„Ausdruck einer idiosynkratischen Weltsicht” – Sebald revisited
Fragt man im anglo-amerikanischen Raum nach bedeutenden Schriftstellern deutscher Provenienz im 20. Jahrhundert, so stehen die Chancen gar nicht so schlecht, daß der Name W.G. Sebalds fällt. Wie bitte? In Deutschland ist das ja durchaus anders, er ist kurioserweise fast ein Geheimtip geblieben.
Daran etwas ändern müßten eigentlich zuvörderst seine Werke. Sie zu lesen lohnt sich. Aber auch Uwe Schüttes neuer Band bemüht sich lesenswert und verdienstvoll um Sebald. Nüchtern Über W.G. Sebald betitelt, offeriert es Beiträge zu einem anderen Bild des Autors. Den Band eröffnet ein Plädoyer Schüttes, das verschiedene Qualitäten Sebalds skizziert, um derentwillen man ihn wieder und intensiv lesen sollte. Eine ist die Hinwendung zu „Randfiguren”, zu „aprofessional dilettantism”, wie er selbst schrieb, die seinem Sinn für andere Perspektiven entspricht – wie sie dieser Band Sebald’scher Manier ihm appliziert, so war’s jedenfalls gedacht.
Zu Sebalds Logik, die keine Kausallogik ist, sondern Evidenzen in Gang setzt, schreibt dann Sven Meyer, der – gestützt auf Äußerungen des Autors – diesen mit den morphogenetischen Feldern Shedrakes liest. Was am vorliegenden Band zuweilen mißbehagen könnte, ist da allerdings deutlich, auch wenn der Aufsatz durchaus ordentlich ist: Eine 1. exotische Verbindung wird 2. kaum anders als positivistisch belegt und dient in der Folge zu 3. nichts. „Ausdruck einer idiosynkratrischen Weltsicht” – das ist als Bilanz dürftig. Ferner ist 4. nicht bei allen Beiträgern immer klar, inwiefern das Bild anders sei – anders als welches?
Bei Schütte, dessen Beitrag freilich empfohlen sei, ist das Unerwartete in Nuancen gegeben, im Nachlaß, an Projekten, die Sebalds „Naturgeschichte der Zerstörung” klarer zeigen. Der emerierte Anästhesiologe Peter Schmucker liefert eine feine Studie zur Intertextualität, die aus feinen Details einen wunderbaren Befund subtil herleitet: daß Sebald in sein Labyrinth lockt, um den Leser „an der Kunst teil[zu]haben” zu lassen, ein emanzipatorischer Ansatz. Und aus der oft kleinen Differenz zwischen Sebald und dessen Nachahmung arbeitet Adrian N. West, auch sein Beitrag interessant.
Auf solche Lektüren sollte die Sebald-Forschung setzen – oder, wenn es eben Sheldrake sein soll, so auf doch ein raffinierteres Generieren von Evidenz: und raffinierte Ableitungen, was das nun bedeute. Gleichwohl ist der Band ein wichtiger Anstoß, der in der Sebald-Forschung nicht unbeachtet bleiben wird.
Fixpoetry 2017
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben