Samstag, 26. Juli 2014

Petey

Dinge, die verborgen in alten Häusern schlafen,
Etagere, Zeit=Staub eingemottet, lichtlos wartend,
Der Jäger häutet den Bär, geht in seinem Fell davon,
Aber der Bär, in des Jägers Jacke, folgt ihm.

In mühseligen Bildern ist der Archetyp benannt
Der durch die Kälte greift mit Klauen auf der Schwelle,
Den es zu sehen gibt im Buch von Alliette,
Der da nicht hingehört, der dennoch seine eigenen

Bewegungen spiegelt in der Karte, der letzten.
H.U.N.G.E.R. ist das Wort des Betrogenen, der
Um zu sterben, seinen Hals mit bloßen Händen auf

Reißt, festgeschnallt auf einer Marterbank spricht er
Nicht mehr, der Einsiedler hat die Worte verloren.
Wenn man die Türen öffnet, die Bilder betrachtet.

Freitag, 25. Juli 2014

Matthew Phipps Shiel (1865 – 1947)

HG Wells und MP Shiel waren Zeitgenossen. Sie betraten und verließen die Welt mit je einem Jahr unterschied. Wells Ruf als Vater der Science Fiction wuchs im Laufe der Zeit an, während Shiel aus den Bücherregalen verschwand. Beide hegten ein Interesse für Zukunftsvisionen und wissenschaftliche Romanzen und es gibt Hinweise darauf, daß Wells von Shiel beeinflußt war.
Shiel wurde in Westindien geboren und schrieb in einem extravaganten Stil der Décadence. Um die Jahrhundertwende schuf er die erste Science-Fiction-Serie (obwohl es sich  in Wirklichkeit nur um drei lose miteinander verbundene Bücher mit  alternativen Weltentwürfen handelt).
Shiels Ruf stützt sich vornehmlich auf den letzten Teil der Trilogie, dem apokalyptischen Roman "Die purpurne Wolke", der den Leser mit einigen "Fehlstarts" zu verwirren trachtet, sich dann aber anschickt, ein außergewöhnliches Stück den Genres zu werden.
In der Kurzgeschichte "House of Sounds" gelingt (oder mißlingt) es ihm, eine eigenwillige Version des Untergangs eines Geschlechts in der Manier von Poes Haus Usher im Gewand des nackten Wahnsinns (und nicht nur des Sonderbaren) zu kredenzen, erreicht aber zu keiner Zeit poe'sche Qualitäten, hinterläßt aber ein Dokument morbiden Irrsinns.

Glutenbarke

Ein Meuchelmorgen läßt uns waten in finsteres Gemäuer, von den Scherben ging eine ängstliche Stille aus, als wir das Zimmer mit der zerschmetterten Puppe auf dem Boden schließlich fanden, abyssales Augenwerk riß Löcher, zur Hälfte denke ich, es war ein Traum und die Überraschung rührte daher, die schwere Pforte geöffnet zu finden, eine gewisse Stimmung von wild wuchernden Büschen, ein Scherz von Dornröschen.
Die Puppe lustert nach dem hellen Licht, das in ihren Augen stets erlischt, wenn sie sich aus der Bettstatt schleppt, den Kummer gurgelnd in sich sprengt und nackend in das Düster steppt. Schon in den frühen Stunden der Balz wurden die Netze neu verknotet, wurden Aussagen uneindeutig, war das Unterbewußte der Nährboden – überhaupt der einzige Boden –  in einer ewig rätselhaft erscheinenden Welt. Etwas kam uns gefährlich vor; das Formidable stand in der Luft, stank aus den Mauern heraus. Ohne die vergessene Puppe, ohne die verlassenen, schnell vom Tisch fortgerückten Stühle, die offenstehenden Küchenschränke, wären wir nicht gar so sehr erschrocken gewesen über die museale Begegnung. Wer klopft? Komm’ rein und zieh’ mir Zunder an
     & mach mir feuchte Feuer heiß
     & harze mir die Zunge aus
     & schleppe mich zur Glutenbarke!

Montag, 21. Juli 2014

Sieben Dinge

Die Zahl 7 ist als einzige Zahl
unter den ersten zehn diejenige,
die weder Faktor noch Produkt aus anderen Zahlen ist.

