Im Bett mit Kopenhagen
schattenwurf mit kabelbrücke (c) Frank Milautzcki
1 Zurrprobe
Ich bin ein ziemlicher Trottel. Ich habe den hohen Respekt vor Meisterdenkern verloren, aber fürchte mich in der Regel vor der großen Klarsicht. Am liebsten ist mir der Dämmer, morgens und im Sommer auch abends, die erste oder die letzte Stunde des Tages. Dann haben die Dinge ein besonderes Aussehen. Obwohl sich nichts verändert hat, ist es plötzlich scharfkantiger oder wird auf schöne Weise unscharf. Es ist weniger mathematisch und viel einfacher tief. Auf eine warme Art tief.
Wenn ich versäume in solchen Stunden zu schreiben, dann lese ich meistens. Es gibt stapelweise Bücher im Haus, auch viele ungelesene, überflogene, herbeigetrödelte. Manche Bücher haben eine echte Geschichte, von der aber nur ich weiß:
Ich erinnere einen Aufsatz, den ich 1991 in einem Probeheft des Philosophie-Magazins Philosophia Naturalis gelesen hatte. Er ging um Bells Theorem und das Einstein-Podolsky-Rosen-Argument und stammte von Erhard Scheibe, einem Heidelberger Professor für Philosophie der Naturwissenschaften. Das gesamte Heft handelte in einer Weise von ernsten, letzten Dingen, die ich absolut nicht verstand. Es wimmelte von logischen Zeichen, Formeln, Vektoren im Hilbertraum, Gesamtsystem im Spinzustand und einer beliebigen Orthonormalbasis. Und manche Aufsätze waren sogar in Englisch. Mir kochte der Kopf. Ich hatte dergleichen zuvor noch nie gelesen und war doch so guter Hoffnung gewesen, mir Denkinspirationen in einer Zeitschrift namens Philosophia Naturalis abholen zu können.
Denkinspirationen, die mir hätten bei einer Entdeckung helfen sollen, die ich nach einer Nachtschicht gemacht hatte: daß das Geheimnis aller Dinge darin besteht, wie sie gegen das Nichts bestehen. Ich stand nach einer harten Nacht völlig ausgetrocknet auf der Terrasse unserer Kellerwohnung, Frau und Tochter schliefen noch, ich war mit dem Fahrrad heimgekommen und körperlich kurz aufgekocht, ein Bier und eine Zigarette sollten mich jetzt wieder abkühlen und bettschwer machen, als ich in der Aschenkrone das Brennen erkannte und verstand, was Nichts ist: der unverzichtbare Partner des Etwas, das sich zeigt und durch den Moment in den nächsten Moment fällt. Die Bühne der Zeit, der Antipode der Dauer. Wir alle fallen durch die Zeit, brennen uns leer. Und da wir es gemeinsam tun, ist es unsere Zeit, in der es kein Vor und kein Zurück gibt, sondern nur das Jetzt, mich, wie ich mit Kippe und Bier auf der grausam siebziger Jahre gefliesten Terrasse stehe und mich freue über einen Blick auf die Spitze meiner Zigarette.
Aus diesem Erlebnis heraus, begann ich wiederfinden zu wollen, was die vorangegangenen Jahre als musikalischer Punk „in Suff und Kino“ (Christoph Derschau) verlustig gegangen war. Denken, klares Wissen, eindeutige Ansage. Die Konfrontation mit dem Nichts. Ich besorgte mir Fachbücher über Kernphysik, von denen ich so gut wie nichts verstand, Populärwissenschaftliches über den Kosmos und die Welt der Quanten, und selbst das war alles schwer verdaubar, Zeitschriften stapelweise: Bild der Wissenschaft, Spektrum der Wissenschaft, Universitas. In meinem „Arbeitszimmer“ sah es aus! In den Schichtpausen las ich und als ich dann Vormann war, nicht mehr nur in den Pausen, sondern auch heimlich. Ich begriff immer mehr, daß ich niemals würde das Niveau erreichen können, all die kruden Phänomene und kuriosen Theorien zu verstehen. Ich wollte die schleichende Entmutigung nicht wahr haben und erklärte nachts im Bett meiner Frau den Kosmos (statt mit ihr zu kuscheln). Und im Pausenraum lenkte ich Diskussionen dahin, wo ich meine angelesenen Blitze auspacken konnte.
Aus dieser Zeit stammt der Name Erhard Scheibe. Er ging mir deshalb nicht verloren, weil sein Artikel einer war, mit dem ich lange lange rang. Und vor drei oder fünf Jahren schlenderte ich über den Flohmarkt und fand seinen Namen auf einem dicken gebundenen Buch prangen. Ich kaufte es für 1 Euro und es verschwand in einer Kiste.
2 13.04.2017
Sonntagmorgen: Mit einem Raumdrachen rummachen: Lese Erhard Scheibes „Philosophie der Physiker“ und darin eine Mitteilung von Pauli an Born, über Einsteins Kritik an der damaligen Fassung der Quantenmechanik: Einstein nehme Anstoß an der in der QM gemachten Voraussetzung, daß der Zustand eines Systems erst durch die Angabe einer Versuchsanordnung definiert sei. Plötzlich macht irgendetwas klick. Ich spüre ganz deutlich, wie irgendeine Münze fällt und eine Maschine startet. Ich schreibe schnell und ohne Plan, was mir durch den Kopf geht und weiß dabei schon um Widerstände:
3 Zysteme
Wenn man diese Kritik betrachtet, kann man sehen, daß es sich um zwei Systeme handelt, von denen gesprochen wird. Albert Einstein möchte „das System“ betrachten, wie es rein und ohne die Zutat eines Versuchs beschaffen ist, die QM betrachtet aber „das System“, das misst. AE kann von der Hoffnung auf einen prinzipiell störungsfreien Blick einer Theorie auf das Geschehen nicht lassen, während die QM die Störungen durch das Vorhandensein eines Blicks beschreibt. AE fragt also eine ganz andere Beschreibung nach, nämlich diejenige, welche das Geschehen erklärt, auch wenn es keine Versuchsanordnung und keine Störung der Betrachtung gibt. Er bleibt damit einer Realität treu, die auch funktioniert, wenn man nicht in sie eingreift, sondern nur denkend (mit Hilfe einer Theorie) durchdringt. 1955 schreibt er: „Es gibt so etwas wie den 'realen Zustand' eines physikalischen Systems, was unabhängig von jeder Beobachtung oder Messung objektiv existiert ...“. Es gibt das, was alle Atome dieser Welt tun, unabhängig davon, ob sie von einem Physiker betrachtet werden oder nicht.
Das nennen wir mal die Realität 1.
Die QM betrachtet eine ganz andere Realität, nämlich jene der Einmischung des Versuchs. Nennen wir sie Realität 2. Für Bohr ist diese Realität die eigentliche, weil der Versuch real geschieht und reale Daten erzeugt, für die sich mathematisches Rahmenwerk finden lässt. Weil die QM genau diesen Moment beschreibt, ist sie auch diejenige, die für diesen Moment gilt.
Realität 1 ist basaler, so funktioniert die Welt, auch wenn niemand sie anschaut.
Realität 2 ist speziell, so funktioniert die Welt, wenn man sie anschaut.
Man sieht sehr leicht: Realität 2 ist ein Spezialfall von Realität 1.
Aus diesem Konflikt haben philosophierende Physiker ganz kuriose Weltbilder hervorgezaubert, u.a. die Idee, die Welt gäbe es nur, weil es mich als ihren Beobachter gibt. Daß Realität 2 ausschließlich für die Weltsysteme gilt, für die ihre Formeln geschaffen wurden, nämlich den eingeschränkt gültigen Versuchswelten, und darüber hinausgehende Verallgemeinerungen in die Realität 1 hinein überhaupt nicht statthaft sind, wurde jeweils gern vergessen und damit meine ich nicht nur in belachten esoterischen oder populärwissenschaftlich dramatisierten Übertreibungen, sondern auch in mannigfaltigen Weltmodellen von Physikern.
