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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
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Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

„Auf und davon. Aber nicht ins Leere.”

Ein Buch eines maßgeblichen Denkers
Hamburg

Wenn, wie man zuweilen sagt, die Exkommunikation die Taufe des freien Geistes ist, dann hat die Kirche womöglich gewußt, was sie tat, als sie Adolf Holl Lehrbefugnis und Priesteramt entzog, ihn also „de facto exkommuniziert” hat, wie er selbst sagt. Zugleich hatte man ihn so ausgeschlossen, aber nicht widerlegt. Sein Irrtum, der keiner war, wohl aber für die Obrigkeit ein Vergehen, bestand darin, Jesus nicht als allein erhöhten zu denken; und darum auch in Frage zu stellen, ob die salbungsvoll agierende Kirche noch mit Jesus zu tun habe, der zwar schlechte Gesellschaft nicht scheute – eine dermaßen schlechte aber doch nicht verdient. Das die Amts- und Priesterkirche in Frage stellende Werk erschien 1971.1

In der Folge wurde Holl wie gesagt 1973 die Lehrberechtigung entzogen, 1976 wurde er durch den Wiener Erzbischof Kardinal König vom Priesteramt suspendiert, der ihn wohl verstanden hatte, aber eben auch ein „Opportunist” gewesen sein dürfte, so eine Einschätzung, die Holl zitiert.

Man hat ihn somit als unwiderlegbar geradezu bestätigt, denn ein Irrtum seinerseits wäre wohl nicht so behandelt worden, da hätte man auf Machtspiele verzichtet und argumentiert. Gewissermaßen hat Holl es mit seinem Rauswurf amtlich, daß, was die Amtskirche zu Jesus zu sagen weiß, ein „Schmarren” ist, das Wort, das ihm zu Ratzingers Buch über Jesu Kindheit einfällt... Eine persönliche – und nicht nur eine persönliche – Katastrophe bleibt es auch, wo das festgehalten ist, eine Religion, die so nur verwaltet wird, ist Verrat an ihren Möglichkeiten, die Frage, wie man eine Religion gründe (so ein Buchtitel Holls), rückt dies ins Licht, ein Priester, der von Offiziellen als „Antichrist” denunziert wird, weil er sich dem nicht fügt, aber dennoch leidend, natürlich: „Liturgiesüchtig” sei er gewesen und geblieben, so Holl, dem man gleichsam die Möglichkeit eines auch höflich-förmlichen Umgangs mit Gott so nahm. Alles fing mit Jesus in schlechter Gesellschaft an, Holls Provokation, die Wandel hervorrufen hätte können, doch das pro-vocare wurde anders vernommen, es rief die „katholischen Verhunzungen” nochmals hervor.

Während es manche Autoren nun zu dieser Geschichte nicht brächten, begann Holls eigentlich erst – der Renegat wurde zum gefragten Autoren, vielleicht zunächst wegen des veritablen Skandals, sicherlich aber dann wegen der Eleganz seiner Bücher, seiner Pointiertheit, die bei ihm metaphysisch wird, seinem akkuraten Blick aufs Wesentliche. Und viele dieser Diskurse greift der neue Band auf, die Werkstattgespräche, wie es im Untertitel heißt, sind Egon Christian Leitners Versuch, Holl im Gespräch zu vielen Fragen erneut zu hören, oftmals mit dem Akut auf dem Widerspruch, doch dies mag Programm Leitners gewesen sein, Holl bleibt kohärent und weist, wo er es nicht ist, nicht sein darf – die Religion Vorletztes erzwingt –, selbst darauf hin. Dann bedarf es der Balance, die keine Statik sein kann. Begegnet Holl ihn frappierenden Aussagen aus seiner eigenen Feder, so zeigt sich hier, daß sie nicht anders sein durften, nimmt er sie fast zurück, so doch nie deren Recht verneinend: „Bei aller Selbstironie scheint ihm die Wiederbegegnung Freude zu machen”,2schreibt Peter Henisch hierzu.

