Kritik

Wiederentdeckt

Unbekannte Arbeiterlyrik von Alfons Petzold

1911 erschien der Band „Seltsame Musik“ mit sozial engagierter Lyrik von Alfons Petzold beim Wiener Verlagsbuchhändler Theodor Daberkow, der sich sonst eher humoristischen Vorträgen, Parodien, Travestien und Couplets verschrieben hatte, aber diesem offensichtlichen Dichtertalent aus den Gossen nicht widerstehen wollte, als eine reiche Förderin das Portemonnaie zückte und ihre „Unterstützung“ auf den Tisch blätterte. Es war bereits Petzolds zweiter Band Gedichte. Gefördert wurde er (auch finanziell) von der Baronin Frida von Meinhardt, die in ihrer früheren Karriere als Schauspielerin gescheitert war und sich in der Folge als Rezitatorin österreichischer Dichter versuchte, dabei sehr bald Affinitäten zur Arbeiterbewegung entwickelte und schließlich ihre Vorträge in die Wiener Arbeiterbildungsvereine verlegte, wo sie dankbarere Zuhörer fand und 1907 auch Petzold kennenlernte. Sie schrieb das Geleitwort zur „seltsamen Musik“, worin sie ihr Hintergrundwirken nicht gerade verschwieg, und handelte sich prompt schärfste Kritik aus den Reihen der Sozialisten ein: sie töne mit einer Selbstgefälligkeit, die typisch sei für die Söhnchen und Töchterchen der Bourgeoisie – Alfons Petzold sei als Arbeiterdichter ganz aus sich gewachsen und schulde niemandem einen Dank, auch einer Frida von Meinhardt nicht. „Was  u n s  Petzold so lieb und wert macht: daß er der Dichter der Arbeit, der Not, daß er  u n s e r  Dichter ist. Ein Sänger der Freiheit, ein Rufer zur Enthebung aus dem kapitalistischen Joch.“ hieß es im Literarischen Beiblatt „Ohne Herrschaft“ der anarchistischen  Zeitschrift „Wohlstand für alle“ im November 1911, inclusive Hervorhebungen.

Schon damals rang die sozialistische Bewegung um  i h r e n  Alfons Petzold und reklamierte seine Werke für sich. Petzold (1882-1923) wurde bereits zu Lebzeiten gerne und ausgiebig falsch verstanden und sein Werk nach seinem Tode vielfältig retuschiert, verfälscht und manipuliert, sodaß er „je nach Bedarf“ als „bürgerlicher Natur-, Heimat-. Volks- oder sogar religiöser Dichter vorgestellt werden konnte“, wie Herbert Exenberger und Friedrich G. Kürbisch nun in dem 2010 im Werkkreis der Literatur der Arbeitswelt erschienen Büchlein „35 unterschlagene Gedichte“ von Alfons Petzold aufgezeigt haben. Sein Hauptwerk, der autobiographische Roman „Das rauhe Leben“, wurde „nach seinem Tod durch Eingriffe und Kürzungen bereits vor der Ergreifung der Nationalsozialisten im nationalistischen Sinne verfälscht; daher war sein Werk während des Dritten Reiches als eine Art deutsche Heimatdichtung geduldet und wurde neu aufgelegt.“, führen die Autoren weiter aus. Herbert Exenberger, 2009 verstorbener Bibliothekar des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes, hat wie kein anderer dem Leben Alfons Petzolds nachgespürt und die gefundenen Fakten sprechen für sich. Schon als zwölfjähriger Junge mußte Petzold, trotz Behinderung durch eine verkrümmte Wirbelsäule, die ihm den Spottnamen „Buckelhupfer“ einbrachte, arbeiten, versuchte sich in verschiedenen Lehrberufen , als Silberschmied und Schuhmacher, Maurer und Bäcker und mancherlei mehr. Als seine Mutter 1902 starb, war er zwanzig Jahre alt, mittellos und Waise und lebte in Obdachlosenasylen, schlief in Kanalrohren und lebte von den Abfallhaufen der Märkte. Bis er die Literatur für sich entdeckte und Anschluß an die anarchistische Arbeiterbewegung fand.

Herbert Exenberger hat 35 Gedichte Petzolds in den Archiven gefunden, die man im Gesamtwerk bislang nicht kannte und die allesamt zu Petzolds so gerne verschwiegenen „sozialen Lyrik“ gehören, teils erschienen unter dem Pseudonym „De Profundis“ in der oben erwähnten literarischen Beilage der Zeitschrift „Wohlstand für Alle“ oder unter eigenem Namen in der Arbeiter-Zeitung

