Kolumne

Georgien zu Gast in Frankfurt

Das diesjährige Gastland der Frankfurter Buchmesse war Georgien. Der Ehrengast-Pavillon präsentierte sich vorwiegend in Beige, Weiß und Dunkel. Licht und Schatten waren sehr prominente Protagonisten im Raum, auch wenn der vorgesehene Hauptdarsteller darin eigentlich das 33 Buchstaben umfassende Alphabet war, welches zum UNESCO-Welterbe gehört. Im Pavillon wurde das Alphabet mittels großer Holzskulpturen vorgestellt:

Neben vielen verschiedenen Bereichen und Stationen gab es u.a. auch einen quadratischen noch dunkleren Raum, in dem schwarz-weiß Projektionen von Gesichtern zeitgenössischer georgischer Autoren und Autorinnen zu sehen waren, die sich in Zeitlupe zu meditativen Klängen bewegten. Die Klänge sollten dabei auf abstrahierte Weise ein Gefühl der georgischen Sprache vermitteln. Als erklärenden Begleittext konnte man beim Eingang in diesen Raum folgendes lesen:

Wie klingt die georgische Sprache? Die meisten Buchstaben sind nahezu unaussprechbar, manche schwer erträglich für das Ohr, während andere so sanft klingen wie ein Wiegenlied. Im Hub of Emotions können Sie die Sprache als atmosphärische Melodie spüren […]

  Foto: Astrid Nischkauer

Als Ganzes wirkte der Georgien-Pavillon sehr ernst und unheimlich dunkel. Vielleicht war es auch der strahlende Sonnenschein vor der Tür, der den Georgien-Pavillon gar so dunkel erscheinen ließ. Aber selbst auf den Lesesofas in der Literaturschnecke war die Beleuchtung unzureichend. Es gab nur zwei Sofaplätze wo es hell genug war um gut lesen zu können. Und das fand ich dann doch sehr ärgerlich, denn lesen bei Dämmerlicht ist überaus ermüdend.

Aber abgesehen davon war die Leseschnecke der für mich spannendste Ort im Georgien-Pavillon. Es luden darin unzählige Bücher aus und über Georgien zum Anschauen und Hineinlesen ein.

  Foto: Astrid Nischkauer

Was mich am meisten interessierte war georgische Lyrik. Ich nahm mir also hier ein Buch und da ein Buch, setzte mich hin und las kreuz und quer und notierte mir aus jedem Gedichtband jeweils nur wenige Zeilen. Damit möchte ich einen kleinen, sehr fragmentierten Einblick in die georgische Lyrik geben, also zumindest in die bereits auf Deutsch übersetzte georgische Lyrik. Die Auswahl und Reihenfolge ist zufällig und unvollständig. Die Zusammenstellung möchte schlicht und einfach neugierig machen und einladen, selbst nachzulesen, was es da noch gibt, was fehlt. Sie entstand auf der Buchmesse, wo die Tage lang sind, es ständig laut ist, und überall unheimlich viele Menschen sind. Indem ich mich in mir unbekannte Gedichtbände vertiefte war ich zwar immer noch in Frankfurt, aber zugleich anderswo. Denn Poesie ist etwas Zeit- und Landesgrenzen Überschreitendes.

Mich dünkte: ich dachte an dich und ich suchte dich,
dabei war es ein Stern, an den ich mich gestoßen hab.

Tamas Badsaghua: „Letzte Station“, hg. von Dato Barbakadse, übersetzt von Manana Paitschadse, Löcker Verlag, 2017.

Himmelsfarbe, blaue Farbe
Allen Ursprungs erste Farbe
Farbe nicht von dieser Welt
Seit ich jung war lieb ich dich.

Nikolos Barataschwili: „Gedanken am Flusse Mtkvari“, Nachdichtung von Rainer Kirsch, Arco, 2018.

Der Rhein

Dem Rhein reicht die Langeweile bis auf den Grund.
Ich schaue hinunter und hinein in sein Herz.
Die Angel meines Auges reicht tief und hat zwei Haken und
sie holt die Weisheit und Wehmut der Fische nach oben.

Irma Shiolashvili: „Kopfüber“, Nachdichtung von Sabine Schiffner, Pop Verlag, 2018.

Wasserfarben

Wasser kann alle Farben annehmen,
kann sie behalten und widerspiegeln.
In allen Farben kannst du Wasser malen
und das Wasser spiegelt sie dir alle wider:

Bela Chekurishvili: „Wir, die Apfelbäume“, übersetzt von Norbert Hummelt, Verlag Das Wunderhorn, 2016.

Jeden Morgen gehe ich aus dem Haus auf die Straße,
wo ich das Gestöber der Wörter beobachte,
ich folge den leeren Phrasen nicht, die am stillen Himmel
aufgehängt sind,
ich suche nach einer Antwort in diesem Lärm.

Zurab Rtveliashvili: „Diktatur der Poesie“, Nachdichtung von Sabine Schiffner, KLAK, 2018.