Die Frage ist: gibt es eine Welt, die funktioniert, auch wenn niemand sie anschaut? Eine, die wir nicht messen wollen (abgesehen davon, daß wir sie nicht störungsfrei messen können), die abseits von unserer Anschauung geschieht und sich verhält, wie es ihr an ihrem Ort gefällt. Das ist eigentlich eine superleicht entscheidbare Frage. Aber nicht, wenn man Quantenphysik betreibt.
In Ermangelung einer stimmigen Theorie zur Realität 1, die die Realität 2 als Spezialfall enthält, haben die Theoretiker der QM sich beschränkt auf das mögliche Wissen über die Realität 2 und dieses nach und nach, quasi von hinten her aufgezäumt, zum möglichen Wissen generalis ausgebaut. Aus der Tatsache, daß wir in Quantenbereichen nichts messen können, ohne es zu beeinflussen, hat man die Tatsache gemacht, daß sich Quantenbereiche eben generell nicht messen lassen.
Ich erinnere mich an ein Zitat von Johannes Erich Heyde: „Ein nicht Feststellen, daß eine Ursache vorliegt“, wird umgedeutet in ein „Feststellen, daß eine Ursache nicht vorliegt“. Also Heisenbergs praxisnahe, banale Erkenntnis zur Realität 2: „Wir können die Gegenwart in allen Bestimmungsstücken prinzipiell nicht kennenlernen“ wird umgedeutet in eine basale Aussage zur Realität 1„es gibt keine Gegenwart, von der alle Aspekte gewußt werden können“.
Anhand dieses Satzes sieht man, was passiert. Unser Befähigungsproblem „Wir können nicht“ wird erhöht zu einem generellen „Es gibt kein“. Hinter solchen Verdrehungen steckt auch eine unausgesprochene Grundannahme der Theoretiker: Was wir mathematisch abbilden können, ist wahr - was wir mathematisch nicht abbilden können, kann auf andere Weise nicht wahr sein. Wahrheit muß mathematisch abbildbar sein, mathematisch bestritten werden. Verborgen bleibende, für uns nicht zugängliche Parameter sind keine akzeptable Grundlage – da ist es besser, daß man erklärt, daß das, was wir nicht für wahrnehmen können, es so auch gar nicht gibt.
abgerissenes plakat (c) Frank Milautzcki
4 Die Kuh im Lasso
Ich finde es sehr bezeichnend, daß gerade jene aufgepropften Interpretationen der QM, die aus unserer prinzipiell instrumentell beschränkten Befähigung und Zugriffsmöglichkeit eine generelle Unbestimmtheit der Welt hervordichten, für einen der großen „Paradigmenwechsel“ der Physik herhalten durften mit dem Hinweis, das neue Wissen würde uns zu einem neuen Denken zwingen, weil es „die feste Welt“ nun nicht mehr gäbe. Die QM muß seither in vielen Philosophien dafür herhalten, die Welt zu destabilisieren. Weil/wenn wir etwas nicht auf die Reihe kriegen (können), dann ist die Welt das schuldige Objekt, an dem das Determinieren scheitern muß.
Man könnte – theoretisch - annehmen, daß ein Elementarteilchen, das auf ein anderes trifft, sehr viel intimere Informationen erhält, als man (mann) maskulin (bis hin zur materiellen Einmischung durch Ejakulat) anzufragen fähig ist. Die für uns prinzipiell ohne Störung nicht beobachtbare Welt1 sich also durchaus in Geschehen zeitigt, die für andere Geschehensteilnehmer informationsreicher und direkt kausaler sind, als von uns je festzustellen.
Man könnte denken, daß an Geschehensorten nicht punktuelle Explosionen Weltgeschehen quasi im Gewaltentausch erzwingen, sondern daß dort aspektstarke Informationsfelder entstehen, Ursuppen, um es verballhornt zu sagen, aus denen heraus dann ganz folgerichtig umgestaltete Bruchstücke quantenhaft in die Umweltung weiterlaufen. Wir haben nach dorthin keinen Einblick, aber zu sagen, es gäbe es ein wie auch immer funktionierendes Dort nicht, ist ein faules logisches (ich nenne es „Kopenhagener“) Ei. Vielleicht sind Aussagen über ein Geschehen nur möglich, indem man seinen Geschehensgrund als eine Zwischenstufe eigenen Rechts (sofern wir von Gesetzen reden) und höchstspezieller Form ansieht, d.h. daß aus jeder Begegnung zunächst ein gemeinsames „Objekt“ anhebt, das über seinen Fortgang mit sich selbst verhandelt und dann wieder mit der Umweltung verhandelt.
Ich sehe die Informationsfelder2 dabei nicht als Objekt, sondern als Party, also als Handlungsbegünstiger oder Handlungsverhinderer, also Gestalter und letztlich Handlungsbegründer; und es ist aber nicht so, daß diese Felder realere physikalische Realität hätten, als die, eine Beschreibungshilfe für situative, aufsummierte Wahrnehmungsmöglichkeiten und der damit verknüpften Freiheitsgrade und Potentiale zu sein. Wie kann man das einfacher sagen?
A trifft auf B, das Geschehen bildet ein Begegnungsobjekt AB, dann geschieht, was geschehen muß: A + B lieben sich und verlassen verändert den Raum. Als C und D und eventuell resultiert auch ein Subjekt E daraus. Für das Resultat sind nicht nur die uns bekannten und meist männlich konnotierten Freiheitsgrade zuständig, es kommt nicht nur zu einem Eindringen und einer Explosion, sondern es greifen auch tiefreichende feminine Aspekte, Empfang, Umfassen, Vereinen, Aufnehmen. Es wird nicht nur malgenommen auf dieser Welt, sage ich hier, um eine Verbindung zu mathematischen Operationen zu erzeugen, die ja letzten Endes reales Geschehen abbilden sollen. Ein Geschehen, das sich ausschließlich aus den operationellen Hintergründen der von uns beherrschten mathematischen Fähigkeiten erzeugt, ist letztlich ein mathematisches Geschehen und man muß hier die Abbildungstiefe und Bildtreue der sehr begrenzten Operationen diskutieren, inwieweit Geschehen in seinem gesamten Aspektpaket, das direkt von der Eigenschaftlichkeit der Begegner abhängt, mathematisch fassbar und abbildbar ist. Von wie vielen Freiheitsgraden und Erhaltungsgrößen reden wir, wenn wir von einer Party reden: ein Lasso könnte eine Kuh fangen, wenn die Kuh sich zufällig hineinbeugt, um Gras zu fressen.
Das kann es tatsächlich – wenn alle Voraussetzungen stimmen, daß es passiert. Aber es können eben auch Abermillionen andere Dinge geschehen, je nachdem wohin die Geschmackszellen im Rindermaul die Kuh dirigiert, welche Erfahrungen sie mit diesem oder jenem Grün hat, mit den gelben Hakenblasen des Klees oder den harten, streng riechenden Geweben der Schafgarbe, überhaupt welchen Hunger, und welches Lüftchen den Hang hochweht, das das Lasso vielleicht verdreht. Keines dieser Ereignisse ist weniger „zufällig“ oder „unwahrscheinlich“, weniger „ausgezeichnet“ als dieses eine, daß wir als ausgezeichnet empfinden: daß die Kuh sich, mit einer Skabiose im Maul, direkt durch ein Lasso beugt.
