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Kritik

Wörter wie ausgedünnte Betonflächen

Hamburg

Manchmal wartet man auf etwas, ohne genau zu wissen, dass und worauf man eigentlich wartet. Ich warte irgendwie immer darauf, Gedichte zu lesen, die mich voll erwischen, die mich aus dem gemütlichen Lesesessel an einen anderen Ort befördern, sei es nun aufgrund ihres Inhalts, ihrer Sprache, ihrer Bilder – am besten mit der Kombination von all dem. Der Kölner Lyriker Christoph Danne schreibt solche Gedichte, das weiß ich, seit ich sein Debüt „finderlohn“ (Köln 2011) las, und mit „das halten der asche“ (Köln 2014) erwischte er mich wieder – und jetzt zum dritten Mal. Im Elif Verlag ist soeben sein neuer Band „Shooting Stars“ erschienen.

Es ist eher selten, dass ich auf ein Buch wirklich warte und voller Vorfreude den Erscheinungstag herbeisehne, der in diesem Fall mit der Premierenlesung im Köln-Ehrenfelder Weltempfänger zusammenfiel, wo Danne die neuen Poeme vorstellte, musikalisch begleitet von Miriam Berger von der ebenso wunderbaren Kölner Band Muskat. Es ist auch eher selten, dass ich Rezensionen in der ersten Person schreibe (gab’s da nicht mal ein ungeschriebenes Gesetz, das derartigen Subjektivismus verbietet? Who cares?).

Was ich meine sind Verse wie diese: „wir liefen auf grund / an der peripherie im / graubereich wo / ausfallstraßen die himmelsrichtung / definieren die hunde nicht mehr / angeleint sind wir / hantierten mit wörtern die / wie ausgedünnte betonflächen / in unseren mündern lagen…“. Für genau dieses Gedicht mit dem Titel „grand tour“ erhielt Danne 2014 den postpoetry.NRW-Lyrikpreis. Er hätte ihn aber auch für fast jedes andere Gedicht in „Shooting Stars“ bekommen können. Es sind bildstarke Texte, die ihre Bezugspunkte zum Greifen nah durch die Verse tragen, egal ob in Barcelona oder in Köln. Und es sind persönliche Texte, die vom Empfinden handeln und dem Leben im Moment – freilich nicht, ohne diese Momente immer wieder zu hinterfragen, den Schwingungen nachzuspüren, die sie ins sich und ins Ich hinein tragen.

Christoph Danne ist ein stiller Beobachter, der in allem eine angenehme Melancholie findet und das Leben mit einem Augenzwinkern verdichtet: da kullert an einem „verdächtigen morgen“ eine Flasche durch ein Straßenbahnabteil, in dem Schulkinder spielen, und „auf der rolltreppe / schüttet eine dickliche frau / sich korn in den kakao / und auch sonst war diesen morgen / nichts so / wie es schien“.

Die konturlosen Straßen des verregneten Dublin treffen auf Straßengeiger am Kölner Ebertplatz und auf einer Dichterlesung macht der Dichter eine simple Rechnung auf: „am ende zahlt man fast immer drauf / also mal locker bleiben jetzt“. Und „desperados“ ziehen „neue küsten / um die ozeane“, ein Zuhause „gewinnt seine konturen erst / im moment des zerfalls“.

Und die „Shooting Stars“ – sind das die Fußball kickenden Kinder vom Buchumschlag oder ist das doch einfach nur jeder von uns im richtigen Moment? Vielleicht. Sicher ist, ganz subjektiv nur eins: Ich habe auf „Shooting Stars“ gewartet, ich habe es gelesen, mehrmals, in Köln, in Istanbul, und es ist eines jener Bücher, von denen ich weiß, dass sie mich noch an viele Orte begleiten werden. Währenddessen warte ich auf das Vierte von Christoph Danne.

Christoph Danne
SHOOTING STARS
Elif
2015 · 60 Seiten · 11,95 Euro
ISBN:
978-3-9816147-0-1

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