Der siebte Himmel ist der Bereich, der die Welt
in ihrem ganzen Zusammenhält; da ist der Motor,
der Put Put

oh Bienenschwarm, oh Bienenschwarm,
allein Deine Sensorik, der zentrale Lichtpunkt,
die schöpferische Kraft, ein Augenblick der Ewigkeit

der keinen Anfang und kein Ende hat

selbst die Stille; heute ist sie nicht mehr da,
heute ist die Stille wirklich still,
aber damals gab es dieses Summen,
das über allem lag wie eine Glocke
(und ein Druck)
das heißt, die Luft war fester,
so als würden wir alle zusammengepreßt &
auf dem Boden gehalten

so überklar hingen im Geäst,
in den Wipfeln der Bäume Buchstaben,
die Wolken strotzten vor architektonischer Semantik

Schinken aus Prag, etwas Hustensaft aus der Apotheke,
Sonntags in den Zoo

(es geht schnell mit diesen Dingen wer bist du)

Sonntag, 20. Juli 2014

Folgende Machenschaften

Vom Marmeladengefasel bereits blind geworden. Der Inhalt ist im stets ruhig dahinfließenden Garten zu verorten, unter Glucken, hinter Eierbergen, der Hahn wandert auf den täglichen Blumen. Es begab sich, daß er dem zerfetzten Brot folgte; die Stille, in der nichts geschieht außer Stille.
Der Frühstückstisch mit integriertem Wecker, eine Uhr, die Brote schmiert, durch Gerüchte für aufmerksames Zuhören sorgt. Schellen kleben an Leffeln. Alles dreht sich wie in einem gurgelnden Bach. Alles verweht sich wie Sand.
Die Nacht bricht entzwei. Die Zeiger öffnen die Türen, vornehme Kleider über dem Unterarm. Am Morgen steckt da noch ein Rest Absolution in den Augenwinkeln, frisch gebügelte Gesichter nehmen ihre Plätze ein.
Folgende Machenschaften : Aufschnitt, Käse, Marmelade und – ist das nicht ein Lachsfilet? Keines aus dem Discounter, eines aus Alaska. ‹Welt› drückt sich aus in einer obszönen Blüte, ein Regenwurm ist reinster Magen.
Sie tanzte mit viel gefühltem Horizont auf mich ein, tanzte und stanzte. Welcher Sinn lag hinter dem Murmeln, das Bäche simulieren wollte? Das Erbrechen hoch angesehener Wörter ist beinahe moderne Literatur. In der Hoffnung, jemand verstünde also doch; dann die Theorie : du mußt dich getäuscht haben, das Verstehen bist nur du.
Tänzer in Glasbehältern in der Stadt tanzen rund um die Uhr, sie pausieren nie. Es ist die Freiheit, die Welt zum ersten Mal zu erblicken. Da ist zunächst keine Welt, die man sich ansehen könnte. Bunte Zikaden die Stimmen, Augen, die ihre selbstgefällige Freude spiegeln, Münder, hinter denen Töne lauern, wie sie von Schwachsinnigen gebrabbelt werden. So empfängt uns die Welt. Von der Mutter sieht man nichts, schmeckt nur unendliche Milch, die Unendlichkeit des warmen Körpers (Cula, Cali – original orgies since 37.). Ist auch alles noch so sehr zersplittert, so sage ich es doch in meinen eigenen Mund hinein : wie Scherben mir Geschmäcker sind, die aus dem hellen Schein, der nur ein Traum im Morgendämmer stets gewesen; wie Bilder mir ein Wunder sind, wenn niemand sieht sie an; wie viele Schnitt' die Zunge leidet, lispelt, zischt sie unentwegt; mal harrt sie zwischen Gaumen und dem eigenen Bett, das sich mit Speichel füllt. Ertrunken ist im Nachtgewand noch nie ein Träumer, der ein Eiland weiß.

Freitag, 18. Juli 2014

Feste Kapsel

Die Namen, ausgesprochen mit einer Stimme, die, könnte man sie trinken, wie Portwein schmecken würde. Alpträume, die Erscheinung: eine augenblickliche Schwäche; an den Wänden hingen Tauschkarten, noch gab es eine Eule unter dem Dach, die ihren Kopf rotieren ließ.
»Wir hatten Sonnenlicht erwartet.«
Die Stimme : Öl einer entfernten Kehle auf Stelzen.
Da keine Antwort erfolgte, rotierte die Eule schneller, hinter ihr das Gelächter einer Nacht, die nicht vollständig aus Schwärze bestand, Lichtfäden wimmelten in der Waschmaschine der späten Stunde.
»Das Dorf ist anderer Meinung. Es hat seine Geheimnisse, das ist richtig; welcher Ort hat das nicht? Aber wir können finden, was wir suchen, Zeit spielt keine Rolle.«
Als die Türen schlugen, gefror die Oberfläche des Gartentümpels, man sah Blumen ihre Schlafsäcke beziehen.
Stell dir vor, du gingst spazieren und sähest dich selber mit angstverzerrtem Gesicht auf dich zulaufen. Könnte es sein, daß deine Eingeweide kalt werden?
In all den Nächten gab es keine ausgelassene Stimmung, die Heiterkeit wie eine Sau durchs Dorf getrieben, in die Garage des Gelächters hinein. Die Zeit schrumpfte zu einer festen Kapsel zusammen.