Ich würde bei einem solchen Geschehen nicht von „Zufall“3 sprechen, sondern es ist ein absolut mögliches, begegnungskomplex sich jederzeit erfüllen könnendes, das sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit auch ab und an erfüllt. Es ist vollkommen determiniert durch die Eigenschaftlichkeiten, die sich in der Begegnung einen Verwirklichungsstrick drehen. Es ist aber eben auch nur eines von vielen möglichen Geschehen, die abhängig von der Eigenschaftlichkeit der Begegner im Mikrosystem die Chance auf eine Verwirklichung bekommen. Das Lasso ist durchaus geeignet eine Kuh zu fangen, aber die Chance, daß die Kuh ihm genauso zukommt, daß es sich ihr um den Hals legt, ist einigermaßen gering.
Warum? Weil die Kuh mehr Freiheitsgrade besitzt, die das Fangen verhindern, als die es ihr zuführen. Und weil das Lasso umstandsgelitten Probleme (es hängt schlaff von einem Ast) hat in ausreichender Weite geöffnet zu sein. Es sind immer unvermeidliche Resultate aus den Eigenschaftlichkeiten der Begegner zu konstatieren, die sehr genau über ein Phänomen entscheiden. Das sind Tunnel, durch die die Welt kommen wird. Das Lasso kann oder kann nicht die Kuh fangen, ob wir dort hinschauen oder nicht. Das liegt ganz allein an den Eigenschaftlichkeiten. Sollte unsere Anwesenheit auf das Geschehen Einfluß nehmen können, indem sie bspw. die Kuh veranlasst erschreckt den Kopf zu heben, so reden wir von einer komplett anders besetzten Begegnung, nämlich der Realität 2: Lasso, Kuh und wir, die nach der Kuh pfeifen. Das hört sich spaßig an, ist aber bitterer quantenmechanischer Ernst.
Will sagen: solange man keine stimmigen Vorstellungen von der Eigenschaftlichkeit von Teilchen und ihrer in Begegnungen möglicherweise wirksam werden könnenden Aspekte hat, sollte man keine wirklich weitreichenden philosophischen Konsequenzen aus dem mageren Pool der uns zugänglichen Aspekte ableiten, noch dazu, da sie an Punktgrößen festgemacht werden. Das bedeutet für mich, man muß Denkgebäude (auch jene der Quantentheorie) als das hinnehmen, was sie derzeit sind: hilfreiche Konstrukte - und jede philosophische Erhöhung und „Realiterisierung“, eine Erweiterung des Hilfskonstrukts in eine allgemeine Bedeutung hinein, ist m.E. nicht statthaft.4
Der mathematische Punkt ist eben auch nur eine Denkfigur. Ein String klingt dagegen schon mehr nach realistischer Tiefe und wer weiß, welchen Hall wir finden, wenn er seine Beschaffenheit in einem echten Raum auslebt. Nicht als dessen Subobjekt, sondern als Subjekt, das in seiner Bewegung Aussagen macht über seinen Zustand und mit diesen Aussagen etwas aufmalt, etwas vorübergehend Sichtbares, wie den Geschehensort von Information. Selig sind die Phantasielosen, die Bewegungen zweidimensional sehen, Wellen, wo eigentlich Schrauben sind, weil sie aus einer Kombination von Rotation und Fall bestehen (können). Physiker sind immer wieder überrascht, wenn kleinste Dinge anders dinghaft sind, als sie kleinste dinghafte Teile denken konnten.
Was verführt denn so konsequent dazu, Punkte relativ eigenschaftslos zu denken, als zusammengetriebenes, auf die Spitze verbrachtes, einsames Faktum? Ein Punkt hat eine Position in einem Koordinatensystem5 und sonst ... nicht viel, hat vielleicht eine Farbe, ist eventuell von gar keinem Gewicht. Solche Attributsarmut bedient Kausalitätsphantasien, die dann am besten funktionieren, je weniger Weltbeiträge einem Ding zugestanden werden, wenn der Punkt dann also auch noch freiheitsarm, weil streng mathematisch agiert.
Es sind Formeln aufzustellen, in denen Dingaktivität mit mathematischen Operationen verknüpft werden kann, Malnehmen, Aufaddieren, Abziehen, Teilen – alles in der Hoffnung mit mathematischen Vereinfachungen „punktuell“ richtig zu liegen. Seit den Chaostagen sind sehr vielfältige Operationen dazu gekommen, die man zuvor nicht beachtete: bspw. iterieren, dehnen, kneten, falten, quirlen, schrauben, aber angekommen in den alten Theorien sind solcherart Operationen nicht.
Machen wir ein ganz einfaches Gedankenspiel, das nicht viel, aber doch ein spezielles Maß an Phantasie bedarf: Wir fallen durch ein dunkles oder vielleicht helles oder vielleicht transparentes Nichts (das weder dunkel, noch hell, noch transparent sein kann). Wir, das sind jetzt wirklich wir, so wie wir gerade diesen Text lesen. Was passiert?
Nichts.
Nichts? Wir spüren noch nicht mal, ob wir fallen oder „an einem Ort“ sind.
Wirklich nichts?
Wir sind zumindest dabei, uns über uns selbst zu vergewissern. Wir versuchen nach den Seiten zu blicken, vielleicht uns zu drehen, kneifen uns in die Wange oder die Pobacke. Wir stellen Eigenschaftlichkeit an uns selbst fest und es gibt keinerlei Beziehungsgröße außer uns selbst. Die Selbstvergewisserung führt zu Aktivitäten, von deren Bewirkungen wir keine Ahnung haben. Möglich, daß der Griff zum Po unseren Körper in eine Pirouette zwingt, möglich, daß der Griff zum großen Zeh uns Purzelbäume durch Raum und Zeit schlagen lässt. Wir haben keine Ahnung davon, welche Wirklichkeit herrscht, solange nur wir selbst wirklich sind.
Nun sehen wir eine zweite Person auf uns zuschweben. Da sich diese Person plötzlich heftig am Rücken kratzt, sehen wir sie in einer Art Schraube auf uns zufallen ... mit reichlich Tempo …. und kawummmm. Getroffen fangen wir selbst an zu rotieren und verändern unsere Richtung, prallen zur Seite weg. Sobald die andere Person außer Sichtweite ist, hören wir auch auf zu rotieren – zumindest glauben wir das. Und was wir nicht gesehen haben, ist, die andere Person waren auch wir: wir, wie wir uns den Rücken kratzen.6
Was dieser kurze Ausflug zeigen sollte: Eigenschaftlichkeit erzeugt physikalische Phänomene. Ein mathematischer Punkt dagegen erzeugt keine physikalischen Phänomene, sondern benötigt Kräfte. Das mathematische Denken auf den Punkt hin ist vereinfachend und bequem und weniger spekulativ, als eine dimensionsreiche Mikrowelt, aus deren Eigenschaftlichkeit sich die Phänomene gestalten. Und: Die Vorgabe, mathematische Operationen seien rational, schützt vor dem Urteil der Abseitigkeit. So kann man selbst irrwitzigste Konsequenzen, die der „gute Menschenverstand“ niemals akzeptieren würde, aus beispielsweise Nullergebnissen heraus „mathematisch“ begründen. Aber sicher sein – wirklich sicher – kann man nicht. Die Mathematik drückt sich vor heiklen Momenten.
Alles ist immer und jederzeit begleitet von heiklen Momenten, die ein Unentschieden im Übergang anlegen und auf die Fürsprache einer Entschiedenheit hoffen, von der man nichts wissen kann. Es ist also die Momentsache eine Entscheidungssache.
