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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Kritik

Ein Gedicht von ...

Metamorphosen #14
Hamburg

Die neue Ausgabe der Metamorphosen trägt das Titelthema "Ein Gedicht von...". Seit die Zeitschrift im Verbrecher Verlag erscheint und dessen hartes Entweder-Oder-Erscheinungsbild in der Grafik übernommen hat, hält man ein gutes Stück Buchkunst in den Händen. Der Umschlag ist in melancholisches Violett getaucht, ein funktionierendes romantisches Zugeständnis, der Rest aber: dicke Balken, schwere Textblöcke in schwarz-weiß und/oder invertiert und zum Glück jedem Beitrag entsprechend unterschiedlich gesetzt, und eine sattsam bekannte Black-Flag-Logo-Reverenz auf dem Cover, die zusammen eine wie gesagt harte und entsprechend auch einigermaßen unsinnliche Atmosphäre erzeugen. Umso überraschender und in gelungenem Kontrast dazu stehen die ersten vier Textbeiträge, die beinahe ausschließlich einer fast klassischen Orts-, Natur-, Betrachtungs- und Empfindungslyrik anhängen. Gleich die ersten beiden Gedichte von Tobias Roth sind konkreten Orten schon im Titel verhaftet (Isartal bei Lenggries und Cadore):

(...)

Ich suche nach einem Ausdruck für die
Stimmen der Dohlen, suche wohl in den
Wortschätzen, in Skizzen einer Verkündigung.
Der offene Kiefer der Gipfel reißt den
Wolken die Bäuche auf, rauchende Lefzen,
Brotfarbende, dunkelblonde Wände und

Unterhalb
Der Geburtsort Tizians: Er erinnert sich
Durch die Häutung des Marsysas:
Gräben, für Soldaten, die sich Jäger nennen.

Auch Laura Lichtblau, Moritz Gause und Lena Mareen Bruns lassen sich in ihren Beiträgen auf Orte ein, nehmen Bezug auf den Ort der Entstehung des Gedichts, auf dazugehörige Beschreibungen und Assoziationen, auf Schichten von Vergangenem oder Spuren in die Zukunft an dieser Stelle der Welt. Sehr nett an der Präsentation der Lyrik-Auswahl ist, dass vor den eigentlichen Gedichtbeiträgen mehrseitige Interviews mit den LyrikerInnen gebracht werden, die auf eine fast niedliche Art und Weise nackt und intim im strengen Layout stehen und ehrliche Statements ungefiltert zulassen, sodass die jeweilige Persönlichkeit der AutorInnen im Vordergrund steht. Bisweilen fast interessanter als der Lyrikbeitrag selbst. So sagt Moritz Gause von sich:

(...) Solang ich denken kann, wollte ich immer weiter Richtung Osten. Und hier in Zentralasien (Bishkek) habe ich nicht das Gefühl, unbedingt noch weiter nach Osten zu müssen (...) Im Moment habe ich das Gefühl, dass etwas in mir anders ist, ich kann nicht so schreiben wie zuvor (...) Die Gewissheit, dass mein Schreiben richtig ist, erodiert von Jahr zu Jahr stärker.

Lena Mareen Bruns schreibt in ihrem Gedichtzyklus Inselspiele über die Statuen auf den Osterinseln. Im Interview sagt sie, dass "manche Orte so wund" seien und dass Lyrik als eine Art wechselseitige Wahrnehmungsmaschine in Verbindung mit Orten funktioniere, dass diese sich gegenseitig schärften, anregten und einander im Gedicht wiederfinden würden; dass es eine "Übung und Herangehensweise" gebe, um "in einen Zustand genauer Wahrnehmung, einen Schwellenzustand" zwischen "Imagination und Realität" zu geraten, der mit "Worten auslotbar" sei.

Der erste, der hier bricht, ist Rick Reuther, der mit seinen Gedichten eine andere Position einnimmt und der vor allem im Interview zeigt, dass er nicht von seinen Texten zu trennen ist. Wo Roth und Co. sich erklären und über sich erzählen, bleibt Reuthers Visier geschlossen und ein spannender anregender Assoziationsstrom geht dem eigentlichen Beitrag voraus. "Je transpluralistischer die Umgebung, desto geiler." Und: "Gedichte als Ansätze vielleicht – müssen das unbedingt noch Gedichte sein? Auf jeden Fall sollen sie laut was können." Dann folgt Reuthers Doppelseite mit vier Beiträgen, die typographisch oft zu anspruchsvoll sind, um sie an dieser Stelle korrekt wiederzugeben. Noise aus remixten Phrasen, Fragmenten, Fundstücken und Originalen wie z.B.:

#
umgebung geht rein. wie nix / wie weißer riese.
potosi, die tiefe mitte europas
morion / balaclava / tropenhelm & innerer hausgebrauch
snapback,
le dessous des cartes. vertikale produktionsketten, möwen üben
oxidieren als gegenteil von echtzeit, I
(...)

