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Kritik

Ein Künstlerdarsteller der peinlichsten Art

Hamburg

Diesen Fall hätte es nie geben dürfen, dieses Buch müsste man eigentlich mit Schweigen übergehen, es hätte sich dafür kein Verlag hergeben dürfen, schon gar keiner mit einem ehemals guten Namen. Das Unglück will es leider, dass es den unsäglichen Fälscherskandal Beltracchi tatsächlich gibt, dass ein Nachmaler namens Wolfgang Fischer seine hochtrabend „Selbstporträt“ genannte kitschige Biographie zusammen mit seiner Komplizin heruntergesudelt hat und dass – es kommt immer noch schlimmer – der Rowohlt Verlag, bei dem einmal richtige Literatur erschien, dieses Machwerk unter die Leute bringt und damit ein kräftiges Stück zur Verwilderung der guten Sitten beiträgt.

Wir haben das ein Unglück genannt, aber in Wahrheit ist das ein viel zu ehrwürdiges Wort für so etwas Banales, was sich am Fälschungsfall, am Buch und am Verlag ablesen lässt, das plumpe Wirken der gängigen kapitalistischen Marktgesetze nämlich. Ein gewisser Wolfgang Fischer, der sich zwecks Aufedelung seines Simpelnamens mit dem wohlklingender seiner Frau schmückt, hat schon als Schüler erkannt, womit sich in dieser Gesellschaft – bei tunlicher Vermeidung von Anstrengung und Ehrlichkeit – leicht Geld verdienen lässt. Mit Aktzeichnungen etwa, die er aus Büchern seines Vaters kopierte und an abnahmebereite Pennäler verkloppte.

Von da an ging es mit dem irgendwie nicht ganz untalentierten Jungen aus der Unterschicht, als der er sich in seinen sülzigen Auslassungen gern stilisiert, steil bergauf, lässt man mal ein paar zeittypische Irrungen und Wirrungen von minderem Interessantheitsgrad außer acht. Schon früh hatte sich unser langsam in die Fälscherlaufbahn hineinwachsender Aspirant an van Gogh und Picasso vergangen, indem er Kopien seines als „Kirchenmaler“ tätigen Vaters noch einmal kopierte, aber das war offensichtlich noch eine falsche Fährte. Ein wenig mehr in Schwung kam die Sache, als der junge Fischer für einen „Exporteur“ Bilder im „Stil von Derain“ anfertigte, „für 100 Mark das Stück“. Von da an fälschte er sich Stück für Stück hoch, um es einmal so auszudrücken, um am Ende bei Max Pechstein, Heinrich Campendonk, August Macke, Carlo Mense oder Max Ernst zu landen.

Mit solchen Bildern war nun, wenn sie täuschend echt aussahen, tatsächlich das große Geld zu verdienen, mehrere Millionen, um genau zu sein. Fischer alias Beltracchi entwickelte, als er Geschmack am Leben auf großem Fuß bekam, seinem eigentlichen Ziel, eine nicht undumme Methode, sogenannte Fachleute, also etwa Auktionatoren und Kunsthistoriker, hinters Licht zu führen. Er fälschte nicht etwa schon vorhandene Bilder von Meistern, sondern suchte sich gewissermaßen Lücken in deren Werk aus, irgendwo erwähnte und nicht mehr vorhandene Bilder, die er dann „im Stil“ des jeweiligen Künstler „nachempfand“.

Mit diesem Vorgehen legte unser Mann etliche „Experten“ aufs Kreuz, der prominenteste darunter wohl Werner Spies, der für mehrere hunderttausend Euro die Echtheit von  gefälschten Bildern des surrealistischen Malers Max Ernst bescheinigte. Das tat er aufgrund von „stilistischen Analysen“, während mit einer simplen Pigment-Untersuchung die Falsifikate sofort aufgeflogen wären. Diese knallige Blamage eines bis dahin angesehenen Kunsthistorikers riss gleich die ganze Branche der angemaßten oder tatsächlichen Sachverständigen mit in den Strudel von Verdächtigungen, wovon sie sich nicht so bald wieder erholen dürfte, falls weiterhin leichtfertig auf naturwissenschaftliche Untersuchungsmethoden verzichtet werden sollte.

Wer sich für die Details des insgesamt bizarren Falles interessiert, sollte sie wohl besser nicht bei Wolfgang B. nachlesen, denn wer ganz gut Bilder fälschen kann, dem dürfte es leicht fallen, auch die eigene Biographie auf verzerrende Weise „umzuschreiben“ – wenn er sich nicht gleich eines Ghostwriters bedient hat, wofür die aufgepeppte Schreibe zumindest passagenweise spricht. Für die Presse – und neuerdings für die Talkshows – war und ist es ein gefundenes Fressen, die Einzelheiten dieses Falles, bei dem es ja in Wahrheit um erhebliche kriminelle Energie geht, einem staunenden Publikum genüsslich auszubreiten. Dabei wurden Zutaten wie Millionensummen, Luxusleben in Südfrankreich, Prozess und Verurteilung, Reue und halbe Zerknirschung gern mit in den Kauf genommen.

Noch mehr amüsierte es den durchschnittlich interessierten Leser dieser Berichte, dass die gesamte moderne Kunstszene, der man schon immer mit gehörigem Misstrauen begegnet war, ordentliche Schrammen abbekam, um es einmal zurückhaltend zu formulieren. Alles Schaumschläger, Mietlinge und üble Profiteure, so der wohl allgemeine Eindruck.

Abschließend sei nur noch mit einem gravierenden Missverständnis aufgeräumt. Der Fälscher selbst, der sich die vermeintliche „Anerkennung“ seines Tuns durch mehrere Gutachter gern auf sein Guthabenkonto schreibt, hält sich allen Ernstes für einen Künstler. Wer etwas ganz gut nachmachen kann, was andere vor ihm geschaffen haben, ist jedoch bestenfalls ein talentierter Nachmaler, ein simpler Handwerker, der vielleicht etwas von künstlerischen Techniken versteht, mehr aber auch nicht. Bei Kunst, die diesen Namen wirklich verdient, geht es aber um Erfindung, um neue Sichtweisen, überhaupt um etwas Neues, was so noch nie gemacht worden ist, was – um ganz hoch zu greifen – unser Sehen auf ungewohnte Weise herausfordert und dafür ganz neue Grundlagen schafft. Davon ist der Herr Fischer alias Beltracchi Lichtjahre entfernt.

Helene Beltracchi · Wolfgang Beltracchi
Selbstporträt
Rowohlt
2014 · 608 Seiten · 29,95 Euro
ISBN:
978-3-498-06063-3

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