„Entscheidungen sind Kommunikationsformen, die das Mögliche in die Form einer Unterscheidung bringen, Entscheidungsoptionen benennen, in denen nicht nur die gegebene Ordnung, sondern auch deren andere Seite – das heißt: deren ungeordnete Umgebung – zur erreichbaren Alternative wird. Damit das gelingen kann, müssen sie also die gegebene Ordnung auf den Punkt bringen. Das entzieht natürlich der gegebenen Ordnung jede Selbstverständlichkeit, und das ist heikel. Entscheidungen – heikle Ereignisse – sind Zuspitzungen des Möglichen im Kontext des Unmöglichen.“ schreibt Maren Lehmann. Sie spielt damit erreichbare Alternativen in den Moment hinein, die nur existieren können, weil die dazugehörigen Eigenschaftlichkeiten existieren. Entscheiden kann sich nur, was sich unterscheidet.
lehmboden (c) Frank Milautzcki
5 „Do you hear logic music?“ (Hroppschnied)
Ernsthafte Schwierigkeiten habe ich damit, wenn Quantenphysik in poetologischen Entwürfen genutzt wird und man überall dort, wo ein Brodeln, ein Kippeln, ein Schweben der Realität ansteht, die Karte der Unbestimmtheitsrelation spielt und sich damit bei einem Geheimklub der Ahnenden und Verstehenden über die Unmöglichkeit von Wissen als Mitglied bewirbt: Nichts ist so wie es scheint im Flackern der Welt. Das Quantentreiben sei per se poetisch.
Ich erinnere eine Lesung, in der eine bepreiste Lyrikerin, den Hinweis auf die Quantenphysik mit einer aufdeckenden Handbewegung verband: Voilà, hier ist die Verbindung und der Beweis. Jedes Nichtwissen und jedes Nichtverstehen ist naturwissenschaftlich gedeckelt.
Oft sind solche poetologischen Zugänge Passierscheinanfragen – womit man durchzukommen gedenkt, strange constellations im Gepäck. Quantenphysik bietet Verstecke, Platz für Ungenauigkeit, die aber scheinbar wohlbegründet ist. So wird der eigene Zweifel in einem augenscheinlich viel tieferen, weltwesentlichen geparkt. Fishing for attributes.
Sicher ist, Quantentreiben ist beziehungsreich und geschehenstief. Das ist es aber nicht, wie wir gesehen haben, aus Lust und Laune, sondern aspektabhängig und eigenschaftsgebunden. Und wir begegnen ihm mit der Blindheit des Subjekts, die wir zu einer Unbestimmbarkeit, letztlich einer Art Freiheit umdefinieren. Das vor uns Liegende, Stehende, Flirrende oszilliert und subsummiert und verträgt oder erträgt, wird durch eigene Aktivität vom Objekt zum „Subjekt primordialer Korruption“, wie Marcus Steinweg (2013)das schreibt: „Es muß sich einlassen auf das, worin es längst eingelassen ist.“
Diese kaum fassbaren Wechselspiele und Rückwirkungen aus Eigenschaftlichkeit und substanzieller Begegnung sind oft auch typisch für das sprachliche Geschehen in einem Text. Operationen, die an bestimmten Aspekten ansetzen, erzeugen genauso einseitiges Verständnis wie in der QM, aber ein intuitives Verständnis für die prinzipielle Offenheit einer Bedeutung ist der Sprache schon allein dadurch mitgegeben, daß ihr Erwerb relativ und geschichtlich erlebt wird, also kaum in jener Weise „exakt bestimmt“, wie es in der mathematischen Sprache der Fall ist. Und solchermaßen freigelassen und „nichtbeschossen“ öffnen sich umgekehrte Kanäle – statt starre, eingelassene Gräben und Furchen, man hofft auf Überschwemmungen, Spüleffekte, wechselnden Wasserstand.
Textgeschehen mit Quantengeschehen zu vergleichen ist nicht wirklich verkehrt, wenn man … die richtige Idee eines Quantengeschehens dabei verfolgt.7
Phänomene sind nicht etwas, hinter denen ein Geschehen steht, sondern sie sind das Geschehen. Das ist der Gedanke, den Niels Bohr vertrat. Wenn wir ein Laboratorium bauen, indem Atome mit Photonen beschossen werden, dann muß diese Makrowelt in eine Betrachtung der Teilchenjets mit eingehen. Es gibt das Phänomen ohne den Makroanteil nicht.8
Das bedeutet fürs Schreiben von Text: es kommt darauf an, wer wann wo welchen Text auf welche Weise verfasst, wenn wir seine Phänomenologie betrachten wollen. Text ist aus quantentheoretischer Sicht Resultat eines Gesamtsystems. Leider sind die sichtbaren makroweltlichen Informationsanteile allein kaum hilfreich: Sonntagmorgen, Mann nach 50, sitzt vor dem netbook und tippt Sätze ein. Wen interessiert das? Muß das jemand wissen? Es gibt noch ganz andere Anteile, die “hinter den Phänomenen“ stehen und die nicht aus einer mathematisch logischen Systembetrachtung zu extrahieren sind. Ich möchte sie nur anreißen, sie sind absichtsgetragen, unbewußt eingestreut, personenbezogen, situationsbedingt etc., also nicht wirklich erfassbar, aber auf andere Weise nicht wirklich erfassbar als bei einem quantenmechanischen System à la Bohr.
Sie sind da und wahr. Und sie sind wirksam. Sofern Texte überhaupt Objekte sind, gibt es in ihnen subjektive Wirksamkeiten, die nicht nur von der Eigenschaftlichkeit eines Wortes und seiner Reaktionsfreudigkeit leben, sondern auch vom verborgenen Absichtenkatalog des Texterzeugers. „Kunst ist, was man will, nicht was man kann“ Heiner Müller (1982): Und: Textsysteme sind in der Folge auch insofern Quantensysteme, wie sie auf Beobachtung und Wahrnehmung scheinbar reagieren, indem sie im Leser Bewirkungen lostreten, die nicht einzuplanen sind.
Je mehr ich darüber nachdenke: niemand tut sich damit einen Gefallen Quantentheorie und Poetologie miteinander zu vermischen. Dagegen sprechen Begriffsprobleme und Verstehensfehler schon in der QM und die Vielzahl der verborgenen Parameter in einer Poetologie. Aber wenn es jemand (richtig) tut, dann hat er echte Textphysik und -chemie zu leisten und kann reaktive Phänomene systemisch beschreiben. Es ist eine echte Versuchung für echte Spezialisten.9
6 Der Tick vom TOE
Nachlässig finde ich es jedenfalls, wenn man das Denken und Schreiben über solche wirklich grundlegende Realitätsentscheidungen, wie sie stillschweigend in den Grundannahmen der QM enthalten sind, den „Spezialisten“ überlässt.10
Spätestens dann, wenn Billionen Gelder für den Beweis kurioser theoretischer Ansätze ausgegeben werden, weil man bspw. Symmetrien zu komplettieren sucht, und man aber kein Geld hat für Brunnenbau und Wasser in Somalia, Kenia und andernorts, wird das Ganze pervers. Daß brennende Weltprobleme hinter den Bewältigungsbemühungen einiger fast schon lächerlichen, theoretischen Entscheidungen zurückstehen, ist für realitätsverbundene und entsprechend geplagte Menschen kaum zu ertragen (wenn sie denn wüßten, mit welchen Problemen sich die Naturwissenschaft tatsächlich auseinandersetzt - wißbar, weil beraubt um die Fachsprache Mathematik und die Patschalistenterminologie). Wissenschaft hat was mit Verheißungen zu tun und mit einer mathematischen Religion, die unserer technokratischen Gesellschaft zugrunde liegt. Der welterklärende Mensch ist schließlich der weltbeherrschende Mensch – und Weltherrschaft rechtfertigt scheinbar jeden Kollateralschaden.
