Kommunistin im spanischen Bürgerkrieg, Freundin des Führers, Herzogin von Devonshire.
Was für eine Familie. Vor allem die sechs Schwestern: Jessica war Kommunistin, Unity Valkyrie Freundin von Adolf Hitler, Diana die Ehefrau des schwerreichen Bryan Guiness und dann die Geliebte und später Ehefrau des englischen Faschistenführers Sir Oswald Mosley, Nancy wurde eine weltberühmte Schriftstellerin, Deborah heiratete in den Hochadel, und nur Pamela blieb eher unauffällig, lebte zufrieden auf dem Land, und züchtete Hühner. Unauffälligkeit war den anderen nicht gegeben, sie mussten Aufsehen erregen. Und das taten sie auch. Denn was die Mitford-Schwestern, Töchter von Lord und Lady Redesdale, machten, geboren zwischen 1904 und 1920, das machten sie öffentlich, und die Regenbogenpresse schrieb gern über sie. In England sind sie noch heute hochberühmt, es gibt sogar ein Musical über sie.
Zu Recht, denn diese Großfamilie war wirklich etwas seltsam. So hatten alle Kinder zahlreiche Namen:
„Diana zum Beispiel wurde von ihrer Mutter Dana genannt, von ihrem Vater Dina, von Nancy Bodley, von Pam und Unity Nardy, von Decca Corduroy oder Cord und von Debo Honks. Tom war Tud oder Tuddemy, Nancy hat Debo manchmal Linda genannt (…). Um die Sache noch verwirrender zu machen, riefen sich einige Schwestern gegenseitig beim selben Namen: Decca und Debo waren füreinander bis zum Ende ihres Lebens nur Hen (oder Henderson), Decca und Unity (von den anderen Bobo genannt) waren füreinander Boud oder My Boud, während Nancy und Decca sich beide Susan nannten. Warum, wussten sie selbst nicht mehr. Und für Pam war Decca Steake.“
Zur Schule durften sie nicht gehen, sie wurden zu Hause unterrichtet und hatten deswegen auch keine anderen Kinder zum Spielen. Alle liebten sie das Kindermädchen. Feierten später, als es Mode war, Wochenendpartys, die der Vater hasste, weil die jungen Menschen ihn störten, und er bedrohte sie gern mit Peitschenhieben. Sie zogen immer wieder um. Und viele Jahre lang war irgendeins der Kinder in der Pubertät: Es war immer etwas los.
Anfang 1937 riss Jessica „Decca“ von zu Hause aus, um mit Esmond Romilly, dem Neffen von Winston Churchill, im spanischen Bürgerkrieg zu kämpfen. Der war damals mit dem Fahrrad quer durch Frankreich gefahren, um nach Spanien zu kommen. In Spanien schloss er sich dem Thälmann-Bataillon an, aber „die Deutschen waren ihm zu dogmatisch und humorlos.“ Jessica kam während eines Abendessens auf die Idee, mit ihm zu gehen: „Ob er sie wohl nach Spanien mitnehmen könne, fragte sie ihren Tischherrn. Aber ja, antwortete der. Das war's. Ein paar Sätze beim geselligen Abendessen, und Deccas Leben nahm einen neuen Lauf.“ Der Verteidigungsminister Anthony Eden schickte höchstpersönlich ein Telegramm nach Bilbao: „Dringend. Miss Jessica Mitford muss sofort zurück. Schicke Zerstörer.“ Natürlich ohne Erfolg. Esmond kabelte im Namen des Botschafters zurück: „Habe Jessica Mitford gefunden stop Unmöglich zur Rückkehr zu bewegen.“ Wochenlang berichteten die Boulevardblätter über diesen hübschen Skandal.
Jessica wurde Journalistin, ging später nach Amerika, heiratete den jüdischen Anwalt Robert Treuhaft, engagierte sich in der Bürgerrechtsbewegung, für die Black Panther und den Pariser Mai 68, für Chile und Nicaragua, wohnte in Oakland, der Arbeitervorstadt von Los Angeles und schrieb, neben ihrer Autobiografie, die sie am liebsten „Das rote Schaf“ genannt hätte, ein sehr kritisches Buch über die Auswüchse des Bestattungswesen in den USA, das „The American Way of Death“ hieß. Unity ging nach München und saß so lange im Lieblingslokal des Führers, bis er sie beachtete. Sie tranken regelmäßig Tee zusammen, fuhren nach Bayreuth und auf den Parteitag. Als England dem Deutschen Reich den Krieg erklärte, erschoss sie sich im Englischen Garten in München. Deborah heiratete standesgemäß und wurde Herzogin von Devonshire. Sie starb, als letzte der Schwestern, im September dieses Jahres.
In einer brillant geschriebenen und sehr ausführlichen Biografie „Das rote Schaf der Familie“ schreibt Susanne Kippenberger, Schwester und Biografin ihres Künstlerbruders Martin, jetzt über diese sieben Kinder (ein eher unauffälliger und früh verstorbener Junge namens Thomas und die sechs Mädchen), die meisten im wahren Wortsinn enfants terribles. Im Fokus steht Jessica, die fünfte Tochter, auch wenn ihre Schwestern mitporträtiert werden, der Untertitel lautet zu Recht „Jessica Mitford und ihre Schwestern“. Aber Jessica hat Kippenberger wohl am meisten imponiert, vor allem ihr lebenslanges Rebellentum, das sie seit ihrer Kindheit pflegte: Da hat sie bei der ortsansässigen Bank schon mal ein „Weglaufkonto“ eingerichtet, wo sie Geld sparte, dass sie beim Abhauen brauchen würde. Auch ihre ältere Schwester Unity Valkyirewar eine Rebellin, groß und blond, wie geschaffen für das arische Dritte Reich: „Sie hatte keine Ahnung, wohin mit ihrer Kraft und Energie. Regeln waren für Unity nur eine Aufforderung, sie zu durchbrechen. Schockieren war das Einzige, von dem sie wusste, wie es ging“. Obwohl Unity und Jessica politisch Welten trennte, blieben sie lebenslang in Zuneigung verbunden.
Sehr material- und kenntnisreich schreibt Kippenberger über sie, und ihre Biografie ist so gut zu lesen wie Nancy Mitfords Romane, die als Gesellschaftsautorin reüssierte: Auch Kippenberger kann, und wenn es darauf ankommt, auch kurz und knapp, die fremden Leben witzig und treffend beschreiben, sodass sie einem sofort vor dem geistigen Auge erscheinen. Als Decca und Esmond sich in Amerika einmal als Seidenstrumpfvertreter versuchten, schreibt sie: „Decca streckte ihre hübschen Beine den potentiellen Kundinnen entgegen, während Esmond ihnen den Weg ins Wohnzimmer freischleimte.“ Sie charakterisiert geistreich und mit genug kritischem Abstand, aber auch sehr viel offenbarer Sympathie für das chaotische und aufregende Leben, das Jessica stets nach ihrer eigenen Richtschnur gestaltete. Und fast nebenbei ist das Buch auch ein Porträt von Amerika, das sich in den sechziger Jahren von einem antikommunistischen, bigotten Land zu einem Land der Proteste wandelte, von der „Silent Generation“ nach dem Krieg ging es zu den „Rebels for a Hundred Causes“, wie Jessica die Bürgerrechtler in einem Artikel für Harper's Bazar nannte.
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