Donnerstag, 17. Juli 2014

Wir blättern in diesem Zufall

Die Assoziation ‹Fleischwolf› dämmert heran; nicht mehr als Wort, sondern als Hackfleischgespenst mit Augen ohne Lid, mit zähtropfenden Bewegungen, zum Greifen nah. Da oben steht es : neckerwürfelig; muß vom Feld gekommen sein, muß uns nachgegangen sein. Es gibt unterschiedliche Unterbrechungen bei dem, was wir beobachten können, also : Raster. Was nicht wahrgenommen werden kann, wird dahin=kogniert. Schon ist die Konzentration fort, Wolf zerrt eine vergammelte, nasse Matratze, aus der Roßhaar und verrosteter Federdraht quillt, in unser Gesichtsfeld. Wanderer, hast du deine Bettstatt hier errichtet?
Wer waren wir, die wir uns ankrösten wie Fremde, die Weite unserer tauben Gesichter, für die sich der Wind unablässig interessierte : die Nasen, die Augen : wir Fremde, die wir uns nur beim Namen kennen, zufällig hingeworfen in das Tal der Ruhe; der Trichter : wir wüßten es gern. Wir blättern in diesem Zufall, der sich niemals und damit bis in alle Ewigkeiten wiederholen wird. Wir wüßten das gern.

Mittwoch, 16. Juli 2014

Kinder des Königreichs

Ein Ort, von dem Coleridge geträumt haben
Könnte, wo Wasser durch immerwährende
Nacht flossen. In dieser Hütte, in dieser
Küche (dem Bad im gleichen Raum)

Angelt er in dem Loch im Fußboden
Nach blinden Albino=Aalen Fleisch=wässrig
Farbe=los, zuckende Schlangenmuskulatur,
Doch mit etwas Küchenboden=Staub nicht ganz

So fad wie das Schnee=Licht zu vermuten
Übrig läßt, als käme etwas Anderes
Jemals aus dem Kanal. Der Ursprung der Mensch=

Tiere : die reiche Küste in den Uterus
Der weichen Erde entflohen. Keuch=Luft in
Ranzig=mürben Rundecken abgeschmiert

Dienstag, 15. Juli 2014

Das Leben der Toten

"Blutbücher sind wir Leiber alle; 
wo man uns aufschlägt : lesbar rot."
                                                     - Clive Barker

Freilich der Tod in den alten Katakomben,
Die Pest dort eingeschlossen, verriegelt das alte
Gesicht eben so alten Schreckens, Mißver-
Ständnis einer Begegnung, dem Tod nicht den Tod

Geglaubt, das Opfer : aufrüttelndes Erbe, zwei
Schichten über der Linie des Mysteriums,
Die Todgeweihte tot in den Armen des Ver-
Wandelten. Das Vergessen vegräbt nichts für

Die Immrigkeit, nichts läßt den Lufthauch ahnen.
Da schwamm er hinaus an einer Leine, er-
Trinkend weit von seinem Boot, turm=hoch der

Wellen Wander=Schritt, die Wand der Wind das
Los der Blicke zum weiten Kahn, darauf der
Hoch=gewachsene Anzug, Luft bekleidet finster