Ich halte es hier mit der Idee, wie sich Männlichkeit (als diktierendes, entscheidendes Moment) im Formelschreiben widerspiegelt und dann auch mit Margaret Wertheim, die in ihrem Buch „Die Hosen des Pythagoras“ (1998) u.a. die Rolle der Frauen in der Entwicklung der Physik als Wissenschaft beleuchtet und zu dem Schluß kommt, daß das übermächtige Begehren mit bspw. einer Theory Of Everything (TOE) die letzten Geheimnisse ausleuchten zu können (die uns berechtigen quasi an Gottes Seite zu sitzen), ein typisch männlich dominiertes ist. Der Mann, der die Regeln findet, verwaltet göttliche Potenz. Frauen sind eher bestrebt, das Jetzt am Laufen zu halten, während Männer das Jetzt übertreiben und sich im Jetzt verewigen wollen.
In Hitlers 400 Quadratmeter großem Arbeitszimmer stand ein riesiger Globus, in der Ecke zwar, und nie Teil irgendwelcher Portraits, aber vielleicht sinnbildlich: der Überschauer und Überblicker ist nie weit davon ein Beherrscher zu sein. Insofern ist die Kugelgestalt ideal für Gernegroße. Den Reichsapfel in der Hand regiert sich allumfassend. Im Apfel ist ein göttliches Attribut eingefangen, im Regentenstab das technische, mechanische Prinzip. Gottgleiche ist für manche Männer verlockender als Sex, denn Sex gibt es gratis - in Folge der Macht. Der Gottgleiche vögelt siebzig Jungfrauen, der Zweifler onaniert in seiner Kaschemme.
Margaret Wertheim schreibt: „Die TOE-Physiker ähneln … einer dekadenten Priesterkaste, die von der Bevölkerung den Bau immer prächtigerer und kostspieliger Kathedralen erwartet und ihre Ansprüche ständig höher schraubt.“ Und etwas weiter: „Wir brauchen in der Physik eine neue Kultur, die weniger auf quasi religiöse, hochabstrakte Ziele fixiert ist und sich stärker um die Bedürfnisse und Sorgen der Gesellschaft insgesamt kümmert. Ich denke, mehr Frauen in der Physik könnten zu einer Wende in diese Richtung beitragen.“
Seit dem Zitat sind gut 20 Jahre vergangen und es gibt beweisbar heutzutage mehr Frauen in den harten Naturwissenschaften als damals, aber von ausgeglichenen Verhältnissen ist man noch sehr weit entfernt. Wendemäßig ist nicht viel passiert. Frauen sind heute einfach gleich gut oder besser als Männer – in der männlichen Mathematik.
Die Grundhoffnung hinter der Bemerkung von Margaret Wertheim war nicht unbedingt eine emanzipatorische, sondern es ging ihr auch um Bereicherung, um die Erweiterung der Denkfarben, um eine andere Balance und eine andere Tiefe. Es ging ihr darum, den maskulinen Wunsch nach Gottgleichheit mit sehr viel irdischeren Ideen auszugleichen, also im Endeffekt um einen Fortschritt, der die Gegenwart des Menschseins nachhaltiger und verträglicher verankert, als jede allwissende TOE es kann oder könnte. Wenn es denn einen „mathematischen Mann“ gibt, der kraft seiner Denkentscheidungen wirklich basale Kulturprägungen zeitigt, dann ist es höchste Zeit abzuprüfen, ob sein Galopp in die unbedingte Rationalität überhaupt „zielführend“ ist und stimmig gedeckelt, statt ihn aus einer Spezialistenecke heraus weiterhin jene Behauptungen und Verheißungen priesterlich formulieren zu lassen, die am Ende vielleicht unsere ganze Menschheit in eine ungültige Gleichung verwandeln.
Letzten Endes brauchen wir ein Korrektiv, eine Mathematik anderer Qualität (und reden dabei nicht von Zahlenmystik, sondern von operationellen Erweiterungen, von Geschehensweiten und Zulassungsbreiten).
7 Ungleiche Himmel
„It's me, entertaining you“ - Wenn unsere mathematischen Sprachen die Informationen der Welt als Felder verstehen könnten (nicht als Bitsummen), in denen Dinge nicht nur digitale Zahlenkombinationen sind, sondern auf denen Dinge Möglichkeiten dynamisch ausagieren (indem sie interagieren), dann käme es zu einem Zugewinn semantischer Dimensionen. So ist die Welt nämlich: bezugsreich und bedeutungsschwer, ins Subjektive poetisch verstrickt, weil Bedeutung den Körpern abgewinnend, vielmehr den Körpern, als vereinfacht dem Logos. Morphende Mathe wünscht sich der britische Mathematiker Ian Stewart.
Dieses operationelle Erweitern in die Körperlichkeit nutzt man in manchen mathematischen Zweigen der Chaosforschung, indem man Zahlenkolonnen zu sich selbst verschoben benachbart und so aus einer dann relativierten Welt flächige Bilder von Attraktoren erhält, die ein Weltverhalten viel deutlicher darstellen können, als verlorene Punkte in einem Koordinatensystem. Das Relativieren bringt also Verhaltensebenen auf den Plan, während das Bestehen auf dem Punkt jede Illustration vermagert. Noch zu oft ist das wissenschaftliche Denken auf Standpunkte vereist, von denen aus unsere Welt einer selbst herbeiverstandenen Flut des Mißverständnisses entgegenstarrt.
Und Mißverstehen gibt es zuhauf. Erblasten, lange gehegte und gepflegte, wissenschaftsbetrieblich gewollte Irrtümer und das Verschwinden von Denkalternativen im Schatten des Nichtgewollten. Man erfindet ein Hilfskonstrukt nach dem anderen, bloß um den Zusammenhang mit alten Irrtümer (und damit die Irrtümer selbst) nicht revidieren zu müssen, und verplempert dabei Milliarden.
Natürlich wird in den Naturwissenschaften smart, seriös, ernsthaft, fiebrig gearbeitet, aber eben auch mit viel theoretischem Sichtschutz, der die Einsicht des Normalbürgers behindert (und wohl auch behindern soll). Aktuelles Beispiel ist der Weihrauchnebel, der Konferenzen durchzieht, sobald von „dunklen Materien und Energien“ gesprochen wird. Sie werden notwendig, wenn die bisherigen Standardmodelle und deren Ergebnisse weiter gelten sollen. Obgleich es plausible Alternativerklärungen wie eine modifizierte Newtonsche Mechanik gäbe, will die Forschermehrheit nicht von spekulativen Bildern lassen, die man eindeutig nicht wird beweisen können – es gibt hier Besitztümer und man fragt neue Milliarden für deren Pflege und Hege an, statt in offenen Diskussionen sich selbst zu hinterfragen. Wer von Irrtum spricht, muß um Job und Ansehen fürchten.
8 Matrizenblitze
Als Werner Heisenberg alle klassischen Modelle verwarf und vorschlug, sich ausschließlich mit den beobachtbaren Fakten zu beschäftigen, griff, um Heisenbergs quantenmechanischen Vorschläge zu formalisieren, der Göttinger Mathematiker/Physiker Max Born eine Mathematik auf, die den betrachteten Sachverhalt treffender darstellte, als die normale Algebra: nämlich die der Matrizen. Deren Hauptkennzeichen ist es bei der Multiplikation nicht-kommutativ zu sein. Während in der Algebra normaler Zahlen die Reihenfolge von Operationen vertauschbar ist, führt das bei Matrizenrechnungen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Wenn zwei oder mehr Matrizen miteinander multipliziert werden, führt das je nach der Folge, in der man es exerziert, zu unterschiedlichen Ergebnissen. Dann ist vereinfacht gesagt 3 x 4 nicht gleich 4 x 3. Und die Matrizen bilden damit ab, was die Befunde im Labor der Physiker seinerzeit ergaben: die Zahlen, die ich erhalte, wenn ich die Eigenschaften eines Teilchens bestimmen will, hängen davon ab, in welcher Reihenfolge ich es mit meinen Apparaten befrage. Wenn ich zuerst seinen Ort wissen will, werde ich über den Impuls hinterher andere Aussagen bekommen, als wenn ich zuerst den Impuls messe.
