Hostie und Happening
„Haec enim sunt corpora mea” (Agrippa von Nettesheim)…
1.
Die Differenz von Transubstantiation – also einer realiter vorgängigen Wandlung – und Kosubstantiation, worin die Hostie symbolisch für den Leib Christi stehe, erscheint uns heute wie eine Marginalie. Sie ist es nicht. In der Tat trotzt eine Konstruktion der anderen je eine spezifische Wahrheit ab.
Denn offenkundig rührt es an einen wunden Punkt, wenn evangelische Kritiker sich die Frage gestatteten, wie lange eine Transsubstantiation denn währe. Das zielte freilich undelikat auf die Frage, ob die Anthropophagie, die man also betreibe, nicht auch zu quasi liturgischen Ausscheidungsproblemen führe. In der Tat wurden und werden Hostien nicht als Oblaten entsorgt, sondern, wo sie nicht verbraucht oder nicht mehr verbrauchbar sind, etwa als Leib Christi beerdigt. Das Tabernakel ist kein Leibchristiwarenlager und das Transubstituieren auf Vorrat, wie man es in der Orthodoxie mitunter betreibt, nicht unproblematisch.
Umgekehrt ist die Konsubstantiation rasch in etwa das, was das Zitieren einer Metapher in der Sekundärliteratur wäre, oder das Vorhandensein einer solchen auch in einem anderen Gedicht, das aber zweitrangig wäre. Oder in einem Gedicht, worin der Metapher eine andere Qualität oder Intensität zukommt, man vergleiche Celans berühmteste Metapher, die vielleicht keine ist – „Schwarze Milch” – mit Nietzsches Zarathustra, worin es heißt: „deine Kuh Trübsal melktest du”, ein schönes Bild eines Selbstmitleids, das mit der pervertierten Metaphysik einer objektiv ins Recht gesetzten Melancholie aber wenig gemein hätte, falls man dieses Detail bei Celan so beschreiben kann…
Eine Metapher ohne Poem, ohne ihr Poem, ist weniger, als sie ist; so läuft Konsubstantiation Gefahr, zum blassen Höhepunkt einer toten Liturgie zu geraten.
2.
Damit ist berührt, worum es in der Realpräsenz gehen mag: Liturgie. Eine Metapher ist keine Metapher, wo sie nicht eben dies in einem Text ist, der mit größtem Ernst dieses Spiel zuläßt, daß sich die Metapher als uneigentliches Sprechen zum doch allereigentlichsten Ausdruck wandle, ja: zur Sache selbst, die jedenfalls in resonanter Nähe hier mitschwingt.
Dieser Ernst ist einerseits schierer Obskurantismus. Darauf zielt Loriots wunderbare Inszenierung einer Dichterlesung in seinem Film Pappa ante Portas von 1991, genauer: seiner Inszenierung dieser Inszenierung, worin dann mit unbequemen Stühlen, trockener Luft und dementsprechend Hüsteln, Bildungsbeflissenheit inklusive Irren beim Dichternamen und monströsem Programm, Schluckauf („Gehört das zum Vortrag?”) sowie – natürlich – geräuschvoller Lederjacke gleichsam aus Melusine ein Gedicht würde. Allen Ernstes schreibt Blanchot, jedes Kunstwerk verleihe „uns das Organ, das wir zu seiner Aufnahme benötigen”, es schaffe seinen „stets sich wandelnden Raum”; aber schon dieser ist vielleicht doch kein metaphysischer Ernstfall…
Andererseits ist das Spiel ohne ihn unmöglich. Gibt es eine „Trennung […] von Spiel und Ernst”, die den Ernst des Spiels suspendiert, so gilt, man müsse dennoch „selbst an diesen Ernst glauben”, denn „auch das gehört zum Spiel” (Burger) – ist Kunst „Magie, befreit von der Lüge, Wahrheit zu sein”, wie Adorno schrieb, so doch auch von der Wahrheit befreit, sie sei bloß Chimäre; die Kunst ist Blanchot zufolge im Werk wirklich.
Man kann ohne den Umweg, der gemacht wird, nicht zum Eigentlichen, das eben eine Konstruktion des Bogens ist, den man machen (oder: beschreiben) muß. Paul Celan nahm, so wird glaubhaft kolportiert, einem, der einen seiner Lyrikbände rasch durchblätterte, das Buch aus der Hand, weil man ihn so nicht lese. Tatsächlich ist der Prozeß der Lektüre vielleicht eine Liturgie, vielleicht sie hinwiederum in der Lektüre wieder zu entdecken.
3.
Lektüre ist also ein happening, ein event, ein Ereignis, dessen verläßlicher Auslöser der Text ist. Dessen Resultat zu antizipieren wäre falsch, es hat Gründe, warum man Studierenden der Philologie – spätestens ihnen – sagt, sie mögen Sekundärliteratur tatsächlich auch chronologisch nach der Primärliteratur verorten. Lektüre übersetzt, aber ersetzt nicht. Wer mit einem Gedicht konfrontiert googelt, anstatt zu lesen und wieder und wieder zu lesen, was da denn steht, der hat das, was das Gedicht sei, nicht verstanden, auch wenn er seine Bedeutung qua Suchmaschine vor sich liegend wähnt.
