„alles Liguster mal Diesel hoch zwei“
Was müsste eigentlich noch schiefer, was schräger werden, wenn sich weiterdreht alles, bis man schließlich unaufhaltsam verrückt ist? So könnte man beginnen, dieses Buch zu beschreiben. Es wäre allerdings eine Art Behelfskrücke, denn nichts wäre damit ausgesagt über das Mysterium dieses wundervoll komponierten Werks. Vierunddreißig Gedichte legt Karin Fellner im neuesten, ihrem nunmehr vierten Lyrikband vor, die Gegenwart poetisch entrücken, sie fragmentieren und eventuell noch mögliche Zukunft in einer denaturierten Welt kraft des Wortes ins Surreale kippen und verwandeln.
Fellner gliedert ihr Buch in vier Kapitel und lässt aus jedem eine andere Hauptperson sprechen, einsame Närrinnen, vernarrt in, genarrt durch ihr Tun. Im ersten begleiten wir die „Poetin“, die sich selbst und das zunehmend Fremde ihrer Umgebung beobachtet.
Asymmetrisch vom Morgen
stakst die Poetin durch
die von Pflichttätern
sporadisch durchzuckten Gassen
heißt es im Gedicht „Kleinöd“. Sie registriert seltsam affektlos, dass sie anders ist, nirgendwo dazugehört, versucht, sich durch präzise Beobachtung ihrer Umgebung in ein Funktionieren zu bringen. So memoriert sie Begriffe, die sie liest oder hört, deren Bedeutung ihr jedoch fremd bleiben. ... sie imitiert den Schritt // der Zielhaber, während sie selbst kein Ziel hat, vielleicht nie eines finden wollte, sich unzugehörig und als Gefällte begreift, der trotzdem manchmal kleine euphorische Sonnen leuchten.
Im zweiten Kapitel begleiten wir Skarda (Name gewählt in Anlehnung an Hölderlin/Scardanelli), auch sie eine verrückte Närrin im Anlauf zur Übersprungshandlung. Auch hier die Entfremdung als Motiv:
Wenn andere ausatmen, atmet
Scarda ein: Maschinchen
Vom Kosmos sanft getreten.Will das Zerbeugte, Zerbeulte
Mit Stille anreichern. Aaah.
Scarda kommuniziert, allerdings mit der Kaffeenachbarin oder Passanten genau so wie mit Wohnblöcken oder Stechmücken und weiß auf ihre Art zu benennen:
Den Regen nennt Skarda Biju-ti
Tüllspringer Füllbringer, rühmt
seine Kristalltapete
am Giraffen-Graffito ...
Im Kapitel „Qapla“ (ein Verabschiedungsgruß der Klingonen) entgleitet die Närrin, vereinsamt in ihre Entrücktheit. Sie beobachtet, nimmt wie eine Autistin Fremdfalsches wahr in einer denaturierten Umgebung. Worte wie „unermüdliches Rollen der Gammawellen, Brandmauern, kalter Brüter, etc.“ lassen an eine Großkatastrophe denken. Hier gibt es kein menschliches Gegenüber mehr, sie redet mit dem Wind, mit Termiten oder einer transgenen Ziege, bespricht Gelenke und Sohlen, füttert Karmatiere.
Die Närrin kaut Borke, sie kauert
im Hochhaus über den Sümpfen
wo Leuchtreklamen glänzen
und magnetische Vögel ...
Die Sprecherin des vierten Kapitels heißt Anako Retin (von Anachoret-in, die Einsiedlerin). Sie hat kein Gegenüber mehr, nur das Ich-Selbst, mit dem sie Ansätze einer Kommunikation verbindet, bis sie sich im letzten Gedicht dieses Buchs schließlich verliert:
Sagt Anako Retin auf Anako Retin deutend:
Wer ist diese Person?
...
Die Augen liegen quer über der Nase, ich
übe, sagt Anako Retin, den Rauch
und das Verwehen
in alle zehn Richtungen.
Rätselhaft sind diese Gedichte und geben ihr Geheimnis auch beim wiederholten Lesen, das unbedingt ein lautes sein muss, nicht restlos Preis, was jede Relektüre lohnenswert macht. Fellner webt Zitate aus dem Alt- und Mittelhochdeutschen oder dem Grimm’schen Wörterbuch ein, verwendet Mundart, entfremdet Worte aus dem Isländischen oder Irischen, schöpft Anregungen aus vielen anderen Quellen, u.a. auch aus Filmen. Trotz eines melancholischen Grundtons sind die Gedichte manchmal subtil heiter in der poetischen Umwandlung des Verkümmerns von Mensch und Materie. Hier entladen sich keine Affekte mehr, bleibt Hinnahme im Verrücken der einzige Weg des Auskommens mit dem (eigenen) Untergang. Ein störrisches, verstörendes Buch.
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Kommentare
Ohne Kosmonautenanzug
Die Kritikerin hat offenbar sehr genau gelesen und sich auf nicht einfache Texte eingelassen. Klingt selbst für mich als Nicht-Lyrik-Liebhaberin spannend!
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