Born hat gesehen, was alle sahen: daß Operationen die Ergebnisse beeinflussen, aber er war derjenige, der den Switch in die Matrizen vollzog, was bedeutet, daß er neue prinzipielle Gleichheiten dort entdeckte, wo andere verzweifelt Befunde in alte algebraische Muster zu zwängen versuchten. Er nahm die Matrizen für wahr und fand, daß ihre Prinzipien etwas abbildeten, nämlich die operationellen Probleme beim Betrachten des Kleinsten vom Kleinen. Was die „Erfinder“ der Matrizen (James J. Sylvester & Arthur Cayley im Jahr 1860) auf sehr abstraktem mathematischem Weg darlegten, war plötzlich brauchbar für neu gefundene physikalische Realität.
Solche Geschenke sind es, die der Mathematik ihre Leuchtkraft in Physikerkreisen verschafft hat. Neue Physik braucht neue Mathematik und deshalb ist die Hoffnung auf Impulse aus den Rechen- und Darstellungsmethoden der Mathematik dringender als die auf Einsichten der Physiker. Was man aus den vergangenen Chaosjahren gelernt hat, ist die Imposanz der geometrischen Darstellung chaotischen Systemverhaltens oder mathematischer Mengen, Attraktoren, Lebkuchenmännchen, Poincaré-Schnitte. Ein Wissen um die Mächtigkeit von Komplexität. Es fehlt noch das Wissen um die Mächtigkeit von Intimität und die Stabilität mikroreaktiver Arrangements.
Eine für mich sehr wichtige und auch persönliche Feststellung: Ich denke, die Quantenwelt ist nicht indeterministisch, in dem Sinne, daß in ihr der pure Zufall herrscht, sondern deterministisch in dem Sinne, daß in ihr Eigenschaftlichkeiten Bewirkungen erzeugen, auch wenn niemand zugegen ist, der das bezeugen könnte. Salopp gesagt: die Welt ist real und macht was sie will. Und daß wir sie dabei beobachten können, ist unser Glück. Und daß sie allein darauf schon reagiert, sollte uns tatsächlich zu denken geben. In dem Moment, wo ich den Ort eines Teilchens bestimme, ist mein Wissen völlig entsprechend meinem Tun und ausreichend komplett. Ein Teilchen, das ich auf einen Ort verpflichte, kann keinen Impuls haben. Wenn ich meinen Hund an der Laterne anbinde, dann kann er nicht fröhlich durch den Park spazieren. Das wäre völlig gegen jede Realität. Wenn ich ihn aber laufen lasse, dann werde ich ihn nicht unter der Laterne finden, sondern bestenfalls mich, wie ich ihn dort suche.
Dieses suchende Ich ist in der QM von großer Wichtigkeit: Es ist der Akt des Messens.
gittergewebe (c) Frank Milautzcki
9 Parade der Ochsen
Wenn ich im EPR-Paradoxon unterwegs bin, bin ich in der Hölle des Mißverstehens unterwegs. Man sagt: Die Abfrage der Polarisation eines Photons erzeugt seine Polarisation und im Falle einer Verschränkung kommt es zu einer “geisterhaften Fernwirkung”. Man ist tatsächlich bereit dem Photon ein ausgedehntes Dasein zuzugestehen, dem ein Erlebnis an einem seiner “Enden” instantan eine dann notwendige Beschaffenheit am anderen zuteilt. Dann bestimmt tatsächlich eine “photonische Eigenschaft” den Ausgang und Fortgang unserer Messung: der Eingriff hier führt zu einem Resultat, auch dort, wo es als Kopplung aufscheint. In Überlichtgeschwindigkeit.
Hier wird die verhängnisvolle Tiefe der Kopenhagener Deutung überdeutlich. Die Einsicht, daß man aus dem Wissen um einen Fakt, das Wissen eines anderen korrelieren kann (wie in dem berühmten Beispiel vom “Mathematiker Bertlmann”, das John Bell selbst aufgestellt hat: Bertlmann ist etwas nerdig und verpeilt, trägt stets eine rosa und eine grüne Socke, sodaß man, wenn man nur einen seiner Füße sieht, bereits weiß, welche Farbe die Socke am anderen haben muß) wird nur deshalb zu einem physikalischen Kuriosum, weil sie begleitet wird von der Behauptung, der Blick auf den Fakt generiere erst seine Beschaffenheit.
Einsteins Vermutung auf das Vorliegen von physikalischen Eigenschaften, die einem “Element der physikalischen Realität” quasi seine Seinsantworten diktieren, wird durch wie auch immer sich darstellende Versuchsergebnisse nicht verletzt – egal wie nah die Ergebnisse an den Voraussagen der QM sind, sie können es nur sein, weil das Untersuchte eigenschaftlich genau diese Ergebnisse “hergibt”. Es ist keinesfalls so, daß unsere Anfrage das Ergebnis erzeugt, sondern so, daß die Eigenschaft unserer Anfrage das Objekt dazu bewegt, die ihm mögliche Antwort herzugeben.
Der einzige Unterschied zu einer Befragung eines makroskopischen Objekts ist der, daß wir in den uns vetrauten Maßstäben die Gewißheit haben, es trage die Antwort auch dann mit sich herum, wenn wir es nicht sehen. Es wird blau sein, in dem Moment, wenn ich es anschau (und ich weiß, es bleibt blau, auch wenn ich es nicht mehr anschau).
Auf diese “Garantie” muß ich bei Quantenobjekten deshalb verzichten, weil der Akt meiner Anschauung Einfluß auf das “Aussehen” hat (es beileibe aber nicht bestimmt!). Das Quantenobjekt wird sich entlang ganz bestimmter, beschreibbarer Arten und Weisen verhalten – das ist ja gerade das, was die QM leisten soll und leistet, die somit selbst zum Kronzeugen für die “Eigenschaftlichkeit” von Quantenobjekten wird. Der EPR Streit um “physikalische Realität” ist ein Streit um das erzielbare, erwartbare Maß von eindeutigem Verhalten, und kein Streit um die Ontologie der “Elemente der physikalischen Realität” an sich. Etwas, das sich verhält, ist physikalisch real. Ob es sich makroskopisch oder quantenmechanisch verhält, ist Teil seiner Eigenschaftlichkeit. Und diese Eigenschaftlichkeit hat es, auch wenn niemand hinkuckt und wenn keiner beobachtet.
Man darf – richtig verstanden – eigentlich beiden Recht geben, Einstein wie er 1955 schreibt: „Es gibt so etwas wie den 'realen Zustand' eines physikalischen Systems, was unabhängig von jeder Beobachtung oder Messung objektiv existiert ...“ und Heisenberg mit seinem Satz: „Wir können die Gegenwart in allen Bestimmungsstücken prinzipiell nicht kennenlernen“ - wobei Einstein wohl, befügelt durch den Erkenntnisrausch seiner Relativitätstheorien, sich nicht nur schwer tut, sich von einer alles durchdringenden Theorie zu verabschieden, sondern auch gegen das Wort “prinzipiell” aufbegehrt, das ihm und jedem menschlichen Wesen genaueres Wissen eben prinzipiell verunmöglicht. Dieses Prinzip hängt vielleicht am menschlichen Wesen, nämlich am Entwicklungsstand seiner Mathematik, so hofft AE, und es mag nur eine Frage der Zeit sein und der Klarheit, daß man ins echte und letzte Wissen vordringt. Und so hofft er auf die menschliche Unzulänglichkeit, während die Quantenmechaniker kopenhagengetrieben immer mehr dazu übergehen, nicht das Problem im begrenzten, anthropozentrischen Perspektivenpaket zu suchen, sondern es in die Funktionsweise der Quantenwelt zu verschieben: Diese ist prinzipiell so beschaffen, daß wir sie nicht erfassen können, selbst wenn wir geistig und entwicklungsständisch dazu in der Lage wären. eine NoGo-Area.
