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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Zwanzig Schnipsel

Hamburg

Aus Kiel kommt seit einiger Zeit die ambitionierte Literaturzeitschrift Der Schnipsel, unlängst wurde ihre zwanzigste Nummer veröffentlicht. Insgesamt acht RedakteurInnen versammeln 30 Beiträge von ebenso vielen Beitragenden. Das aktuelle Heft ist eine Rückschau mit gescannten Best ofs, daneben die Auswahl der derzeitigen Einsendungen. Im Editorial steht:

„Schreibende aller Genres, vereinigt euch!“

prangte auf einem unscheinbaren Zettel, der von zwei dubiosen Gestalten an ein Schwarzes Brett der Uni Kiel im Jahre 2012 unter Lebensgefahr und mit bloßen Fingern gepinnt wurde. Auf diesen revolutionären Aufruf meldeten sich kurz darauf zwei todesmutige Poet*innen – und die Keimzelle des Kieler Literatur-Untergrunds hatte sich gegründet.

Man merkt einigen Texten ihr Werkalter an, um nicht zu sagen, ihre konservierte Frische. Gerade der switch zwischen den ersten Veröffentlichungen im Scan und den neuen Beiträgen macht den Reiz der Nummer 20 aus. Man holpert in einem lesenden Geländewagen hin und her. Starke Beiträge des angenehm sparsam gestalteten Hefts kommen von Steffen Bach Auf dem Tretboot, eine Ausflugsprosa mit Picknickerinnerungen auf den Punkt; ein derber Killervers von Fridtjof Spatz An Kiel; ein Highlight ist Stephanie Nebenführs Referenzvivisektion Lachkonzert in Entenhausen, inklusive Fünf Freunde Spekulation:

Rheinsberg reißt Blätter von den Büschen im Garten ab, leckt sie ab, und klebt sie sich auf jede freie Stelle seines Körpers. Dann übergibt er sich.

Rheinsberg versteckt sich lange im Kartoffelkeller seiner Großmutter. Sie findet ihn zufällig, als sie Kartoffeln aus einem großen Trog sammelt und sein Gesicht darunter freilegt.

Auch Rosa Wohlers Beitrag Laternenpfahles Licht ist interessant, zweigeteilt in sowohl Prosa wie auch einen Lyrikteil. „Slalom hält mich fit“, schreibt sie.

In Die Antenne aus Gedichte in Prosa schreibt Alexei Vesselov: „Sommerabends war unser Haus wie ein Schoner, der durch die Dunkelheit fährt. Am Tisch auf der Veranda sammelten sich Papa, Mama, Oma und Opa und sahen sich etwas in einem kleinen Fernseher an.“ Außerdem von Vesselov in der Sammlung, die im 15.Schnipsel erstveröffentlicht wurde:

DIE WEIDE

Alle Bäume wuchsen nach oben, aber die Weide am Teich wuchs an der Erde entlang: nach links, nach rechts und nach vorne. Die Weide ist sehr alt. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, war sie hundertfünfzig oder sogar zweihundert. Die Weide hat einen sehr dicken Stamm und eine von tiefen Falten gezeichnete Rinde. Nur die obersten Zweige sind dünn und schlank. Sie sind die jüngsten unter allen in der Umgebung des Teichs.

Leon Skottnik steuert den existenziellen Text Der Durchgang (2019); Beton, Tinte, Papier bei. Zara Zerbe schreibt in Nachrichten aus dem ländlichen Raum: „Die Ostsee liegt so ruhig, den kommenden Aufstand der Taschenkrebse bemerkt niemand.“ Und Nikolai Ziemer beendet mit (...), einem ziemlich ( )en Text, diesen unverkrampften Schnipsel 20, deren HerausgeberInnen man frohes Weiterwirken und -entwickeln wünschen darf.

Beteiligte der Zwanzig:
Steffen Bach, André Jonas, Kilian Holst, Malte Collin, Hannah Bittner, Constantin Koch, Yasmine M’Barek, Fridtjof Spatz, Julia Baum, Stephanie Nebenführ, Mio, Kaspar Pansegrau, Dennis Wegner, Jennifer Linda Kreis, Elena Rast, Lennart Pletsch, Leona Sedlaczek, Martin Pabst, Leon Skottnik, Rosa Wohlers, Frederike Loch, Sebastian Sternberg, Sigrun Benesch, Alexei Vesselov, Birger Niehaus, Zara Zerbe, Nikolai Ziemer, Kathi Noß, Stefanie Röhnisch, Sören Gross, Dara Brexendorf, Maline Kotetzki, Alisa Woronow

Der Schnipsel 20
Der Schnipsel
2019 · 122 Seiten

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