Sex and Drugs and Rock´n Roll
Es ist verdienstvoll und gleichermaßen ein Wagnis, dass der Steidlverlag diesen Roman wiederentdeckt hat. In der politischen Situation, wo so mancher fassungslos auf das Amerika des Twitter-Präsidenten Donald Trump starrt, artikuliert sich in diesem Text das ganz andere Amerika, das eines libertinären, wenn nicht verrückt-anarchischen Aufbruchs. Man könnte den Autor Richard Fariña, dessen einziger Roman mit dem ungewöhnlichen Titel „Been down so long it looks like up to me“ nunmehr zum ersten Mal in der deutschen Übersetzung erscheint, als den Frank Zappa der amerikanischen Gegenwartsliteratur bezeichnen. Nicht umsonst war dieser spannende Prosaversuch der Lieblingstext von Jim Morrison, dem Sänger der „Doors“.
Der in Deutschland weitgehend unbekannte Richard Fariña wurde nur 29 Jahre alt, am Tag des 21. Geburtstags seiner Ehefrau Mimi Baez, der Schwester der Sängerin Joan Baez, kam er auf den Straßen der Bay Area um San Francisco bei einem Motorradunfall ums Leben. Und ganz wie bei Morrison und anderen Ikonen des Rock begann die Legendenbildung, dass er wohl doch noch als außergesellschaftlicher Drop-Out irgendwo lebe. Diese Legendenbildung wird Gründe haben, Fariñas Text jedenfalls lebt.
Wohlmöglich wäre der Autor, wenn ihm mehr Zeit geblieben wäre, zu einem der bedeutendsten amerikanischen Autoren geworden. Immerhin wurde der Roman, mehr noch als die Folk-Alben, die Fariña mit Mimi Baez veröffentlichte, in der amerikanischen Szene der wilden 1960er Jahre zum Mythos. Thomas Pynchon, der Ende der 1950er Jahre als Redakteur der Literaturzeitschrift Cornell Writer Texte Fariñas publizierte, stellt in seinem Vorwort des neu verlegten Romans fest:
„Es war eine vollkommen andere Stimme, sie schien aus der Welt da draußen zu stammen, sie war sicherer und wagemutiger, und die Beiträge waren besser als die üblichen Einsendungen.“
Verwunderlich, dass mehr als 50 Jahre vergehen mussten, bis der Text, „das Sprachwunder“, wie Gerrit Bartels zu Recht in seiner Rezension im Berliner „Tagesspiegel“ schreibt, ins Deutsche übersetzt wurde – Dirk von Gunsteren hat dies in überzeugender Weise realisiert. Mag sein, dass die ungewöhnlich unbefangene Art des Schreibens hierbei eine Rolle spielte. Raster sind untauglich, um diesem Text gerecht zu werden: Beatnick-Literatur das ist der Text auch, Roadmovie ist er in Teilen, ein Campus-Roman der Vor1968er, das ist der Text rein inhaltlich. Vordergründig ist der provozierende Roman durchaus eine College-Geschichte, die vor dem eigentlichen Aufstand der Studenten und der Flower-Power-Bewegten spielt, er entwirft ein Bild des miefigen, puritanischen Klimas mit unfreundlichen Cops, mit kontrollierten Sperrstunden und der Geschlechtertrennung, der hierarchischen Ordnung auf dem Campus. Fariña ist der authentische Chronist des herrschenden, miefigen Klimas des Amerikas kurz bevor es mit den 1968er Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg explodiert.
Gnossos Pappadopoulis, so die Story, der ganz konventionelle Protagonist, Sohn einer Irin und eines Kubaners studiert Ende der 1950er in Athené, und er probiert alles aus, Haschisch, LSD und härtere Drogen. Er ist auch eine Art moderner Prometheus, einer, der aufbegehrt. Studiert wird kaum; Gnossos sprengt die moralischen Regeln; es geht atemlos von Party zu Party, von Kater zu Kater. Gnossos erzählt, wie der Blechtrommler Oskar dauernd Geschichten, ohne sich um gestaltende Perspektiven zu scheren. Da erlebt er, mal wieder im Rausch, einen Affendämon, der ihn verfolgt, das ist nichts für zarte Gemüter. Oder diese Geschichte ist zu erlesen:
„Eine Tarantel.
Fett, blind und behaart hockte sie in seinem Mund. Zwischen seinen geschlossenen Lippen zuckte ein stacheliges braunes Bein.