Liest man die Exegese statt der zu interpretierenden Provokation, die jedes Gedicht etwas hervorrufend (pro-vocare) ist, wird aus dem ehrenwerten Versuch, etwas von dem zu verraten, was darin vorgehe, zum Verrat. Die Todefuge Celans muß erst falsch gelesen sein, notfalls, um dann zu wirken; so bedarf Marcel Duchamp solcher Kenner, die das als Nicht-Kunst deklarieren, was als Ready-mades die Kunst revolutioniert haben mag, Joseph Beuys’ Soziale Plastiken sind ohne das Soziale keine Plastiken.
Kunstbegleitrhetorik muß darum zuallererst das, wogegen verstoßen wird, memorieren und aktualisieren.
4.
„Ein aufrührerischer Humor” bedarf einer Ordnung, und zwar, auf daß die Metapher, die Liturgie, … zeigen: „Die allgewaltige Ordnung kann durchbrochen werden” – was so von theologischer Seite, konkret von Christian Feldmann in Gottes sanfte Rebellen, formuliert wird, beschreibt auch Roland Barthes: Es brauche eine „Provokation […] ihren Grund und ihre Freiheit”.
Durch den Kontext ist, was Hostie sei, Hostie, das heißt: durch die Welt, aber auch den prozeduralen Akt der gelesenen Messe. Durch den Kontext ist Sprache, was sie ist, und zu den Verstößen fähig oder genötigt, die sie lesend sagen lassen, es „seien […] die heute gesuchten” (Benjamin). Durch den Kontext ist ein Ready-made eine Schulung des Blicks, der das Objekt Flaschentrockner qua Museum samt Wandlungswort – dem Katalog – als etwas nicht mehr identifiziert, ist doch das id substantiell transformiert.
Hier sind Kommentar und Deutung mit dem event verbunden. Theologie und Liturgie (wenn nicht Glaube) sind kaum zu trennen, was auch für das religiös-metaphysische Substrat von Kunst gilt, deren Augenblick – es gibt ihn, es gibt den überspringenden Blitz – sich der Rhetorik verdankt, die verdammend oder verstehend auch generiert, wozu sie posteriori sein soll. Rudolf Burger schreibt: „Die Geschichte der religiösen Verkündigungen und Lehren ist die Geschichte ihrer Metaphorisierungen”, die Metaphern wiederum leben aus dem, worin, woraus und wogegen sie sich formieren.
5.
Dementsprechend ahnt man, daß das Problem der defäkierten Hostie gar nicht so abwegig ist. Dazu muß man bloß an die Badewanne des schon erwähnten Künstlers Beuys denken:
„Für die Ausstellung im Schloss Morsbroich ging das Werk nach Leverkusen und wurde dort eingelagert, da die Ausstellung noch aufgebaut werden sollte. Der SPD-Ortsverein-Leverkusen-Alkenrath feierte am 3. November 1973 in diesem Museum ein Fest. Zwei SPD-Mitglieder, Hilde Müller und Marianne Klein, suchten eine Schüssel zum Gläserspülen und entdeckten die scheinbar mit Heftpflaster und Mullbinden verschmutzte Badewanne, ohne zu ahnen, dass diese mit ihren Materialien ein Kunstwerk war. »Wir dachten, das alte Ding könnten wir schön sauber machen und benutzen, um darin unsere Gläser zu spülen«, erinnern sie sich, »so wie die aussah, konnten wir sie nicht gebrauchen. Deshalb haben wir die Wanne geschrubbt. «” (wikipedia zu Joseph Beuys’ Badewanne)
Nicht als Beleg dafür, daß moderne Kunst eben keine sei, kann das dienen, allemal aber als Beleg für die event-Gebundenheit: Sie ist keine Kunst, wo sie nicht kontextualisiert ist, und zwar weniger durch verspätete Nobilitierungsversuche qua Kommentar, vielmehr durch den Umstand, als Provokation so deutlich wahrgenommen zu sein, daß zugleich ein Fehler – es handle sich hier eben um eine schmutzige Badewanne – ausgeschlossen ist. Darin ließe, so Blanchot, das „Werk […] zum Vorschein kommen, was im Gegenstand verschwindet.”
Der Fehler wird also so zur Erkenntniskategorie, wie das Verkennen eines ungesäuerten Brots als Leib Christi, beide eröffnen eine Sprachmöglichkeit und, insofern sie eine Leerstelle indiziert, -notwendigkeit.
Dieser Fehler spitzt sich hier zur schlechthinnigen Aporie der Liebe zu, die Hostie ist Gottes Sohn; ist – trinitarisch – Gott; ist Liebe, deus caritas est. Aus der Begehrensstruktur dessen, der nach Brot hungert, ist eine völlig andere geworden, eine unklare nämlich, die durch diese Unklarheit paradox geradezu definiert wäre. Eine Begehrensstruktur ist funktional und stillbar, sexuell/erotisch (das Denotat ist dasselbe, das Konnotat womöglich nicht) etwa spielt das Gegenüber in einer Form des Austauschs eine Rolle, die sogar ein pathetisches Aus-der-Rolle-Fallen beinhalten mag, doch Liebe ist mit einer zärtlichen Ratlosigkeit sich nicht einmal sicher, ob es des Austauschs bedürfe, durch das Vorhandensein des Anderen stimuliert, auf der Suche, was sich da ausdrücke; und wie man ihm antworten könne.
