Die Solidität der Fundamente
Old Glory ist der Spitzname der amerikanischen Unionsflagge seit dem Bürgerkrieg, als die Nordstaaten unter dieser Fahne kämpften und „Old Glory“ ist auch der Titel des aktuellen Gedichtbandes von Heinrich Detering.
Natürlich lässt sich dieser Titel des namhaften Literaturwissenschaftlers und Vorsitzenden der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung mit seiner Vorliebe für die Vereinigten Staaten von Amerika erklären. Schließlich hat Detering Gastprofessuren in Irvine und St. Louis bekleidet, er ist zudem Verfasser einer vielbeachteten Analyse der Songlyrics von Bob Dylan. So sind amerikanische Motive ein starker Themenstrang dieses Bandes. Einige Gedichte sind anderen Ikonen der Populärmusik gewidmet wie „Graceland“ über Elvis’ Tod oder das Poem „Anrufung der Sängerin Dolly Parton“. In dem Kapitel „Buffalo Bill verlässt Weimar“ nimmt Detering aber auch aktuellere politische Bezüge auf wie etwa in dem Gedicht „Glenn Beck verlässt Fox News“ wo er den extrem konservativen TV-Journalisten Glenn Beck von Fox News bissig skizziert. Weitaus freundlicher das Gedicht „Schneekönig“ über die Inauguration von Obama als erstem schwarzen US-Präsidenten, einer Aufbruchsphase, als die politischen Zeitläufte wie ein einziger Neubeginn erschienen und alles Goldrausch, Ungeduld und „Change“ war : „endlich war der zwanzigste Januar gekommen/ um Mitternacht als ich es bemerkte beim Blick auf/ die Armbanduhr dachte ich flüchtig und/unklar an Eichs Vers Unseren Freunden/ misslingt die Welt ach was lang her kalte Kriege/ waren in diesem Januar Geschichte…“
Old Glory also auch im Bezug auf lyrische Traditionen. Ein Eich-Vers ist nicht die einzige Wegmarke in den Gedichten Deterings. Das Gedicht „Jena“, in dem der Dichter an den Napoleonstein als strategischen Feldherrnhügel bei der Schlacht von Jena & Auerstedt erinnert, beginnt mit dem Vers „vor uns das Heizwerk im lieblichen Tale“ und erinnert dabei bewusst an Benns Gedicht „Jena im lieblichen Tale“, das der als Antwort auf einen postalischen Kurgruß seiner Mutter schrieb. Überhaupt wandelt Detering gern auf bewährten Versesfüßen, da kann es gern auch mal ein biblischer Psalm sein:
Im finstern Tal
weil sie neben mir jetzt gleichmäßig atmet
weil die Kinder schief lächeln im Traum
weil mein Herz wieder so ruhig schlägt
wie der Wecker auf dem Nachttisch
weil der Herr mein Hirte ist auf dieser
grünen Aue
liege ich schlaflos
vor Glück
Der 23. Psalm, ohnehin ein Lobpreis der Gottesgewissheit, wird hier ins Private gewendet, aber auch dies auf dem Fundament eines klaren Glaubensbekenntnisses. Harald Hartung hat Recht: Detering ist ein „metaphysical poet“ und noch dazu einer mit ausgeprägtem Stilbewusstsein. Es geht Detering bei den anverwandelten Zitaten und der Erwähnung bekannter Persönlichkeiten des Zeitgeschehens nicht um Sampling oder Namedropping, sondern um Vergewisserung der eigenen lyrischen Fundamente und Einflüsse, denn trotz dieser Verankerungen weiß Detering sehr wohl um die inneren und äußeren Unsicherheiten der dichterischen Existenz. Das Gedicht „Kilchberg“ bringt die in jeder Hinsicht prekäre Lage auf den Punkt:
Täglich andere Ängste
und immer dieselbe Angst
die erste die letzte die längste
dass du nicht langstdass du nie genug bist
dass du nie genügst
dass deine Sicherheit Lug ist
dass du lügstAngst vor offenen Plätzen
Gier nach dem eigenen Platz
nachts das alte Entsetzen
morgens der nächste Satz
Prekäre Existenz? Bei einem Dichter mit abgesicherter akademischer Position, mit dem Vorsitz zahlreicher literarischer Gesellschaften und Akademien, mit internationaler Vernetzung? Gerade die zweite Strophe entkräftet diesbezüglich mögliche kritische Einwände. Die Sicherheit, ganz gleich, ob wissenschaftliche Laufbahn oder dichterische Lorbeeren, ist nur ein dünner Firnis. Darunter lauern Ängste und natürlich der Kampf um den nächsten Satz. Und dass er sich der sozialen Fallhöhe selbst als Vorsitzender der Deutschen Akademie für Sprache und Dichtung jederzeit bewusst ist, zeigt folgendes Gedicht
Eiswürfel
mit Dr. Enzensberger standen wir
auf der Terrasse der Akademie
und schauten hinunter auf den Platz wodrei graue Frauen Flaschen sammelten
Flaschen wie die aus denen wir tranken
nur eben leer und aus dem Papierkorbunten wo man alles zuerst bemerkt
den leichten Stoß das Knirschen in der Wand
Keine der drei schaute zu uns herauf
Der letzte Vers dreht die poetische Blickrichtung mit einer Chuzpe um, dass einem die Ergänzung „dafür schauen einige auf sie herab“ quasi auf der Zunge liegt. Der Reiz an den Gedichten von Heinrich Detering besteht in der fein austarierten Spannung zwischen formaler Strenge und einer gewissen, durchaus reizvollen Zurückhaltung. Da gibt es kein Bild, dass einen unmittelbar anspringt, keine Formulierung, die beim ersten Lesen aufleuchtet. Detering schreibt keine Gedichte, die sich einem sofort an den Hals werfen. Vielmehr sind es Gebäude, keine kühnen Entwürfe, eher auf Langfristigkeit angelegte Bauten aus sprödem Material, die er, wie es Gerhard Falkner mal sagte „für das Schillern des Lebens bewohnbar“ macht. Es sind Gedichte, die ihren Glanz nicht ostentativ vorführen müssen, sie verströmen eine innere Souveränität, „old glory“ eben.
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