Wie war sie dort hingekommen? Er drehte den Kopf und versuchte sie auszuspucken, doch sie wand sich und blieb, wo sie war. Und wenn sie mich beißt? Glühende Fleischspieße in meinem Hals.
Überaus vorsichtig wälzte er sich auf die Seite und tastete nach dem Kissen, fühlte aber nur den schmutzigen Teppich. Er hatte die ganze Nacht Staub eingeatmet, und die Tarantel war keine Tarantel, sondern seine Zunge.
>Wasser.< Ein kraftloser Versuch.“
Im Kern sind der Held Gnossos und die skurrilen Figuren wie Blacknesse, Heffalump oder der Revolutionär Oeuf kaum dingfest zu machen, die Bewusstseinsebenen, die Trancezustände verrätseln ihre Identitäten. Schließlich führt Gnossos` Weg ihn doch nach Kuba, wo Fidel Castro 1958 gerade die Diktatur stürzt. Während die Schüsse der Revolutionäre knallen, liegt Pappadopoulis apathisch in seinem Hotelzimmer und, so die ernüchternde Ironie, hat ein Problem, er hat Tripper.
Richard Fariña erzählt uns eine unbedingt durch den Leser zu entdeckende Geschichte, es klingt an, wie es dann später zum Aufstand der 1968 kam. Und es ist durchaus so, dass der gnadenlose Hedonismus, dem in dieser Welt gefrönt wird, kritisch hinterfragt wird. „Been down so long“ erzählt von Liebe, Verweigerung und Aufstand gegen das repressive Universitätssystem, in dem eine Frau nicht in das Zimmer eines Mannes gehen durfte. Doch untergründig ist für den Leser eine weitere Qualität zu erleben; wenn sich einer verweigert, dann ist er frei von Systemen. So ist jedenfalls diese Geschichte einer rauschhaften Emanzipation von den herrschenden Zwängen auch zu lesen.
Triftig aber in diesem Roman ist, dass er ganz unideologisch, entspannt operiert; ohne Zeigefinger. Anders als in den deutschen 1968 Romanen, wie bei Uwe Timm, Urs Jaeggi und auch Bernward Vesper - sein Roman „Die Reise“ ist in Teilen durchaus mit Farina verwandt - geht es in Fariñas Campus - und auch Kuba-Welt unpolitisch zu. Ernüchternd der Befund: So werden die Atomtests in der Wüste von Nevada lediglich angedeutet. Die sexuelle Enttabuisierung ist das Thema, die hedonistische Welt von Sex and Drugs and Rock`n Roll. Beurteilt wird nicht; es wird kraft- und fantasievoll erzählt. Mal wird im Slang geschrieben, mal gibt es Anspielungen auf Autoren wie Walter Scott oder W.B. Yeats, es gibt dauernde Perspektivenwechsel, lange, verstörende dialogische Passagen und dann kommen die stillen, fast romantischen Erzählsequenzen. Hier klingt es so, als würde Georg Büchners „Lenz“ in der Einsamkeit der Natur wiedergeboren.
Gnossos Pappadopoulos, ein amerikanischer Leopold Bloom, ist der Skeptiker schlechthin, wohl auch ein Suchender, aber auch einer, dem die Selbstfindung irgendwie völlig egal ist. Er ist, unberechenbar, wie ihn sein Autor Richard Fariña erfunden hat, einfach nicht unterzuordnen, ihm ist ein guter Tropfen mit einem Joint gemixt wichtig; er, der in der Einsamkeit am Lagerfeuer einen Wolf jagt, ist wohl auch ein Schauspieler in einer trivialen Hollywood-Romanze mit Zombiemotiven:
„Trotzdem. Er war verliebt.
Und die Liebe war ein Trost. Wie ein Wundermittel vom Jahrmarkt half sie gegen Sorgen, Schmerzen und Zweifel, linderte Ängste und Schlaflosigkeit, vertrieb die zugänglicheren Dämonen und wirkte offenbar auch sanft abführend. Jenseits der Schallmauer kehrte sich die Wirkung der Steuersysteme jedoch gerne um: Dann konnten … Dämonen mit Raubtierzähnen sich aus der Finsternis herabstürzen und Zweifel in schimmlig riechenden Schränken flüstern …. Doch die Geschwindigkeit war bislang noch relativ moderat, und Gnossos bewegte sich gern so langsam, dass er seine eigene Düse noch hören konnte.“
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