Der Bot des Autors
Ein Schaf strickt eine Socke aus der eigenen Wolle. Oder zumindest aus einem Wollfaden, in den es eingewickelt ist. Die kleine Illustration auf dem Buchcover könnte auch eine der unzähligen Figuren sein, die Clemens Setz in Wolken, bröckelndem Putz oder Pfützen entdeckt. Und sie dient natürlich als Metapher für sein neues Buch Bot, das angeblich ein Gespräch ohne Autor darstellt. Dabei ist nicht nur der Autor, sondern bisweilen auch der Mensch Clemens Setz in diesem Buch sehr präsent.
Dabei wollte Setz sich doch eigentlich dem Gespräch entziehen, als er bemerkte, dass er die von der Lektorin Angelika Klammer gestellten Fragen nicht oder nur recht uninspiriert beantworten konnte. Die Lösung für das Problem fand sich in „einer elendslangen Worddatei“, dem Journal des Autors, das dieser als „ausgelagerte Seele“ bezeichnet. Statt dem Autor stellte Klammer ihre Fragen der Datei. Mit künstlicher Intelligenz oder gar Robotik hat das nichts zu tun. Es ist ein simples Suchen nach Schlagworten und Zitieren.
Das Ergebnis ist jedoch weitaus mehr als ein Spiel. Wie bereits in früheren Büchern, etwa Setz' eigenwilligem Gedichtband Die Vogelstraußtrompete (2014) oder dem Roman Indigo (2012), werden auch mit Bot scheinbar feste Parameter der Literatur hinterfragt. Hier also in erster Linie die Instanz des Autors. Welche Rolle er für sein Buch spielt und welche Verantwortung er dafür trägt, sind literaturtheoretische Fragen aus dem letzten Jahrtausend. Literaturpraktisch geht es nicht ohne ihn. Vor allem dann nicht, wenn er ein Buch unter die Leser bringen will. Dann muss er, ob er will oder nicht, umso präsenter sein (Interviews, Lesungen, Buchmessen), notfalls präsent in seiner Abwesenheit (Pynchon, Handke, Roth).
Im Falle des Autorengesprächs mit Clemens Setz scheint es zunächst so, als habe sich der Grazer der Befragung entzogen. Allerdings erfährt man durch seine Antworten aus der Journaldatei Wesentliches über ihn und sein Schreiben. „Seit Jahren trage ich in ihr allerlei Gelerntes und Beobachtetes, Fundstücke und rants, Reiseaufzeichnungen und Nachrufe auf Tiere ein, ja sogar sonderbare Fotos und gereimte Gedichte finden darin Platz.“ Wie jedes andere Autorentagebuch auch gewährt Bot einen Blick hinter die Texte. Er legt die eigentliche Ideenwelt eines Autors frei, die wiederum durch dessen individuelle Weltwahrnehmung entsteht.
Das Einzigartige an Bot besteht nun darin, dass eine Lektorin dem Journal eine Gesprächsform gegeben hat, wodurch vor allem zwei Dinge gewonnen sind. Zum einen kann Setz auf die Eitelkeit verzichten, ein lückenloses Tagebuch zu veröffentlichen, da aus dem Kondensat zum anderen eine neue Art Künstlerinterview entstanden ist, die endlich einmal einen echten Mehrwert für den Leser bringt. Und es sei es nur, dass es auf besondere Weise unterhaltsam ist. Im SWR gab Setz zu, dass er sich in herkömmlichen Interviews aus Höflichkeit der Wahrheit verpflichtet fühlt. Allerdings: „Wahrheitsgemäß antworten ist oft so langweilig.“1 Dementsprechend lesen sich die Antworten des Clemens-J-Setz-Bots so:
Ab und an machen Sie Ausflüge in andere Epochen, Sie erzählen Till Eulenspiegel neu, schummeln einen Setz in Hebels Kalendergeschichten … Welche Epoche ist Ihnen besonders nahe? In welche würden Sie gern kurz schlüpfen?
Auf einem Gemälde von Jean Pierre Noblin de la Gourdaine aus dem Jahr 1793 sieht man eine Hinrichtung der Mitglieder der sogenannten »Konföderation von Targowica«, einer seltsamen und dunklen Episode aus der polnischen Geschichte. Es handelt sich allerdings nicht um eine echte Hinrichtung, sondern um eine in effigie: Auf dem Galgen ist lediglich das Gemälde des Verurteilten aufgehängt, ein zweites wird gerade von einem Handlanger über eine Leiter hinaufgebracht. Wer malte diese kleinen In-effigie-Gemälde? Noblin selbst? Vorstellung eines eigenen Berufsstands, des In-effigie-Malers. Es sollte unbedingt einen Roman geben aus der Sicht eines solchen, spielend im 18. Jahrhundert. Der In-effigie-Maler erhält immer dann einen Auftrag, wenn ein politischer Straftäter hingerichtet werden soll, aber von den Behörden nicht auffindbar ist. Dann muss er genau rekonstruieren, wie der Verurteilte ausgesehen hat. In Zweifelsfällen besucht er dessen Verwandte und studiert deren Gesichtszüge, verliebt sich, usw. Dazu seine tragische Position als Künstler, weil seine Werke immer gleich zerstört werden. Er malt fürs Feuer. Parabel auf alles Mögliche, usw., bla. Alles im Stil von Das Parfum. Bestseller. Cover mit Zoomausschnitt aus altem Gemälde. (Juni 2017)
Der Setz-Bot ist meist recht aussagefreudig. Die minimalen Verschiebungen des Gesprächsstandards zwischen Frage und Antwort irritieren da nur wenig. Zu wenig vielleicht, um dem Buch zusätzlich eine durchschwebende Metaebene zu geben, auf er man als Leser nicht nur über Autorenbilder, -rollen und -klischees nachdenkt, sondern auch über die Entwicklungen auf dem Gebiet der KI-Forschung.
Vom „ungewöhnlichsten“ bis „sperrigsten“ Buch der Saison hat das Feuilleton Bot. Gespräch ohne Autor kurz nach Erscheinen wieder die für Clemens Setz übliche Palette an Adjektiven und Etiketten mitgegeben. Wie so oft stellt Setz aber vor allem eine Bereicherung der deutschsprachigen Literaturlandschaft dar. Diesmal indem er die Leserinnen und Leser an seiner persönlichen Ideenwelt teilhaben haben lässt, die auf knapp 160 Seiten zahlreiche Stories und Szenen entfaltet.
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