Timo Brandt geht nach Reuther in eine klassischere lyrische Form zurück und erklärt im Interview, dass Sprache für ihn ein Ausweg bedeute, auch so etwas wie Wut auszudrücken, worauf zwei recht persönlich gefärbte Erinnerungs-/ Stimmungsgedichte Brandts folgen.

Martin Piekar, frisch gekürter Preisträger des „Superpreises“, den die Zeitschrift mit-ausgerichtet hat, verkündet – hauptsächlich parataktisch, dem Prinzip der sparsamsten Erklärung gehorchend – warum seine Dichtung "Zutun und Zerlegen" sei. "Wie erlebe ich Pornos, wie erlebe ich Migration, wie erlebe ich Armut?"; wie derartiges als zu collagierendes Trichtermaterial seine Aufgabe des Dichtens bestimme und dass jener Dichter jemand sein, der "alle Einflüsse unterkriegt und dabei noch eine eigene Note setzt". Interessant seine Aussage zur politischen Lyrik:

Das Verhältnis von Gedicht und LeserIn ist Demokratie. Die Rolle, die der Autor dabei übernimmt, habe ich dabei allerdings noch gar nicht so sehr durchblickt. Ich brauche noch Zeit, um das herauszufinden.

Indessen schreibt Piekar dies:

(...)
Wer Revolution fordert
Will vernascht werden
Wofür ich demonstriere
Weiß keiner
Außer mir, komm doch her
Wenn du mehr wissen willst
(...)

(Aus 'An die Kinder des Lichts oder zur brandheißen Neueröffnung der EZB')

Tobias Herold arbeitet in seinen Beiträgen mit Collagen und Vorgefundenem wie z.B. dem legendär-seltsamen Reklamesatz "Dafür stehe ich mit meinem Namen" von Claus Hipp. Herold macht daraus:

Älter werden ist eine gerechte Sache: Älter wird jeder. Entrückt
wie einst Claus Hipp stehe ich mit meinem Namen zwischen dem
verfluchten Acker und so Obstbäumen da und schau mir all die
Dinge hier in der Natur in Ruhe an. Näher werd ich sie jetzt nicht
beschreiben. Wer das will, kann das ja selber machen (...)

Jan Russezki nennt sich selbst einen "Kurator von Stimmen", er kreiert Gedichte aus dem Sampling von vorgefundenen Gedichttiteln, von Kaléko bis Wagner, wohingegen Anna Hetzer sich erneut auf Orte und Strukturen einlässt und eine strenge minimalistische Form der Auseinandersetzung wählt:

als kinder spielten wir indiana jones
auf der suche nach patronenhülsen
buddelten wir ziegelsteine aus

beschwerer für libellenflügel
und verbogenes metall

nicht zuzuordnen einem tanker
einem haus. als schnee fiel

rodelten wir, läuteten das neue jahr
mit feuerwerken ein vom trümmerberg.

Matthias Friedrich schätzt an Lyrik, dass sie im Grenzbereich pendle. Dass sie eine literarische Gattung sei, die versuchen kann, Grenzbereiche abzubilden, auch wenn sie natürlich ephemer seien. Auf die Frage, ob er auch Prosa schreibe, antwortet Friedrich:

Ich stelle immer wieder fest, dass für mich der Stil interessanter ist als die Geschichte, und ich mag es einfach nicht, zu erzählen (...) das wesentliche Element der Literatur besteht für mich darin, die Handlung mithilfe der Sprache zu überschreiten.

Magda Kotzurek folgt mit quer zur Leserichtung stehenden Prosagedichten, über die sie im Interview gefragt wird, ob sie mit der Gefahr ihres Tempos und den damit verbundenen Lese- und Verständnishüpfern bzw. Überlesungen klar komme. Sie antwortet, dass sie genau das sehr schätze, da "Überforderung und Komplexität" erzeugt würden und "Irritation und poetische Situationen" auftauchten, gerade, wo man sie am wenigsten erwarte.