Zu so einer Aussage gehört schon eine gehörige Portion Mut, den man sich aus dem Vertrauen in das logisch-mathematische Denken holt. Und so eine Aussage hat natürlich Gewicht. Das läßt Schwere spüren. Der Mensch ist gebunden ans Nichtwissen, er ist ausgeliefert, kein Überflügeln, kein Überfliegen möglich. Stop, bis hierher, weiter geht es nicht. Man ist wissenstechnisch bereits am Ziel und weiß Bescheid (und weiß also über das Nichtwissen Bescheid). Inwiefern eine solche Haltung realistisch, fatalistisch oder einfach nur arrogant ist? Und inwieweit Einsteins Haltung einfach naiv, old-style, menschenerhöhend oder vielleicht sogar religiös ist? Da prallen zwei Weltzugänge aufeinander, der bewußt phantasielose, trockene Rechner und der gerne weitgeschweifte, weitgreifende Denker. Und wahrscheinlich prallen noch sehr viel mehr Ideen aufeinander, die im Hintergrund aktiv sind.
Persönliche Bemerkung:
Ich mag mich nicht, wenn ich Recht habe – ich mag es, wenn ich berechtigte Zweifel finde. Ich suche nach Widerspruch und anderer Perspektive. Wenn ich Recht habe, so muß ich erklären, besitzen, verteidigen, wenn ich berechtigte Zweifel habe, darf ich falsch liegen, selber im Unrecht sein, darf alles stehen und liegen lassen, herumlaufen, Sichtweisen probieren.
Ernst Mach adressierte 1910 in einem Artikel an Max Planck: “Man pflegt in der populären Denk- und Redeweise der Wirklichkeit den Schein gegenüberzustellen. Einen Bleistift, den wir in der Luft vor uns halten, sehen wir gerade; tauchen wir denselben schief ins Wasser, so sehen wir ihn geknickt. Man sagt nun im letzteren Falle: Der Bleistift scheint geknickt, ist aber in Wirklichkeit gerade. Was berechtigt uns aber eine Tatsache der anderen gegenüber für Wirklichkeit zu erklären und die andere zum Schein herabzudrücken? In beiden Fällen liegen doch Tatsachen vor, welche eben verschieden bedingte, verschiedenartige Zusammenhänge der Elemente darstellen. Der eingetauchte Bleistift ist eben wegen seiner Umgebung optisch geknickt, haptisch und metrisch aber gerade.”
10 Priorio
Weil es tatsächlich alternative Wege gibt, die Welt mathematisch stimmig zu beschreiben, und wir jederzeit gut daran tun, unseren Weltzugriff in seinen Aspektpräferenzen zu hinterfragen, bin ich der Meinung, man sollte alles immer wieder und dann gerne bis in die Grundannahmen hinein ausleuchten. Naturwissenschaft ist keine Religion.
Prio 1: es sollen unsere dringendsten Gedanken nicht spekulativ in den Werdensgang des Kosmos zielen, sondern in aktuelle Erhaltungschancen für unsere Erde. Statt in die Höhe und eine Partnerschaft mit dem Allmächtigen, sollten man sich in die Tiefen des Jetzt einfragen, in die Turbulenzen und Ströme, die Formen und Bewegungen, die Blasen und Blubber. Es sollte Formeln geben für die Intimität von Differenz und die Logik der Transformation, für Stabilität von Struktur. Alles, was hilfreich sein könnte, das Jetzt mit einem konstanten Sein zu versöhnen.
Das ist das Wichtigste und es nennt sich Versöhnung, aber es muß natürlich und unbedingt auch Vertöchterung heißen. Es ist für mich der Mut, aus sich selbst heraus etwas zu sein, daß die Herkunft der eigenen Unzulänglichkeiten kennt und ihre Überwindung behauptet. Es hat natürlich mit der Erweiterung von Mathematik um Aspekte und Operationen zu tun. Das Feminine ist nicht der Stachel, der die Situation entscheiden will, sondern das Wissen um Relativität. Der Brünftige dagegen idealisiert die Zukunft und verspricht persönliche Himmel in die leere, neblige Luft, während das Schweigen sich verpflichtet fühlt, nicht entschieden und nachdenklich zu sein.
11 Tourbilanz
Was das alles mit Literatur und speziell Lyrik zu tun hat?
Ein alter Beitrag aus der Fix Zone:
In einer Vorbemerkung anlässlich der Lesung aus Kanne Blumma beim „Projekt Unschärfe“ am Neuen Museum Nürnberg im Mai 2014 entwickelt Gerhard Falkner eine „Poetik der Unschärfe“:
„Die poetische Sprache, und zwar nicht im unlogischen, sondern im außerlogischen Sinn, besitzt hingegen die denkbar größte Bewegungsfreiheit zwischen den durch ihren Besitzanspruch blockierten Begriffen und deren Anrainern und Nachbarschaften. | Mit anderen Worte, ihre Unschärfe erzielt sprachliche Nebenwirkungen, welche die Besiedelung mit neuer Bedeutung und eigener innerer Anwandlung ermöglichen. | Genau hierin besteht die bewusstseinserweiternde Wirkung von Lyrik, dass nämlich der ausschließlich durch Sprache begehbare Raum der sogenannten Wirklichkeit reicher und intimer wird. Dadurch wird Sprache von der Existenzbedingung zum Spielraum. | Genau dieser Spielraum ist es, in dem sich ungehindert von der Eindeutigkeit und von der in anderen Zusammenhängen zwingend erforderlichen Begriffsschärfe ein poetischer Überschuss bilden kann.“
Ich würde diese Argumente noch viel weitergehend unterstützen und dabei ausbilden, daß nur eine poetisch genutzte Sprache, der es erlaubt ist, neu zu bedeuten und Raum zu gestalten eine gleichwertige Weltsprache ist, in dem Sinn, daß ihre Prinzipien auch im Weltgeschehen wiederzufinden sind. Das hart Faktische der mathematisierten Weltbenennung ist nicht beziehungs-weise - es ist schlicht unklug, Verhalte und Beziehungen aspektreduziert zu verhandeln, weil in den Weltbeziehungen Relevanzen tatsächlich eher wie Musiken oder Gedichte auf- und ausschwingen. Beziehungsweisheit läßt sich am ehesten in entfesselten Zuständen und auf offenen Feldern erspielen, Worte und Begriffe müssen agieren können und sich gegenseitig entdecken. Unschärfe ist aus dieser Sicht das komplett falsche Wort, weil es noch von den Definitionshoheiten der Naturwissenschaften alten Stils herkommt und eigentlich unsere Unfähigkeit beschreibt, Weltgeschehen, das wir nicht anfassen können, ohne es zu stören, als vollkommen intaktes und gültiges Geschehen betrachten zu können. Weil wir ein Problem damit haben, für unsere mathematische Weltbeschreibung notwendige Größen ermitteln zu können, ist die Welt unscharf. Während die Welt kein Problem damit hat, sehr genau das zu tun, was sie tut: Eigentliches in Beziehung zu bringen und zu schauen, was daraus passiert. Es gibt einen intimen poetischen Prozess, der das Weltgeschehen reich macht (um die Worte von Gerhard Falkner aufzugreifen) und der nicht „unscharf „ist.
