Von Buttaschas und Zechalkas
Meine früheste Theatererinnerung, also dass ich wirklich einzelne Szenen vor mir sehe und dem richtigen Stück zuordnen kann, ist an Konrad oder Das Kind aus der Konservenbüchse. Ich war damals ungefähr sechs Jahre alt und restlos begeistert vom Stück. Christine Nöstlinger kannte ich zu diesem Zeitpunkt schon sehr gut, zählten doch Das Austauschkind, Franz, MINI, oder auch Der liebe Herr Teufel, zu meinen damaligen Lieblingsbüchern, die ich so oft vorgelesen bekam, dass mir heute noch beim Wiederlesen vieles daraus sehr vertraut ist: Der sehr kleine blonde Franz, den alle für ein Mädchen halten und der eine Piepsstimme bekommt, wenn er sich ärgert, oder auch die große Mini, die ihr älterer aber gleich großer Bruder immer „Bohnenstange“ ruft, was sie sehr kränkt, auch wenn sie ihm das natürlich nicht zeigt.
Es ist daher etwas ganz Besonderes für mich, nun mit Ned, dasi ned gean do warat ihre Dialektdichtung und damit Christine Nöstlinger ganz neu zu entdecken.
Hoffnung hod kana
und soit ana mana
um uns im Bau
und nemau
schdeds schlechd
hedada recht!
Ned, dasi ned gean do warat enthält die letzten Gedichte der im Juni 2018 verstorbenen Christine Nöstlinger. Schon in den 1970er Jahren trat sie mit Iba de gaunz oamen Leit als Dialektdichterin in Erscheinung. Die nun veröffentlichten Gedichte aus dem Nachlass werden im Buch von einem Vorwort von Michael Köhlmeier und einem Nachwort von Gerald Votava umrahmt und begleitet von Illustrationen von Barbara Waldschütz.
Michael Köhlmeier beginnt sein Vorwort mit einem Auszug aus der Gedenkrede Christine Nöstlingers, welche sie im Jahr 2015 im historischen Sitzungssaal des Parlaments zum 70. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Mauthausen hielt. Michael Köhlmeier schreibt in seinem Vorwort sehr persönlich über Christine Nöstlinger, ihr Werk und ihre politische Haltung, obwohl oder gerade weil er sie persönlich nicht kannte:
Ich habe sie persönlich nicht kennengelernt. Und ich kann nicht einmal sagen, dass es mir leidtut. Denn ich habe sie ja gekannt. Durch ihre Bücher war (und ist) sie mir vertraut […]
Und er schließt sein Vorwort dann mit den Worten:
Ein Dichter, der einen Menschen kennt, kennt alle Menschen. Mich kannte Christine Nöstlinger – obwohl sie mich nicht kannte.
Dieses Kennen und Gekannt-werden durch die Literatur ist ein ungemein schönes Bild, das genauso gut auf mich selbst und vermutlich viele andere kleine und größere Leser, Leserinnen, Zuhörer und Zuhörerinnen Christine Nöstlingers zutrifft.
I schea mi ned um de aundan Leid
weu fia sowos hobi wiaglich ka Zeid.
Die Illustrationen von Barbara Waldschütz zeigen immer Menschen, und zwar jeweils die Charaktere, die im Zentrum des jeweiligen Gedichts stehen. Damit bringen die Illustrationen sehr eindrücklich auf den Punkt, worum es in den Gedichten von Christine Nöstlinger geht: um Menschen.
Illustration von Barbara Waldschütz aus Ned, dasi ned gean do warat
Im Nachwort schreibt Gerald Votava über ihr Lebenswerk und kontextualisiert die in ihrem letzten Lebensjahr verfassten Gedichte aus Ned, dasi ned gean do warat innerhalb ihres Werkes und auch gesellschaftspolitisch:
In Christine Nöstlingers letzten Lebensjahren saßen die Kinder der 70er- und 80er-Jahre schon in der Regierung. Eine Generation, die während der Hochphase der sozialen Errungenschaften und in Sicherheit aufgewachsen ist und sich nun der Propaganda-Techniken und Konzepte bedienen, die in wesentlichen gesellschaftspolitischen und menschenrechtlichen Fragen in der Ideologie des Faschismus und Nationalsozialismus verwurzelt sind.
Wie Gerald Votava darlegt, handeln die Gedichte in Ned dasi ned gean do warat von unserer aktuellen Gegenwart, das ist für das Verständnis der Gedichte wichtig zu betonen:
Doch es handelt sich nicht um Menschen der 70er-Jahre, die in Armut um oder gegen das Leben kämpfen. Es sind Menschen, die im Hier und Heute leben. Die Gedichte sind kein Zeugnis der Vergangenheit, sondern Spiegel einer gegenwärtigen Realität.