Mein Freund ist Primatologe er spielt Ball mit Bonobos Schimpansen Gorillas und Pavianen Bonobos ficken immer sagt er wenn wir mit Leuten was trinken weil die dann alle lachen aber Schimpansen mag er am liebsten sie sind so schlau schiebt er hinterher und erzählt dann die Geschichte der Affen die von den Versuchslaboren geschickt werden die von den Medikamenten und Hirnexperimenten dass die immer schlecht abschneiden bei Tests und manchmal noch geschorene Köpfe haben das finden die meisten eklig bäh sagen sie dann deshalb kommt zum Schluss noch was Lustiges: damit in den Zoos kein Inzest beginnt gibt es Austauschprogramme ein weltweites Netzwerk zoologischer Gärten die Tiere tauschen zum gegenseitigen Befruchten Tiere in Gefangenschaft reisen somit am meisten und zwar genau dahin wo die meisten Menschen sind also Tiere in Zoos umgeben von Menschen in Wohnungen umgeben von Parks umgeben von Straßen irgendwann umgeben von Meer und von Wald wo dann auch wieder Tiere leben jemand trinkt einen Schluck jemand stellt was ab jemand rückt den Stuhl das war wohl die Pointe

Die letzte Beiträgerin ist Carla Hegerl, die sehr verknappte, präzise und streng komponierte Verse verfasst, die insgesamt am besten zum eingangs erwähnten harten Layout der Metamorphosen passen. Ihre konsequenten Drei-Zweizeiler haben den "formalen Anspruch", "durch ihre jeweiligen räumlichen Positionen miteinander in Verbindung zu treten". Der dritte und der vierte Drei-Zweizeiler lauten:

All dies wird ausgestellt: Das Zurückschlagen dunkler Kapuzen.
Das Fenster. Die Seife. Baum. Darm. Das Wetter.

Das Scheitern an Brot. Wassergläser, Tischkanten usw. Die
wahren Fakten betreten das Leben rückwärts, das ist klar.

Drehungen: Kopf, Mund, Bein, Zeh, Hals, Zahn, Fuß, Klitoris,
Hirn, Positionen einer undurchsichtigen Box.

 

Die Präzision der Birken: Es gibt Oberflächen, Widerstand,
Schaltkreise. Es gibt Haut.

Warum die Wale, ist die Frage, stillhalten. Ihre exakte
Verortung, Begegnungen

Mit roten Schuhen: hier werden Brüste. Alle weiteren Fragen
stellen sich selbst.

Die „Ein Gedicht von...“-Ausgabe der „Metamorphosen“ schließt mit einer Kolumne nebst einigen Gedichten von Redakteur Christian Wöllecke, die nachgeschobenen und nicht besonders ernst gemeinten Charakter aufweisen, sowie mit einem kurzen Nachruf auf den kürzlich verstorbenen Wolfgang Welt, der den „Metamorphosen“ früh als Beitragender und Leser verbunden war.

Insgesamt gesehen ist die Auswahl wie immer ein Punkt. Was deckt sie ab? Hauptsächlich "junge Lyriker" von 1983-1993er Jahrgängen und vor allem DichterInnen, die einen Bezug zu den Metamorphosen aufweisen, schon mindestens einmal darin veröffentlicht haben. Dafür, kann man sagen, ist die Bandbreite an gebotenen Formen enorm. Es zeichnet sich zwar ein Hang zum weniger Experimentellen ab, aber was soll das schon heißen. Der Band ist gut lesbar, dicht und komplex und vielfach überraschend, ganz besonders durch die Entscheidung, die Beitragenden vor ihren jeweiligen Beiträgen selbst zu Wort kommen zu lassen und sie zu teilweise sehr interessanten strips bewegt zu haben. Empfehlenswerte Nummer.

 

Anna Hetzer · Lena Bruns · Laura Lichtblau · Matthias Friedrich · Rick Reuther · Tobias Herold · Magda Kotzurek · Christian Wöllecke · Timo Brandt · Carla Cerda · Tobias Herold · Moritz Gause · Martin Piekar · Tobias Roth · Michael Watzka (Hg.) · Moritz Müller-Schwefe (Hg.)
Metamorphosen 14
Ein Gedicht von...
metamorphosen
2016

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