Wird Begehren in Liebe gewandelt, ist es unkenntlich und der Liebende so ratlos wie das Kind, das – den Leib Christi im Mund – versucht, nicht mit den Zähnen an die Oblate zu stoßen. Und es wird unstillbar, in der Liebe gibt es keine Saturiertheit, keine Müdigkeit, kein surplus, das nicht sogleich als der Liebe doch stets eigenes sich erwiese – die Liebe besteht Derrida zufolge wohl Über-benennung. Ob etwas Liebe sei, erschließt sich demnach allein in der Zeit, in einem Nachhallen, das das Retrospektive eben dieses Wort beharrlich konterkarierte.
6.
Man kann demnach dem Glauben an die Transsubstantiation zum Trotz davon ausgehen, daß hier in actu und momentan der Ernst des Metaphorischen spontan zu einer Art von semantischer Entladung führt: „Blitz plus ein Gedächtnis” (Serres), doch metaphysisch ist dieses beigeschlossene Memorieren nur vielleicht, auch ist hier womöglich umgekehrt ein Erinnern und dann der Blitz – und danach vielleicht sein Donner…
Selbst wenn es Eucharistische Wunder gibt, etwa jenes von Lanciano, ist ja fraglich, inwiefern sie durch Erhalten (das irgendwann selbst wundersam ist oder jedenfalls wäre) etwas bewirken, das nicht der Akt der Transsubstantiation schon mehr denn antizipierte, inwiefern sie also nicht quasi tautologisch werden – oder eine Übererfüllung, wobei das surplus von einer gewissen Irrelevanz wäre. Die alte, verschimmelte, ausgespuckte oder anders ausgeschiedene Hostie ist kurzum ungenießbares Brot (oder in Sonderfällen altes Fleisch…) – wie auch die Badewanne ohne event qua Kontext wieder tatsächlich Badewanne sein mochte. Diese zu rekonstruieren, bedeutete, ihre Provokation zu erneuern, in der Tat war dies schwerlich der Fall:
„Im Auftrag von Schirmer stellte Beuys 1977 in München die Badewanne in ihrem ursprünglichen Zustand als Kunstwerk wieder her, wobei alle vorhandenen Fotografien zurate gezogen wurden”,
so der zitierte wikipedia-Artikel; provozieren konnte hier nur mehr die Klage: 58.000 DM Schadensersatz, das ist womöglich hier die Fortsetzung der Kunst mit juristischen Mitteln. Vielleicht sind Unterhaltszahlungen analog die ebensolche Fortsetzung der Liebe, gewiß sind es die sprachlich ans Juristische grenzenden Verrechnungen der Atheisten gegenüber ihrem Gott: Vom „Verbrechen der Theologie, gegen das Nietzsche den Prozeß anstrengte, ohne je zur letzten Instanz zu gelangen”, schreibt Adorno.
7.
Das Ereignis ist nicht zu konservieren, bloß zu erneuern, freilich mit anderen Mitteln. Differenz und Wiederholung sind ineinander verschränkt, gerade im event, das Singularität ist, jedenfalls im Moment der Rezeption – die schon erwähnte Todesfuge beispielsweise wird immer wieder gelesen und die Lektüren mögen geglückt einander strukturell gleichen oder wenigstens ähneln, dennoch sind es immer wieder erste Male, singuläre Kontakte, worin sich ihr Hintersinn, ihr Witz, wenn man es so ausdrücken kann, vollzieht, sie den Leser desavouiert und ihn darin (unter anderem: sie) zu lesen lehren mag: ihn und seine allzu „eigene Kultur in die Falle zu locken” sucht, wie es bei Foucault heißt.
Konserviert, sei’s als zu säubernde Badewanne oder verderbliches Brot, bliebe nichts davon; bloß ein Fetisch, doch die „affektive Besetzung des Tauschwerts ist keine […] Transubstantiation.” (Adorno) Es bliebe statt der Liebe ein Liebesversprechen; immerhin:
„Man verspricht also die Andauer des Anscheines der Liebe, wenn man ohne Selbstverblendung jemandem immerwährende Liebe gelobt.” (Nietzsche)
Liebe ist als Liebe ewig, als Versprechen aber ein Formalakt, an ihn anders zu glauben, das wäre irrational – rational wären die Transsubstantiation, die Adorationen und Liebesdiskurse. Rational wäre in allem die absolute Metapher, die es nur als topischen Hiatus, der in sich verschwindet, gibt, als Ereignis, das zu denken gibt; das „Gedicht benennt das Heilige, die Menschen hören das Heilige, nicht das Gedicht.” (Blanchot)
Gleichsam: Wovon man nicht sprechen kann, das muß man transsubstituieren…
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