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Kritik

Mit nichts als Liebe bewaffnet

Thomas Rackwitz legt Lyriksammlung „an der schwelle zum harz“ vor
Hamburg

Dieses Buch ist gleichzeitig ein Debüt und kein Debüt. Im Eigenverlag sowie kleinen Editionen im gesamten deutschsprachigen Raum hat Thomas Rackwitz bereits eine Reihe von Gedicht-Sammlungen verlegt, seine Texte wurden u. a. mit dem Féile-Filíochta-Award und dem Walter-Bauer-Stipendium geehrt und in mehrere Sprachen übersetzt.

U. a. erschien, neben vielen frühen Texten, sein längst vergriffener Sonettenkranz „in halle schläft der hund beim pinkeln ein“ im Fixpoetry-Verlag und arbeitete der als IT-Lektor lange in Berlin, nun in Blankenburg am Harzrand Tätige an seinem wohl ambitioniertesten Projekt, einem schier ins Uferlose angelegten sog. Großmeister-Sonettenkranz mit sage und schreibe 256 Texten. Nun erscheint sein jüngster Band im Mitteldeutschen Verlag.

In vier Zyklen präsentiert „an der schwelle zum harz“ Rackwitz’ Talentproben aus ca. einem Jahrfünft, ausgehend von der hier aufgenommenen „in halle schläft der hund …“-Sammlung ist der 33-Jährige im Weiteren den Phänomenen „Liebe“ und „Zeit“ auf der Spur und sorgt im die Hälfte des Buches einnehmenden Schlusskapitel für heftiges Erstaunen: In ihm sind alle Gedichte sapphische Oden (oder im die metrische Vorgabe eng adaptierenden Maß), womit Rackwitz de facto die deutschsprachige Produktion in dieser Form des kompletten letzten Jahrhunderts (Bobrowski u. w. a.) mal eben kühl und kühn überflügelt.

Überhaupt überraschen der Reichtum im Gebrauch der festen Form und der Umgang mit dem Aufbrechen dieser. Neben Hexametern finden sich vierhebige, jambisch gereimte Gedichte neben Texten, die bis ins Konkrete oder Prosalyrische befreit sind; und auch die Ortsbezüge sind nicht von ungefähr, stammt doch Rackwitz, in Halle geboren und in Gröbers, einem Dorf, dem Saalemetropölchen gen Leipzig vorgelagert, aufgewachsen, nicht nur aus der Mitte eines für die Geschichte und Kultur bedeutsamen Landstrichs, sondern zugleich der Gegend, in der die Besinnung auf die Form (Sächsische Schule etc.) Tradition hat, aus der sie dank des Auftaktgebers für die lyrische Neuzeit, Klopstock, auch stammt.

Gelassen im virtuosen Gebrauch des Festen wie des Freien, aus dem Festen Errungenen, hat Rackwitz dabei schwere Dinge zu bewegen – berichtet von Überdruss und Rückkehr an die Plätze des Überdrusses („wirst du dann wissen / ob du glücklich warst / und wenn ja / wann es aufgehört hat“); das Erlebnis und die Ahnung des Entsetzens, an dem sich der Autor zuvor abgearbeitet hat, wird zugleich aufgewogen mit der Möglichkeit und der Erfüllung in der Liebe und immer wieder durch den poetischen Fonds der Landschaft, die der Ausgang des Blicks, der Erwägung ist, einen dringlichen Grund für dieses Schreiben gibt.

Im Zentrum dieses Buchs steht und überstrahlt das Übrige das Besingen eines Gegenübers, in dem der Dichter sich spiegelt und was ihm tiefe, wagemutige Liebesgedichte abverlangt – Verse von großer Stille und Dringlichkeit, die das schwierigste ‚Geschäft‘ im menschlichen, allzu menschlichen Metier verhandeln, das Erringen, Bewahren und Halten, nein, mehr noch, „Bewahrenswerthalten“ eines erwählten und geeigneten Partners:

dich zu lieben heißt: sich zu vergessen
dir ein opfer zu bringen und sei es im traum
der mir den unruhigen atem der steine erklärt
in dem es nur noch schwerelosigkeit
und keinen ausweg mehr gibt […]

Oder, im großen Nachgesang des Liebeskapitels („die nacht lag in ketten“): „gestrandet oder endlich angekommen – wir zwei voneinander besessenen: unserer namen entkleidet. mit nichts als liebe bewaffnet.“ Flackernd und leiblich sind diese Texte, das Glück des Begehrens, Halbglück der Obsession erfassend, den Horizont des Riskierens, das die Liebe zugleich ist, betastend in wuchtigen und biegsamen Versen, changierend zwischen Distichon-Strenge und der konkreten Reihung von Gründen,  warum (und so) zu begehren sei.

Und schließlich der Harz, jenes sprichwörtliche Gebirge, an dessen aufstrebender Ostflanke der Dichter nun lebt. Bei aller Verhandlung der Zumutungen, die einem so begegnen, wirkt der Schlusszyklus durch sein scheinbares Motiv einer sichtenden Einkehr wie das Abstecken, Neu-Abstecken eines Kreises: indem der Dichter damit ganz augenscheinlich den Gebresten der abgeholzten Steppe seiner Kindheit und Jugend entrinnt. Der Wechsel sorgt dabei für eine Klärung des Blicks, der eben ein Verhalten des Schritts, ein Voraus- wie ein Rückblicken ermöglicht und einen Sinn im Triebwerk der Zeit, die einen pausenlos fordert und gefährdet, greifbarer sein lässt. Von diesem Mann wird noch einiges zu lesen sein.

landstrich bei morgenrot

der geruch vergangener osterfeuer
hing noch an den bäumen des abgelegnen
waldes es war frühling der neben wirkte
trostlos veraltet

unbeeindruckt stimmten die nachtigallen
fernab erste nachtrufe an gelang es
schatten an der brotlosen kunst des lichtes
sich sattzusehen

später lasen hier die vergessenen den
staub auf querten hirsche die straße ihren
eignen wegen folgend als sich der wind die
wirbel verrenkte

Thomas Rackwitz
An der Schwelle zum Harz
Mitteldeutscher Verlag
2014 · 80 Seiten · 9,95 Euro
ISBN:
978-3-95462-340-2

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