Der Ruhetag

Ein Ruhetag!
Doch ausruhen wovon? Von der Einsamkeit?
Ich schlage Nägel mit dem Hammer ein
(ich baue mir einen neuen Kopf),

Lia Sturua: „Enzephalogramm“, Nachdichtung von Stefan Monhardt, Edition Monhardt, 2018.

Kapitel XXII Brief an Prometheus

- Heda, Prometheus!...
Gib mir doch mal Feuer,
reich mir dein Ronson
und lass uns eine rauchen, Gedanken austauschen,
so wie dir verbot man auch mir
in der Kindheit das Spiel mit dem Feuer.

Dato Magradse: „Giacomo Ponti“, Nachdichtung von Gert Robert Grünert, Shaker Media, 2018.

Vers

Ich schreibe keinen Vers,
er schreibt sich selbst,
wenn er, ein kleiner Funke,
eine scharlachrote Wunde,
in meinem Sinn zu brennen beginnt.

Lali Ketsba-Khundadze: „Spiel der Laute. Deutsche Lyrik aus Georgien“, Grupello, 2018.

Es dämmert. Du erreichst die Grenzen der Gedanken,
Wo Raum zu Zeit wird, und Zeit wird zu Raum,
Hinterm Raum und jenseits der Sterne spürst
du jemanden und wirst auch dort gespürt.

Rati Amaglobeli: „Kains Ernte oder Tod der Logik“, übersetzt von Nana Tchigladze, Irine Widmer, Dagyeli, 2018.

27

Wenn du aus dem zwölften Stockwerk springst,
ist denkbar, dass du unterwegs mit Zweifeln ringst,
aber den Irrsinn hast du hinter dir,
der dich die Schwingen breiten ließ.

 Besik Kharanauli: „Sprich mir vor, Angelina! Fünf Poeme“, übersetzt von Nana Tchigladze, Dagyeli, 2018.

Der Mond rundete sich,
die Nacht verschwand,
dein Ohrring ist ab.
Mit heruntergefallenen Träumen schaut der Morgenhimmel auf die Erde.

Esma Oniani: „Nichts heißt keine Farbe“, übersetzt von Steffi Chotiwari-Jünger und Artschil Chotiwari, Pop Verlag, 2014.

Weder schwankt die See noch das Ufer. Jetzt ist Herbst
oder Frühling oder es könnte Winter sein. Entlang des Ufers
sehe ich, soweit ich schauen kann, niemanden.

Zviad Ratiani: „Requiem für die Lebenden“, nachgedichtet von Sabine Schiffner und Uwe Kolbe, KLAK, 2018.

Thesen über die Poesie

17. Die Ära der Poesie ist beendet. Die Poesie steht an ihrem
Beginn.

Dato Barbakadse: „Wenn das Lied sich vom ermüdeten Körper befreit“, übersetzt von Steffi Chotiwari-Jünger, Maja Lisowski, Benedikt Ledebur und Crauss., Pop Verlag, 2018.

und über die Farben des Ahorns
strauchelte der Herbst.

Amiran Swimonischwili: „Gedichte“, übersetzt von Thomas Häusermann, Pop Verlag, 2018.

Soweit ein kleiner Einblick in die auf Deutsch verfügbare georgische Dichtung. Ein Verlag, der schon seit vielen Jahren und nicht nur kurzfristig für die diesjährige Buchmesse einen Georgienschwerpunkt hat, ist der Pop Verlag Ludwigsburg. Im Verlagsprogramm wird man daher auch fündig, begibt man sich gezielt auf die Suche nach georgischer Dichtung. Möchte man mehr entdecken, können Anthologien auch eine große Hilfe sein. Daher als Abschluss eine kurze Liste einiger georgischer Lyrikanthologien, die mir auf der Buchmesse mehr oder weniger zufällig untergekommen sind:

 

  • „Die elektrische Glühbirne“, Ralf Thenior (Hg.), Edition Virgines, 2018.
  • „Ich aber will dem Kaukasos zu…“, Auswahl von Nino Popiaschwili, Pop Verlag, 2015.
  • „Georgiens Herz ist…mit Poesie infiziert“, Giorgi Lobzhanidze (Hg.), Größenwahn Verlag, 2018.
  • „Georgische Dichter: Georgische Volkslieder, Gedichte und Aphorismen. Zusammengetragen um 1900. “, Arthur Leist (Hg.), Severus, Neusatz der Originalausgabe von 1900, 2018.
  • „Aus der Ferne. Neue Georgische Lyrik I“, Matthias Unger (Hg.), Corvinus Press, 2015.
  • “Die Kartoffelernte. Neue Georgische Lyrik II”, Matthias Unger (Hg.), Corvinus Press, 2017.
  • „Ich bin viele. Frauenstimmen aus Georgien“, Manana Tandaschwili und Irma Shiolashvili (Hg.), PopVerlag, 2018.

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