aufm irrweg lässt sich genausogut spazierengehen

express!-Rahmenbeitrag
ein stream muss her
Statement

du warst schon vorhin im richtigen raum, elke (=unterm offenen himmel, im bleichen licht et cet); des autors ahnung, es sei der schluß des buchs noch nicht gelesen worden, galt wohl mir (weil ich kommentarspaltigerseits fragte, ob das mit den nummern undsoweiter); sie galt mir zurecht: ich hatte die texte durchaus studiert mit heißem bemühen, aber den diversen gliederungselementen gar zu wenig aufmerksamkeit geschenkt. das geht natürlich nicht, just im vorliegenden fall, wo diese gliederungselemente uns was zur zumindest intendierten "leserichtung" sagt. ...

also nachgereicht, auch in hinblick auf die kommentarkommentare über verstehen und offenheit und proseminare ...

erstens,

dass wir all-só den aufbau der "flüchtigen monde" beschreiben können: 31 mit arabischen zahlen nummerierte gedichte, sieben mit römischen zahlen, 29 ungezählte; mit arabisch vier beginnt der reigen und endet mit arabisch drei. die kapitel heissen

FLUT
EBBE
SICH UMDREHEN IM TRAUM
AMPHOREN
SICH AUF DER FLUCHT UMDREHEN
PFLANZENFAMILIEN
SANDFAMILIEN
THEAS ENDE

ohne die texte zu kennen, können wir nun denken: aha: 31 - die tage eines langen monats, dann VII, die tage einer woche, in der sich mutmaßlich alles – was auch immer, erstmal – zuspitzt und memorabel wird (weil: inschriftcharakter römischer zahlen und so). dann auch, in hinblick darauf, dass der band nicht mit dem "1." gedicht beginnt, sondern dem "4.": entweder, was da geschieht, hat die eigenschaft von (zyklischer?) wiederkehr (ahhh); oder wir habens mit irgendeiner sorte von rückblende zu tun (ohhh), oder beides, oder chaos. wir denken alles dieses und legen es zu allfälliger späterer verwendung ad acta.

zweitens,

zum narrativ: es gibt da offensichtlich eine thea, nicht nur in jener einen letzten überschrift. mit ihr endet der band, der "arabische" gedichtzyklus aber beginnt mit ihr – das vorletzte gedicht steht im inhaltsverzeichnis als "2. thea beim duschen", und ein paar gedichte vordem heisst es:

ich nenne mein rheuma beim namen, thea rheuma,
auf welcher bahn sich die energie verliert, unbekannt.
thea prostata, weltliche schmerzen, hochstaplerkraft.
ich bin die verzweiflung des tags bei sonnenuntergang,
ich bin der einflussmann ohne fließend wasser.
ich gehe freiwillig schlafen. wohin mich das führt?

... ist diese "thea" also wirklich bloß "göttin", so eine vage frauenförmige generalallegorie (frau welt, herrin der zipperlein, wie sie mit den gezeiten schlimmer oder besser werden; sachwalterin des jungseins / altwerdens; tannhäusers dämonin)? wo sie doch wenig später, im erwähnten text nummer "2.", ganz greifbar duschen gehen wird, während das ich "draussen" mit der mutter herumsitzt, in einer szene, nicht der einzigen, die nahelegt, dass diese thea dem ich seine ganz konkrete geliebte o.ä. ist (und zwischen diesen beiden texten als nützliches text-du verwendung findet).

es gibt alles das, also hinweise, anspielungen, mehrdeutige figuren; gewählte formulierungen, die in hinblick auf solches rätselwerk wohl stets was leisten, aber von denen man nicht alle verstanden haben wird (was dann erschwert, in der schmalen spur des bisschen "handlung" drinzubleiben - am schon zitierten beispiel: "der einflußmann ohne fließend wasser", der "freiwillig schlafen" geht, ok, das bekomme ich noch zusammen: prostatabeschwerde, kann nicht pissen, schmerzen verleiden den feierabend, also ab in die heia mit dem machtgewohnten ich, in rührendem gegensatz zu seinem sonstig-alphamännischen dasein ...). kommentatorin verena hat das begeisterter so beschrieben, dass "flüchtige monde"

erst durch wiederholtes lesen erarbeitet werden will, erst durch überdenken einzelner gedichte, verse, worte und durch das verstehen der fäden, die unter den jeweiligen Gedichten/Zyklen zarte Verbindungen ziehen, auf poetologisch- theoretischer Ebene verstanden werden möchte.

mir dagegen soll reichen, dass es diese labyrinthische ebene des ganzen bandes gibt; ich vertraue komplett darauf, dass alle echten und papierenen wände, alle fährten, silberfäden und fallstricke an ihren stellen sitzen ... und ich revidiere sogar noch gerne mein rasches wort "antimystisch". zumindest manches hier wird im strengeren wortsinne mystisch sein, also: in geheimen, nur den eingeweihten zugänglichen zeichen abgehandelt werden.

das widerspricht nun alles nicht meinem ersten eindruck, individualgeschichte sei hier montiert als traditionengeschichte. das sagt nur, dass ich mich beim lesen dieser individualgeschichte übers buch hin weit mehr anstrengen muss als beim lesenden herausarbeiten der bezüge auf die tradition im einzelnen gedicht. (bis an den punkt, da ich mich fragen darf, obs überhaupt beabsichtigt ist, dass ich die "story" kapiere – ist die am ende nur für diese eine, na, sagen wir "thea" zu ihr, bestimmt? oder: ist es solche intimität, die inszeniert wird?) und damit – 

drittens –

zu den einzelnen gedichten. die gehen für sich genommen ohne eingeweihtensprech-verdacht in mein gehirn. weil auf dem cover "flüchtige monde" steht, lese ich sie (und las sie schon, ehe ich auf meinen gliederungslapsus gestoßen wurde) als ebensoviele miniaturen, in denen "monde" der literaturgeschichte zu sich kommen, von einem ich auf brauchbarkeit hin abgetastet, abgeglichen mit dem eigenen. dass viele der gedichte strengst klassische rhythmik aufweisen, gehört zu den details, die mich in dieser leseweise noch bestärkt haben ganz zu anfang; gehört auch zu den gründen, warum ich geschrieben habe: "lustig, das". (ist das ein zeichen von betriebs- und/oder proseminar-blödheit?)

zum schluss:

wir können uns jetzt fragen, ob wir mehr gewinnen, wenn wir übers großganze weiterreden – drinnendraussenzeug – oder über einzelne solcher gedichte – obenuntenzeug, einstundheutezeug. beides zugleich wird kompliziert werden.