Stay Weerd!
Am 13. Januar 2017 nahm sich Mark »k-punk« Fisher das Leben. Es war eine traurige, wenngleich nicht unbedingt überraschende Nachricht, hatte der Autor doch selbst in seinem kulturtheoretischen Denken voll aus der Krankheit geschöpft, die ihn letzten Endes wohl das Leben kostete: seine Depression. Fishers Karriere begann 1989 am Ende der Geschichte, wie sie Francis Fukuyama 1992 rückwirkend ausrief und speiste sich in ihren Thesen aus den Erwiderungen Jacques Derridas, der im Folgejahr mit Spectres de Marx wider Fukuyama das Gespenst des Kommunismus erneut herauf beschwor.
Der von Derrida geprägte Begriff der hantologie, die Wissenschaft vom Gespenst-Seienden, wurde maßgeblich für Fisher, der in der Post-Rave-Musik eines Burial und den verknisterten Ballroom-Sounds von Leyland James Kirby ebenso wie in Filmen wie Stanley Kubricks The Shining-Verfilmung den hantologischen Spuren der Gegenwartskultur nachforschte. Die Zeit schien aus den Fugen, der Weg für den Capitalist Realism – so der Titel von Fishers 2009 veröffentlichtem Hauptwerk – geebnet. Seine eigene Depression verwendete Fisher als Ausgangspunkt für die Analyse einer Gesellschaft, der Symptomatik sich ebenso als Depression lesen ließ: Irgendwann hatten wir aufgehört, an Alternativen zu glauben.
Kaum drei Wochen nach Fishers Tod erscheint mit The Weird and the Eerie sein letztes Buch. Darin fügt er Sigmund Freuds Begriff des Unheimlichen, der gleichsam in die Derridasche Gespensterkunde einging, zwei Nebenbedeutungen hinzu, die ihm zufolge den kulturellen Diskurs des 20. Jahrhunderts bestimmten, an dessen Anfang wiederum Freud mit aller editorischen Macht seine Traumdeutung stellen wollte: Ursprünglich am 4. November 1899 veröffentlicht, wurde die erste Auflage auf das Jahr 1900 zurückdatiert. Freud wollte seine Theorien an die Schwelle zum neuen Jahrhundert stellen.
Wie Freuds Unheimliches erscheinen uns Fisher zufolge die weirdness wie die eeriness an der Schwelle, doch ist seiner Auffassung nach die Blickrichtung eine andere: Was weird und was eerie ist, das erschließt sich uns von außen und nicht wie im Falle des Unheimlichen von innen. Das Weirde bringt zwei Sachen zusammen, die nicht zusammen gehören, ist mit einem Wort H.P. Lovecraft von einer »realen Externalität« geprägt, wie Fisher ausführt: Die Welt des Fantastischen und unsere sind aneinander gekoppelt. Eerie hingegen wird es dann, wenn metaphysische Fragen ins Spiel kommen: »Warum ist da etwas, wenn dort nichts sein sollte? Warum ist dort nichts, wenn dort etwas sein sollte?«.
Paul-Henri Campbells eigene Geschichte beginnt kurz vor dem Ende der Geschichte, er soll es also erleben. Vor allem aber überlebt er es. »Meine Krankheit ist ab ovo«, schreibt der 1982 geborene Lyriker nüchtern im Nachwort zu seinem Gedichtband nach den narkosen. »Die Gesunden, die auch die Lehrbücher der Anatomie und der Pathologie schreiben, nennen meinen Zustand insuffizient, defekt, abnormal.« Das umfasst ebenso sein Schreiben.