Poesie ist das Schärfste, was es gibt – wenn man spielerisch eine Speise aus ihr macht, die auf dem Weltentisch bukettiert wird. Der Vergleich hinkt nicht so ganz: was da angerichtet wird, entspricht dem Weltnaturell eher, als ein rein mathematisiertes Sprechen auftischen kann. Unschärfe ist tatsächlich eine Worthülse, die beim formelringenden Irren und Wirren während menschengemachter Messprozesse erzeugbar ist, aber kein poetisches Prinzip weltlicher Erkundung (die zur Kunde wird). Die Formel will Schärfe und landet im Wasser, die Poesie läßt schwimmen und erzeugt damit Form.
12 Roul Cigar Amul
Betrachten wir ein Zitat aus Ian Stewarts Buch „Spielt Gott Roulette?“:
„Dies bedeutet, daß wir zum Beispiel testen können, ob ein chaotisches Modell der Turbulenz genau beschreibt, wie sich die Flüssigkeit als Ganzes verhält. Dagegen können wir nicht testen, ob ein gegebenes Flüssigkeitspartikel tatsächlich die dynamischen Gleichungen von Navier und Stokes befolgt, jedenfalls nicht direkt, nicht auf die Art, wie Galilei seine Theorie von der Bewegung unter der Schwerkraft getestet hat. Einige Details der Theorie entziehen sich allen praktischen Tests.“
Diese Probleme erinnern doch sehr an jene Anfangsprobleme, die sich zeigten, als man praktischen und theoretischen Zugang zur Teilchenphysik fand. Es geht hier um die praktische Unmöglichkeit das Verhalten eines einzelnen Flüssigkeitspartikels deterministisch zu bestimmen, aber niemand käme auf die Idee aus dieser Unfähigkeit eine generelle Unmöglichkeit (die im Partikel selbst begründet ist) hervorzuinterpretieren.11
Im Gegenteil: Chaosforscher haben gelernt jenseits des Einzelergebnisses zu denken und zu formulieren, ohne aber dem Einzelergebnis seine determinierte Ursache zu nehmen. Es sind einfach die Anfangsbedingungen, die so mannigfaltig aufschlagen, daß Einzelbilder und Momentaufnahmen jederzeit anders ausfallen können, ja sogar müssen. Die Nicht-Wieder-Herstellbarkeit, die Un-Wieder-Holbarkeit, die Konfrontation mit dem Nichts, die dem Moment eine Sorte gibt und dann schon wieder unsortiert ist, bis der nächste Lufthauch entscheidet, was geht. Es sind Geschichten, die sich zeichnen. Die Zigarette verglüht im Ascher, eine Begrüßung fast ohne Belang, und der Schlaf ist ein bißchen ein Raubtier, das verstohlen dem Tag hinterhersteigt.
- 1. Physiker kennen den Begriff „Vertrauensintervall“, der meint eine bestimmte Varianz um gemittelte Ergebnisse herum, also aufgefundene Messgrößen, die sich im Einzelnen streuen und nur über ihre Breite gesehen Glaubwürdigkeit erlangen oder nicht. Während wir uns in einem Intervall bewegen, daß sich dadurch erzeugt, daß wir etwas willen wollen, was wir so nicht herausbekommen können, bewegt sich das Teilchen, dem etwas passiert, in einem tatsächlichen Reaktionsverhältnis: es ist betroffen/getroffen
- 2. Was ein Feld ist, wissen selbst die Physiker nicht genau. Man weiß aber, daß es eine prima Beschreibungshilfe ist, die bspw. im Fall des Higgsfeld durch Vermittlung de Higgs-Teilchens Masse herstellt. Was ist damit gemeint? Etwas bremst sich aus und erhält dadurch Masse. Die Vorstellung, daß Masse durch eine Umwandlung der Bewegung entsteht ist nicht neu, aber Higgs hat in seinem Denken als erster nicht die Beschleunigung, den explosiven Charakter im Visier gehabt, sondern die Bremsung, die Verlangsamung, das Gerinnen. Er hat damit vielleicht gar kein Teilchen entdeckt, sondern einen Mechanismus offengelegt, der mit Hilfe von Feldern und Austausch von Teilchen beschrieben werden kann, der aber ganz einfach den Informationszuwachs abbildet, den eine Anwesenheit gegenüber einer nicht-anwesenden Verstecktheit hat. Felder sind sozusagen Ereignisräume, entsprechend den Aspekten, die man untersucht.
- 3. „Zufall ist formal, in mathematischem Verständnis, von komplizierter Berechnung nicht unterscheidbar.“ Wolfgang Coy in „Berechenbares Chaos“, in: Die Künste des Zufalls, 1999.
- 4. Aber es gibt zig Interpretationen und logische Übertreibungen bis in den Rahmen der nobelpreisnominablen, seriösen Wissenschaft.
- 5. Ich lese das komplett anders: der Punkt ist der Grund für uns, ein Koordinatensystem anzulegen. Und ich kann unendlich viele Koordinatensysteme anlegen, in denen der Punkt immer genau das bleibt, was er ist und auch das Dort hat, das er ist. Keineswegs ist irgendein Raster bevorzugt stimmig und also ist nicht die Koordinate, etwas das der Punkt hat, sondern etwas, das man ihm geben kann.
- 6. Operationen wie Rückenkratzen, Wangekneifen und Zehfassen führen dank einer bestimmten Eigenbeschaffenheit zu Phänomenen, die mal diese oder jene Rückschlüsse zulassen und zu beschreibenden Festlegungen führen wie Wellencharakter, Polarisation etc. Die einzige Annahme, die wir machen müssen, um unterschiedliche Phänomene an ein und demselben Subjekt feststellen zu können, ist die, daß wir es nicht mit Punkten zu tun haben, meinetwegen mit Gummibändern oder flatternden Tüchern, mit verschlungenen Donats oder sich kratzenden LyrikerInnen.
- 7. Was aber ist die richtige, meinetwegen intuitive Idee. Da ich das nicht beurteilen kann, schlage ich vor, daß wir uns im Vorgriff über etwas verständigen: die richtige Idee wäre, sich über die Ideen zu verständigen.
- 8. Und es ist übrigens auch bezeichnend, daß wir in unseren Untersuchungstechniken immer wieder explosive Phänomene provozieren. Wer die Gewalten beherrscht, muß sich nicht über Ohnmachten sorgen.
- 9. Ein türkischer Kollege (Hallo Tassin!) antwortete auf z.B. die Frage, ob er sich zutraue, diesen oder jenen Produktionsrun anzuspinnen mit einer theatralischen Geste: „Naturrlich! Ich bin Patschalist“. Und naturrlich nicht nur für Produktionswechsel – als turkischer Mann ist man zur Selbstironie fähig und für so manches Patschalist, wofür andere Urologen brauchen.
- 10. „Die Welt dramaturgisch in den Griff zu bekommen, das geht heute ohne Beschäftigung mit der Wissenschaft überhaupt nicht. … Die Schriftsteller, die aus Vorsatz naturwissenschaftlich ungebildet sind, verstehe ich nicht.“ Friedrich Dürrenmatt 1990 in seinem letzten Interview.
- 11. Tatsächlich setzt sich in den fortschrittlicheren Physikerkreisen seit längerem der Gedanke einer „Modernisierung“ der QM durch, vor allem indem man sie „realistischer“ interpretiert. Zu Zeiten ihrer Entwicklung waren die Akteure doch sehr davon getragen, sich gegen den Determinismus der klassischen Physik abzusetzen und hatten ihr Heil in der „komplementären Neuheit“ der Kopenhagener Interpretation gesucht.
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