Damit wären wir, nach der ebenso aufschlussreichen wie liebevollen Einbettung der Gedichte im Band in das Vorwort, die Illustrationen und das Nachwort, bei den Gedichten selbst angelangt. Die Protagonisten der Gedichte sind Menschen, an denen man an der Straße vorübergeht ohne sie zu kennen, oder die nebenan Tür an Tür mit einem wohnen, ohne dass man viel über sie wüsste: „Leid wia mia. / Leid mid Suagn / mid Aungsd vua muagn.“ In den Gedichten werden Schicksale von einzelnen Menschen erzählt, mitunter werden innerhalb eines Gedichts ganze Lebensgeschichten aufgerollt. Schicksale, bei denen die meisten lieber geflissentlich wegsehen, weil das Hinsehen zu sehr wehtut:
A Heimleita hod eam misbrauchd
a Pflegemuta hod eam a Rippn brochn
a Glosdaschwesda hod eam
ins eiskoide Wossa dauchd
und eam in Köla gschbead
fia a hoibade Wochn.
Huachad eam wea zua,
kunta no mea Grauslichs dazön
owa de Frau Richda hod ka Zeid dafia
sogd, ea soi si ned ois Opfa hischdön
Christine Nöstlingers Gedichte sind zutiefst politische Gedichte, welche nicht nur den einzelnen, sondern auch die Gesellschaft genau auf ihrem Schmerzpunkt treffen und zeigen, wie vieles im Argen liegt. Christine Nöstlinger blickt ihren Mitmenschen dabei voll Respekt und Wärme auf Augenhöhe und niemals von oben herab in die Augen und Herzen.
Heazlose Leid gibds e scho gnua.
Manchmal bleiben die Protagonisten eines Gedichts namenlos „ea, „de Frau“ oder „dea Bua“. Oft haben sie aber auch Namen und Spitznamen, wie der „Westbaunhof-Rudl“, der „den aundan beim Lem / schdad und schdü / nigs wia zuaschaun wü.“, oder der ebenfalls stille Meia, der sich aus allem heraus hält, dafür aber seinem Goldfisch lange Reden hält und ihm erzählt, was er alles machen würde, hätte er die Macht dazu: „Daschiasn, dastechn, dawiagn, do kaunst de Ganslhaud griagn.“ berichtet der ihn dabei belauschende, überaus beunruhigte Nachbar. Und dann gibt es da auch noch die „Jasmin vun da Vira-Schdiagn“, die sehr faul ist und sich von vorne bis hinten von ihrem Mann bedienen lässt, der Geld verdient, kocht, wäscht, seine Hemden bügelt, staubsaugt, einkaufen geht und ihre Aschenbecher ausleert, während sie sich im Internet neue Schuhe bestellt und darüber klagt, dass ihre Strumpfhose Löcher hätte.
Jede der Figuren taucht nur in jeweils einem der Gedichte auf, einzig das „I“ (Ich) zieht sich durch den ganzen Band und denkt nach über das Leben, das Älterwerden, den Tod und die Welt an sich:
I ken mi ned wiaglich aus auf da Wöd.
Eh gloa, es drad si ollas ums Göd.
D Reichn wean reicha, d Oaman eama,
vum Glimawaundl wiads jeds Joa weama,
d oidn Nazi san vund Wiama gfressn wuan,
owa de neichn san lengsd scho gebuan.
Wegn da E-u gibds kane Glübian mea
und a Zaun gegn d Flüchtling muas hea.
Hoibade Kinda schbrengan si söwa ind Lufd
und unsa Bonidät haums owe gschdufd.[…]
Nua griag i hoid ned unta an Huad,
wia des ollas so zaumhenga duad.[…]
Wie man gut am Zitat erkennen kann, verwendet dieses Gedicht Paarreim, was im Dialekt sehr stimmig wirkt und einfach auch großes Vergnügen beim Lesen bereitet. Denn, das darf nicht unerwähnt bleiben: die Gedichte sprühen nur so vor rabenschwarzem Galgenhumor und sind sehr lustig, auch wenn einem das Lachen manchmal im Halse stecken bleibt.
Do vaschdesd de Wöd do echd nimma mea.
Und es sind richtig gute Gedichte, also so ziemlich das Beste, was es derzeit an Dialektdichtung gibt. Wie bei allen Dialektgedichten hilft es sehr, sich die Worte laut vorzulesen um den Sinn zu verstehen. Die Gedichte sind im Wiener Dialekt verfasst und auch in Wien verortet. Aber selbst als geborene Wienerin musste ich mir manche Stellen mehrmals vorsagen um hinter die Bedeutung von „aufs Rotzraumenessen is toteu vasessn.“ (Aufs Nasenpopelessen ist sie total versessen) oder ähnlich harte Nüsse zu kommen. Aber man steigt dann doch schnell ein in den Dialekt und je öfter man die Gedichte liest, desto leichter findet man sich auch in Christine Nöstlingers Dialektsprachwelt zurecht.
Starke Gedichte sind es aber vor allem auch in ihrer Aussage und politischen Haltung. Es ist ungemein wichtig für Wien, Österreich, Europa, dass es Stimmen wie diese gibt und dass sie gehört werden. Lesen Sie dieses Buch. Empfehlen Sie es weiter.
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