In Anlehnung an Judith Butlers Begriff der Heteronormativität schlägt Campbell den der Salutonormativität vor. »Alles ist von und für gesunde Menschen gedacht, die Institutionen, die Metaphern, die Vorstellungen des gelingenden Lebens, unsere religiösen Kategorien. Kranke stehen naturgemäß quer zu diesen gesunden Paradigmen.« Seine Sprache, so schreibt er, komme aber aus der Insuffizienz. »Sie weiß von vornherein, dass sie eine andere Welt bewohnt.« Wenn Campbell also schreibt, dann wird es weird, wird es eerie, und manchmal beides zugleich.
nach den narkosen findet seine Schwelle im Jahr 1989, dem Ende der Geschichte. Als ihm Schläuche in den Körper geführt werden, ihm Kameras eingeführt werden – Kameras, mit denen von außen aufs Innenleben geschaut werden kann. Währenddessen schaut der kranke Junge selbst durch einen Röhrenfernseher aus seinem Krankenzimmer im US-amerikanischen Militärkrankenhaus in die reale Externalität des Weltgeschehens:
»but what did i care about the iron curtain
i switch from cnn to espn ‘it’s over there’,
i think to myself as the camera zooms-in«
Das Weltgeschehen wird weird, während an der Schwelle eines neuen Zeitalters ein Tumor aus dem Kopf Campbells entfernt wird. Eerie der, sollte doch an dieser Stelle gar nichts sein, sollte doch die Operation den stockenden Verlauf der Zeit wieder begradigen:
»1989 groß wie eine avocado im kindskopf
und alles wieder wie gestern you’ll be okay honey«
Campbells Umgang mit seiner Krankheit unterscheidet sich dezidiert von anderen lyrischen Versuchen der Bewältigung. Er sondiert nicht wie Thomas Kling die Sedimente des Selbst, sondern verschachtelt seine Innen- und Außenwelten miteinander, sondern schreibt radikal aus der Krankheit heraus und autobiografisch bilingual zwischen deutscher Unheimlichkeit oder englischer weirdness und eeriness changierend. Es ist eine gedoppelte Sprache, die zugleich Haltung ist: Schonungslos, vielleicht lindernd, in jedem Fall doch aber entgegengesetzt zu einer Sprechhaltung, die sich hinter dem vielbeschworenen Tod des Autors zu verstecken sucht. Campbell schreibt aus seinem Leben, wie er um sein Leben schreibt. Das ist unheimlich, das ist weird, das ist eerie. Das ist notwendig. Weil es auch eine Frage nach der Verantwortlichkeit der Literatur aufwirft, die allzu gerne aufgeschoben und ästhetischen Spielereien nachgestellt wird. Campbell aber konfrontiert mit Körper und Wort:
»viele wochen später wirst du mir
gestehen dass du jedesmal erschrickst
sooft du hineinblickst ins offene«
So wie der Theoretiker in der eeriness einen Ausblick aus der mondänen Realität oder, in seinen eigenen Worten, dem kapitalistischen Realismus, verschafft, so bietet der Lyriker nicht minder vielversprechende Einblicke in eine Literatur, die dieser Realität verantwortungsvoll gegenübertritt. Das ist vielleicht schon nicht mehr weird, sondern eventuell sogar der Salutonormaitivität gegenüber weerd so wie der Heteronormativität nach Judith Butler das Queere als Anderes entgegentritt.
Campbell beobachtet im ausgehenden 20. Jahrhundert, welches auch bei Fisher im Zentrum steht, eine »Literatur der Zeugenschaft«. Zeugenschaft, das ist auch so ein Begriff, wie er bei Fishers Vordenker Derrida von zentraler Bedeutung war. Was Campbell indes dagegen ins Feld führt, ist eine »Rebellion ohne Anklage – ein trotziges Lamento«, ein »Aufstand gegen das Unabänderliche, das Verfügte, die natürliche Ordnung der Dinge.« Auch Fishers Projekt wandte sich in selber Weise gegen den kapitalistischen Realismus, auch sein Schreiben nahm eine andere Perspektive als die salutonormative ein. Er hat seinen Kampf gegen die Krankheit am 13. Januar 2017 verloren, seine Schriften aber bleiben. Lang leben die Gespenster des Mark Fisher. Und Campbell? Stay weerd.
Mark Fisher ·The Weird and the Eerie · Repeater Books 2017 · 140 Seiten · ca. 10 Euro ISBN: 9781910924389
Paul-Henri Campbell · nach den narkosen · Verlag Wunderhorn 2017 · 96 Seiten · 18,80 Euro ISBN: 978-3-88423-556-0
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