Das „Weiterwurschteln” sei es, worauf es ankomme, wo keine ultima ratio sein soll, in der Politik, aber eben auch im Gespräch mit Gott: „Fortwurschtler aller Länder, vereinigt Euch!” Die Formulierung, die das Pathos nicht beläßt, aber sehr wohl ein Engagement, weil es wirklich ums Offenhalten geht, wirklich um die Ironie, ist typisch für Holl, für die Musikalität seines Denkens, womit er zugleich dem verdächtig Schönen, der Inszenierung der Macht, wenn man so will, die Luft rausläßt: eine schöne Allegorie, zu der sich ein Theaterstück Holls entwickelt, worin Puppen, die übermächtige Diskurse darstellen, wirklich die Luft ausgelassen wird.

Adolf Holl folgt man in diesem Band gerne, quer durch die Kirchengeschichte, zu Gegenwartsfragen wie dem Kapitalismus als Quasireligion (und vielleicht nicht einmal nur Quasi-...), zum Lernen und dem respektlosen Verlernen – er habe das Beten „zum Glück wieder verlernt”, sagt der, der doch der „Schlussstrichzieherei” nichts abgewinnen können will –, zu seinem Wirken und dem Widerstand des vielgestaltigen „Wolfshundes”, wie Holl Ratzinger als Inbegriff der Stagnation nennt, zur Kenosis, weshalb also die Gottesrede immer prekär ist, über Stigmata, die nicht endogen sein, sondern Bild oder auch Symptom des Mitleidens, H. U. v. Balthasar, einen von Holl höchst geachteten Ästheten unter den Theologen, der doch – oder darum? – auch „zornig” war, über eine des Zorns ermangelnde „Tantenreligion”, worin Aggression freilich anders umso brutaler und willkürlicher ausagiert werde, und ... und ... und...

Man lernt unendlich viel von und in diesem Buch; und man wird gut unterhalten, keine Frage, nicht immer vom ziellosen Leitner, von dem man oft nicht weiß, wohin es gehen soll, was nicht nur eine angenehme Absichtslosigkeit meint, ohnehin ließe sich Holl nicht lenken, wie ich aus eigener Erfahrung weiß.3 Sondern auch Wiederholungen, redundant, weil keine neuen Konstellationen ergebend; derlei stört – und die suboptimale Redaktion, mag Holl auch als kleine Bösartigkeit (gegen wen..?) die Jelinek als „Gertrud Jelinek” anführen. Derlei trübt aber den Eindruck kaum, zuletzt bleibt dies ein weiteres Buch eines maßgeblichen Denkers, der die Kirche gegen ihren Willen verbesserte und die Obrigkeit das Fürchten, vor allem aber die Unterdrückten das Hoffen und Aufbegehren lehrte; und jeden Leser ein Glauben, was auch immer das heißt, vielleicht: ein genaueres Lesen. Sehr zu empfehlen!

  • 1. Adolf Holl: Jesus in schlechter Gesellschaft. Stuttgart: Deutsche Verlags-Anstalt 1971
  • 2. Peter Henisch: Na und? In: Die Presse · Spectrum 1.5.2015– http://diepresse.com/home/spectrum/literatur/4721864/print.do (Stand: 2.6.2015)
  • 3. Martin A. Hainz, Adolf Holl, Doron Rabinovici: Ohnehin in schlechter Gesellschaft. Ein Gespräch. In: Heilige versus unheilige Schrift, hrsg.v. Martin A. Hainz. Wien: Passagen Verlag 2010 (Passagen Philosophie), S.185-201
Adolf Holl · Egon Christian Leitner (Hg.)
Zur frohen Zukunft
Werkstattgespräche mit Adolf Holl
Wieser Verlag
2015 · 450 Seiten · 24,50 Euro
ISBN:
978-3-99029-123-8

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