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Kritik

„Ausdrucksvolle Wirklichkeit”

Hamburg

Statt der etwas gar zu plakativen Antithese, wonach Kultur sei, was nicht Natur sei, geht Weber es so an, daß Kultur die Natur des Menschen sei, eine ihrer Spielarten. Dementsprechend reicht das „»Wilde«” bis tief in uns, in den „Geist” Ist die Alteritätserfahrung also, was Kultur von Anbeginn ist, ohne, daß es diese Alterität so gäbe. Das sind Überlegungen, die sich schon bei anderen finden, so bei Nancy, der vom „Selbanderen” (Dekonstruktion des Christentums) schreibt.

Daraus entwickelt Weber in seinem Essay, vielleicht aber auch Plädoyer, worin manchmal Dogmatisches aufscheint, eine Lebenspraxis. Überzeugend ist das, wo es um die Beschreibung dessen geht, um die Sprache, derer es bedürfe: „ein »Sprachen mit«”, so Weber. Allerdings geht dem Weber nicht nach, oder nur in kleinen Schlenkern, sondern propagiert wieder: Es gebe eine „Superwissenschaft”, als gäbe es die Feinheiten der Epistemologien, die Fächer je erproben, eigentlich gar nicht, als ginge es da nicht eben längst um den Respons, das Lesen, das Ausloten der Wissenschaftssprache. Man müsse den neoliberalistischen Neodarwinismus bekämpfen. Die Natur selbst lehre einen dies:

„Anstatt effizient zu sein, ist Natur verschwenderisch. Verluste gleicht sie durch maßlose Vergeudung aus.”

Das Individuum kann dieses Kalkül freilich nur nachvollziehen, wenn es in seiner Transzendenz vollkommen aufgeht, mit seinem Mut zum Scheitern sehr wahrscheinlich untergeht, aber das Minimum (mit-)ermöglicht, das alles ändere. Man partizipiert so immerhin an „der ausdrucksvollen Wirklichkeit” seiner selbst. Poetisch stimmt das, „die »gesegnete Wunde« des Missverständnisses” bringe das Gedicht zu sich, so Weber mit Derrida – die Aufblähung des Prinzips ist dennoch bei Bataille radikaler, häßlicher und klarer formuliert, wo hier die „Daseinstapferkeit” etwas pathetisch und friktionsfrei zu sein scheint:

„Der Mensch ist die Art und Weise, wie sich die Erde denkt, wenn sie von der Unbeschränktheit träumen darf”,

schreibt Weber – das wäre so, wenn der Mensch nicht das Wilde in sich trüge; oder: es schon da auslotete. So ist die „Unbeschränktheit” aber, woran dieser Traum gemessen eine Kinderei sein mag. Alles in allem ist dies ein Band spannender Anläufe, das gewiß; aber manches bleibt mit Weber „ausdrucksvolle Wirklichkeit” von – ja, wovon..?

Andreas Weber
Enlivenment. Eine Kultur des Lebens
Versuch einer Poetik für das Anthropozän
Reihe: Fröhliche Wissenschaften
Matthes & Seitz
2016 · 153 Seiten · 12,00 Euro
ISBN:
978-3-95757-160-1

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