Weltstadt

Auf deinen steingewordenen Gedanken, Weltstadt,
Ruht mein Blick:
Auf deinen Kirchen, Tempeln, den Hungertürmen
Des Freien Geistes;
Auf deinen prunkvollen Häusern, die die Selbstsucht
Der Reichen,
Die Dummheit, die Eitelkeit und der Kastengeist
Der Menschen erbaute.
Ich sehe unzählige Riesenschornsteine,
Die Wahrzeichen des gesetzgewordenen
Raubes und Mordes , aus deinem stinkenden Schoße
Emporragen in die Luft,
Gleich blutbefleckten Fingern einer opfergierigen Göttin;
Und ich sehe auch lange,
Lange Reihen  von grauen Zinskasernen,
In deren Zellen graubleiche Frauen und Männer
Und viele, viele Kinder
Mit zwei schwarzen Würfeln, Not und Krankheit geheißen,
Tag und Nacht um das bisschen Leben würfeln.
Solcher Kasernen sind viele um dich, und sie schließen dich ein,
Wie der beschmutzte, Läuse beherbergende Bußgürtel
Den gesalbten Leib einer gläubigen Hure.

(Juli 1911)

Im Jahr der Berlingedichte des Georg Heym entstand dieser wiederentdeckte Text. Petzold dienen die Bilder zur Verdeutlichung der Sache und nicht der Poetisierung des Gedichtes. Er ist nah dran, vielleicht zu nah, um umfassend artifiziell sein zu können, poetisch wie Heym es ist, wenn der bspw in Berlin III den roten Untergang wie starken Wein schmecken lässt und ausnahmslos als Dichter spricht. Petzold ist ein Zwitter aus Betroffenem und Dichter. Erst in den letzten Versen löst er sich und schafft den Sprung aus der Bodenhaftung. Verglichen mit den oft liedhaften und parolenartigen gereimten Versen der politischen Dichtung jener Zeit allerdings, stellen Petzolds Texte ein Bindeglied zur bürgerlichen „gebildeten“ Dichtung dar. Er errechnet die Wirklichkeitswerte der Arbeiterschaft mit den Rechenschiebern der gehobenen Literatur.

Anna Siemsen konstatierte 1948: „Wir sind in Deutschland überreich an ästhetischen Theorien. Dafür ist unsere Dichtung arm an Gestaltungen der Probleme der Wirklichkeit... Wir haben eine Dichtung jenseits des Tagesgeschehens, die von Ewigkeitswerten lebt, wenig gelesen, noch weniger verstanden wird und vollkommen wirkungslos ist für den gemeinen Alltag des Lebens“ – das hat aus Sicht der Arbeiterschaft damals in weiten Teilen genau so gestimmt wie heute. Zwar sind die Inhaltsgewichte gekippt - von Ewigkeit redet heute niemand mehr und der Alltag und das selbst gelebte Leben sind längst zum bevorzugten Gegenstand der Lyrik geworden - die klassische industrielle Arbeitswelt jedoch bleibt bis heute weitgehend ausgespart. Nachwievor gilt: ausgesprochen sozialkritische Dichtung ist – aus dem Blickwinkel der Literaturkritik gesehen - selten gut und gute Dichtung – aus dem Blickwinkel der Sozialkritik gesehen - selten explizit sozialkritisch. Das hat mit Klassen von Aspekträumen zu tun, in denen Text entsteht, nachdem man sich einen Verhalt aus einem eigenen Kontext heraus angesehen hat. Die Aspekte der Welt, denen sich die fast immer universitär geschulten Dichter/innen glaubhaft widmen können, sind naturgemäß verschieden zu denen, die ein Malocher aus seiner Welt wird herauslesen können. Das ist einfach so und nicht weiter schlimm. Es ist für einen Arbeiter schlichtweg nicht sehr interessant, was manche Sprachexperimentatoren hervorstolpern und umgekehrt gehören die basics des Arbeiterlebens und dessen Betroffenheiten nicht unbedingt zum Vokabular des literaturbetrieblich geforderten/geförderten Abstraktheitsgrads. Dennoch gibt es fruchtbare Überschneidungen und der großer Teil der Lyrik heute ist mehr denn je in Aspekträumen unterwegs und lebendig, die man in allen Lebenskontexten verorten kann. Sie ist gegenwartsorientiert und nicht ewigkeitsgeil.

Der Werkkreis Literatur der Arbeitswelt schlägt nicht nur – wie mit dieser, in der hauseigenen edition tarantel erschienenen Broschüre – vergessene oder übersehene Kapitel historischer Arbeiterdichtung auf, sondern versucht eine aktuelle Anlaufstelle für „Kultur von unten“ zu sein, wie der aktuelle Untertitel der Zeitschrift Tarantel bekennt, die vom Werkkreis herausgegeben wird und die jedem ans Herz gelegt sei, der Schreiben nicht zwangsläufig mit universitärem background verbindet und industriellen background nicht unbeschreibbar im Abseits sieht.

Alfons Petzold · Herbert Exenberger (Hg.)
35 unterschlagene Gedichte
Vorwort: Friedrich G. Kürbisch
2010

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