Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Wiener Flaneure

Durch Geschichten und Zeiten

Beppo Beyerl und Rudi Hieblinger haben eine vergessen geglaubte Tradition wieder aufleben lassen: die des Flaneurs. Von der Paniglgasse sind sie in die Pinaglgasse gehatscht. Allerdings nicht auf dem direkten Weg, Umwege wurden bewusst und überall dort in Kauf genommen, wo Entdeckungen zu machen waren, denn Abschweifungen sind integrale Bestandteile jedes zielorientierten Weges.

Zu beobachten und zu bemerken gab es allerhand, wenn einer bloß die Augen offen und die Ohren steif hält. In den Straßen und Häusern verbirgt sich nicht nur Geschichte, auch Geschichten sind wert, endlich erzählt zu werden. Schnurren und Anekdoten zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

Eine Entdeckung ist zum Beispiel Leopold Hnidek, der von 1924 bis 1986 lebte, Kriminalgeschichten schrieb und dessen Hauptfigur der pensionierte Inspektor Pinagl war, mit dem Gassen-Namensgeber weder verwandt noch verschwägert. Hnidek war freier Journalist und begründete die Wiener Bezirksblätter. Gestorben ist der Mann auf einer Karibikinsel.

Und sie erinnern an den legendären Franz Bilik, Bibliothekar und „Vater“ der Wiener Liedermacher, an Friedrich Löhner-Beda, Kabarettist und Verfasser von Librettos für Operetten, ermordet im KZ. So manches seiner Lieder ist heute noch populär, ohne dass der Name des Verfassers im Gedächtnis haften blieb. Die Autoren folgen auch Spuren, die in Romanen oder Filmen eine Rolle spielten, wie der „Bockerer“ von Ulrich Becher; Emanuel Schikaneder, einst Theaterprinzipal und Textdichter für Wolfgang Amadeus Mozart. Und Wien wäre nicht Wien ohne den „Dritten Mann“.

Nicht zu vergessen all jene Örtlichkeiten, die mit einem Mord in Verbindung standen, wobei es bei dem Attentat des ungarischen Schneiders Janos Libényi auf Kaiser Franz Joseph 1853 beim Mordversuch blieb, da der Fleischhauer Joseph Ettenreich tatkräftig einschritt, wofür er später geadelt wurde und die Wiener bis heute mit der Votivkirche leben müssen.

Bierbrauereien, nicht mehr existierende sowie die einzige noch aktive Ottakringer, lassen die Autoren keineswegs unberücksichtigt auf ihrem Weg. Aufgrund der Affinität von Beppo Beyerl zum Tschechischen erfährt die Leserschaft eine Vielzahl von Bezügen, die nach wie vor in der Geographie der Stadt verankert sind.

Wer Wien kennenlernen möchte, sollte mit Beyerl und Hieblinger durch die Stadt flanieren. Wovon die beiden berichten, wird man in keinem Wien-Führer entdecken.

Beppo Beyerl · Rudi Hieblinger
Von der Paniglgasse zur Pinaglgasse
Eine Abschweifung vom Bobo- ins Prolo-Wien
Löcker
2010 · 200 Seiten · 19,80 Euro
ISBN:
978-3-854095606

Fixpoetry 2010
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge