Undzer Shtetl brent
Ein Buch ohne Vorwort ist wie ein Körper ohne Seele.
A ssejfer on a hakdome is wi a guf on a neschome.(Jiddisches Sprichwort)
Und weil ein Körper ohne Seele keine gute Sache ist, schon gar nicht, wenn es um ein jiddisches Thema geht, startet Uwe von Seltmanns neues Buch Es brennt mit einem Prolog. Ein Prolog, der einen in jene Zeit nimmt, die von Bert Brecht Mitte der 30er Jahre in seinem berühmtesten Svendborg Gedicht An die Nachgeborenen als finstere Zeiten beschrieben worden ist. Eine Zeit, in der der Populismus nicht nur befeuert, sondern für eine politische Idee instrumentalisiert worden ist, die die systematische Ermordung von Juden und Andersdenkenden als eines ihrer zentralen Anliegen in grausame Realität umgesetzt hat; eine Zeit, in der Menschen umgesiedelt und ausgesiedelt worden sind, wie es der jeweiligen Behörde gerade gepasst hat – eine Zeit, die eine Warnung für heutige Tage sein sollte.
Und genau darum geht es Uwe von Seltmann, seines Zeichens Rechercheur: Eine treffende Bezeichnung für den Journalisten und Dokumentarfilmer, der in den letzten Jahren immer wieder einzelne Schicksale des Holocaust nachskizziert, literarisch-dokumentarische Formen der Erinnerungskultur veröffentlicht hat – oder um mit der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann zu sprechen, der immer wieder eine Übersetzung des Erfahrungsgedächtnis der Zeitzeugen in die heutige Zeit versucht, die ihr zufolge zusehends von Gedächtniskrisen gezeichnet sind. Um Erinnerung und gegenwärtig machen dreht sich auch das neue Werk, das dieser Tage im Homunculus Verlag erscheint und sich auf wunderbare Weise einer beinahe vergessenen Person der jiddischen Kultur annimmt: Mordechai Gebirtig, Vater des jiddischen Lieds, Schöpfer des eindrücklichen Lieds und traurigen Bestsellers S‘brent - gleichsam titelgebend für die wohl erste ausführliche Biografie, die sein Leben mit der Odyssee seiner Lieder in eins bringen will.
Und Biografie wiederum trifft als Bezeichnung auf dieses 360seitige Werk nicht richtig zu, denn Uwe von Seltmann erzählt nicht nur sorgsam recherchiert aus dem Leben von Mordechai Gebirtig, sondern fächert bild- und facettenreich die Welt Galiziens auf, die seit geraumer Zeit nur noch selten aufblitzt, wenn in den Romanen von Scholem Alejchem, Joseph Roth oder Bruno Schulz – so sie denn gelesen werden. Für die Dauer dieser Biografie aber erlangt Galizien eindrückliche Gegenwart, mit all seiner legendenhaften Schönheit, den vielen Stetl-Anekdoten und seiner innewohnenden Melancholie. Eingebettet in eine langsam aufgerollte Geschichte der jiddischen Kultur, zeigt Uwe von Seltmann luzide die Entwicklung und vor allem Eigenart der jiddischen Sprache auf, ein sprachhistorischer Teppich, auf dem die konkreten biografischen Daten des Tischlers und Liedermachers Mordechai Gebirtig eingearbeitet werden. Und neben Franz Kafka kommen hier u.a. Isaac Babel und Jakob Wassermann, aber auch aktuelle Musiker wie Daniel Kahn zu Wort – collagenartig bringt Uwe von Seltmann immer wieder historische Kartenabbildungen, wissenschaftliche Erklärungen und Original-Zitate sowie zweisprachig gesetzte Lieder in einen Text zusammen, dem die Gradwanderung zwischen Biografie und Sachtext hervorragend gelingt. Das liegt nicht zuletzt auch an der außergewöhnlichen grafischen Aufmachung des Buchs, das sowohl typografisch, als in der Platzierung von Bildmaterial sowie im Umgang mit Lesefluss ein Buch-Highlight ist – und hier und da auch ein wenig an Efrat Gal-Eds großartige Biografie »Niemandssprache« über Itzik Manger, dem »Prinz der jiddischen Ballade«, erinnert, die 2016 bei Suhrkamp erschienen ist.
kinder-yorn, zise kinder-yorn,
eybik blaybt ir vakh in mayn zikornKinderjahre, süße Kinderjahre
ewig bleibt ihr wach in meiner Erinnerung
Auf über 360 Seiten, gegliedert in 12 Kapitel, die jeweils einen gesellschafts- oder kulturpolitischen Akzent setzen, wie etwa Gebirtig, der Hüter der Sprache, Gebirtig, der Pazifist, Gebirtig, der Melancholiker, erzählt Uwe von Seltmann die Geschichte von Mordechai Gebirtig und seinem musikalischen Schaffen. Ergänzt um einzelne Exkurse zu Klezmer, dem jiddischen Theater und Gebirtigs Welt: Geboren wird Mordechai Gebirtig wahrscheinlich 1877 in Krakau, ganz eindeutig lässt sich das Jahr nicht bestimmen, wie es seinerzeit oft der Fall ist; Jehudo Epstein schreibt: Für das Geburtsjahr nehme ich die Mitte zwischen mütterlicher und väterlicher Version an …; immerhin ist die Straße bekannt, die im sogenannten Krakauer Ghetto, dem Kazimierz, liegt, geprägt von Armut und Elend. Mordechai Gebirtig wächst in einem der vielen dunklen Löcher auf, wie sie Bertha Pappenheim ihrerzeit an den Pranger gestellt hat, absolviert die Volksschule, erlernt mit 14 Jahren den Beruf des Tischlers.
Zeit seines Lebens bleibt der Musiker seiner Herkunft und Krakau verschrieben, er schreibt in Jiddisch, jener Sprache, die immer wieder verboten werden soll, und sich umso mehr als Bestand, als Klammer einer Zugehörigkeit manifestiert. Es ist faszinierend, welche Zitate Uwe von Seltmann in seine Biografie flicht, um das Jiddische spür- und erfahrbar zu machen – egal, ob es die Stimme des ehemaligen ostgalizischen Schauspielers Alexander Granach ist, der Anfang der 30er Jahre als Mephisto von Gustav Gründgens am Berliner Ensemble abgelöst wird, oder ob es Ausführungen von Efrat Gal-Ed sind, die mit ihren Forschungen und Veröffentlichungen zu Itzik Manger bereits dazu beigetragen hat, dass Jiddische Kultur ein wenig mehr ins Licht gerückt worden ist.
Uwe von Seltmann beschreibt anschaulich, wie Mordechai Gebirtig von vielen Zeitgenossen in seiner ärmlichen Behausung mit seiner Frau und drei Töchtern in Krakau aufgesucht wird, während seine Lieder bereits in den USA regelrechte Gassenhauer sind – ironischerweise genau jene Lieder, in denen sich die Hellsichtigkeit des Tischlers abzeichnen. Zeit seines Lebens engagiert sich Mordechai Gebirtig in Krakau für seine eigenen Ideale, für volksnahe (wunderbar hier die Unterscheidung zwischen völkisch und volkstümlich) Musik, für sein Leben als Arbeiter und Dichter (Der Generalstreik, Der General-Shtrayk), für den Pazifismus, für friedvolle Zeiten innerhalb der eigenen Familie – und vor allem immer wieder, gebetsmühlenartig für den Erhalt des Jiddischen, Mordechai Gebirtig amtiert als Hüter der Sprache, zeigt einem das Wunderbare des Jiddischen, aber auch das Grausame der damaligen Zeit. Um die Vermarktung seiner eigenen Lieder kümmert er sich nicht. Und kaum ein Lied bringt den politischen Sachverhalt seiner Zeit so sehr auf den Punkt wie Es brennt, S‘brent:
Undzer Shtetl brent
s’brent! briderlehk, s’brent!
oy, undzer oram shtelt nebekh brent!
beyze vntn mit yirgozn
raysn, brekhn un tseblozn
shtarker nokh die vilde flamen,
alts arum shoyn brent!uni r shteyt un kukt azoy zikh
mit farleygte hent
uni r shteyt un kukt azoy zihk –
undzer shtetl brent …Unser Städtchen brennt
Es brennt! Brüder, ach, es brennt!
Oh, unser armes Städtchen, wehe, brennt!
Feuerstürme jagen, gieren,
reißen, brechen und entfachen
stärker noch die wilden Flammen,
schon alles ringsum brennt!Und ihr steht und guckt und gafft nur
Mit verschränkten Händ‘,
und ihr steht und guckt und gafft nur –
unser Städtchen brennt …
1942 wird Mordechai Gebirtig im Krakauer Getto erschossenen, mehr als hundert seiner Lieder überleben auf unterschiedlichste, manchmal sehr wundersame Weise, finden zurück in die Gegenwart. Sind in ihrer Sprache und Botschaft eindrückliche Überlieferung, ein Zeugnis, das es zu bewahren gilt. Kurzum: Uwe von Seltmann entwirft mit Es Brennt! nicht nur ein beeindruckendes Panoptikum einer vergangenen Zeit, sondern einen sehr eindrücklichen Appell, diese Zeiten nicht zu unserer eigenen Gegenwart zu machen.
Gedenkt, leman hashem, bashraybt alles, vos ihr hot durkhgelebt. Ayer khoyf is durkhtsufirn di doziker misye.
Erinnert Euch! Um Gottes Willen, schreibt alles auf, was Ihr erlebt habt! Es ist Eure Pflicht und Schuldigkeit, diese Mission zu erfüllen.Yerakhmiel Briks
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