus kontrolliertem Raubbau" geht Hartmann auf Alternativen ein. Gesellschaftliche Veränderungen entstünden

stets durch Aufklärung, Erkenntnis, Diskurs, Portest und solidarischen Widerstand. Dadurch, dass Menschen auf die Stimme ihres Gewissens gehört und danach gehandelt haben.

Hartmann baut auf dem Wachstumskritiker Niko Paech, dem Globalisierungskritiker Elmar Altvater und Ulrich Brand, einem Professor für Internationale Politik, auf. Eine

Änderung der imperialen Lebensweise des Westens

ist unabdingbar, und hier sind es die kleinen Revolutionen von unten, Proteste wie "Wir haben es satt" und jener gegen TTIP, die greifen. Auch im globalen Süden sind es die einfachen Leute, die Kleinbauern mit ihrem Konzept der Ernährungsunabhängigkeit, auf die Hartmann setzt. Von ihren Reisen ist sie

mit großer Hoffnung zurückgekehrt. Weil die Menschen, die ich dort kennengelernt habe, mit einer so großen Leidenschaft und Kraft, Liebe und Solidarität, Phantasie, Klugheit und Mut ganz selbstverständlich Widerstand gegen die Zumutung einer totalitären Gesellschafts- und Weltordnung leisten.

Hartmanns Buch ist sehr reichhaltig an Informationen. Der Standpunkt der Autorin ist klar. Ihren oftmals sehr polemischen Schreibstil habe ich als etwas störend empfunden, es hätte ausgereicht, die wirklich schlagenden Fakten für sich sprechen zu lassen. Ich kann dieses Buch empfehlen, insbesondere denjenigen, die meinen, durch ihren gehobenen ökologischen und nachhaltigen Konsum doch schon genug für die Umwelt zu tun.

 

 

 

 

 

 

 

Kathrin Hartmann
Aus kontrolliertem Raubbau
Wie Politik und Wirtschaft das Klima anheizen, Natur vernichten und Armut produzieren
Blessing Verlag
2015 · 448 Seiten · 18,99 Euro
ISBN:
978-3-89667-532-3

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