Sonntag, 13. Juli 2014

Wend=Erde

Ich kenne eine Stadt, älter als Tell Brak, Jericho, Uruk und Çatal Hüyük, die man weder ausgraben noch beweisen kann, die manchmal am Horizont auftaucht wie eine Fata Morgana, ganz gleich, wo auf der Welt man sich befindet. Straßenlos ging man über die Dächer, glitt durch eine Luke ins Haus, begrub die Toten unter dem Fußboden, aß auf ihnen, saß auf ihnen, ging wieder hinauf zum Basar, Kamelmilch zu tauschen gegen Datteln.
Ich kenne eine Stadt, die einsame Wanderer anlockt (ein Jerusalem der toten Seelen), kein Weg führt aus ihr heraus, man gerät immer wieder in ein anderes Quartier, so daß der Wanderer glauben mag, diese Stadt sei endlos. Die Waldinsel, die aus diesem braunschwarzen Acker ragt, ist Teil dieser Stadt. Durchs Pflügen gewonnene Schollen der Wend=Erde bilden Wellenkämme und erstarren : eine begehbare Meerenge – in der man also nicht ersäuft, sondern der Länge nach hinschlägt, wenn man sein Scharniergelenk am Fuß nicht zu manövrieren weiß : dorthin zieht es uns an den Nachmittagen; erzählend liegen wir in einem Krater, der ein Impaktkrater oder ein Bombentrichter ist : wir wüßten es gern : Geistergeschichten, die wir des Nachts zufällig aufschnappten, nämlich an anderen Orten; wir wüßten es gern, werden es aber nie herausfinden. Silhouetten, zurückgelassen von den Toten, drängen über den Kraterrand, huschen unter das immer dort liegende Laub. Träume von einem Schlaraffenland, von einem Jenseits, von einem Garten der Hesperiden, dem Olymp und Asgard : all diese Geschichten haben ihren Ursprung in dieser einen Stadt, die sich ‹Raha› nennt, in diesem Bombentrichter oder Impaktkrater (wir wüßten es gern).

Donnerstag, 10. Juli 2014

Ohne Gewicht und ganz von irdischer Hefe geläutert

    hatten nicht immer die Frowen die Kunst verstanden die in Stäbe eingeritzten 'Buohstaben' zu deuten, Buohstaben=Künstlerinnen, die das Raunen losten, die das, was sie durch das rizzan gelost, dem Reißer huldigen, wie heute noch, ob brüllig ob klein
ist die Alliteration geglückt, darf er sich im Bade mit ihr suhlen
    (schreibt nicht jeder für die Weps?)
    Kepse mio
    im Lande Ingwäoni : die Flattermannen, die Bernsteingefäße voll Rabenblut, dies martis erzähle ich das Gerücht nun weiter, wir sind nicht an dem Städtebau interessiert, leben abseits lieber als in seiner Nähe, nicht wie ihr in Rom, die ihr gut und gerne aufeinander hockt, den Schweiß des anderen deutet
    (ein Moschusgeflecht auf Pergament)
    ihr habt sie lange nicht mehr gesehen : Druckgeister, Manwulfe, Alben und Wichte mit ihrem König Oberon, Alraunen, Feen und Wahl=Küren, eure Gespinster sind euer eigener Gestank
    schlanke Wirrnis Welt stand auf dem Telegramm, ich hatte es mir selbst geschrieben, habe einen falschen Namen angegeben
    (Solipsismus und das Problem des Fremdseelischen)
    was ist der Mensch ohne Menschen, aussterbendes Thier, Nahrung der Unterdrücker
    (ganze Jahre lang, unendliche Tage)
    letzte löchrige Bibliothek, Chronik eines Überlebens, Fantasma, Biograf für niemanden mehr, Sucher nach dem Anderen
    (da wird doch wohl noch Einer)
    für meine eigene Erinnerung, die aufsaugt, was ich fabriziere, in der eigenen Suppe wende ich mich
    (nachts)
    ich drehe mich um, es sind Geräusche da, sie stammen nicht von mir, die Gedanken lassen mich nicht schlafen, hängen von der Leber ab, die Säfte gären dort, Begiereden, umfangen der Gipfel leuchtet ein Morgenrot, gewälzt in dampfroßschwerem Schweineschweiß, jetzt warten auf das Nimmerlein sakrosankt

Dienstag, 8. Juli 2014

Raupen & Schmetterlinge



Unbeobachtet spielen wir uns ballsicher die eigene Neugier zu. Das Verborgene regt uns an, wir unterscheiden nicht zwischen Nacht= und Tagtraum, wir kennen nur das Träumen.
Landschaft verschwimmt mitsamt unseren Körpern zu einem ununterscheidbaren Gewimmel. An der Oberfläche blendet uns das Licht, in der Tiefe verwirrt uns die Fülle, die wir uns nur zu ertasten wissen. Etwas steht uns bevor : wir werden uns von Raupen in Schmetterlinge & Falter verwandeln.
Kafkas Tor – die Erinnerung war nur je für mich bestimmt. Ich bezahle mit Münzen, die wie Uhren sind, ticktackende Goldstücklein fiebern=vibrieren in den Baumwolltaschen, ich bin voll davon, so schwer davon, aber der Wächter sagt : nur was du von hier aus sehen kannst.
»Kannst du mir die Spitzbubenleiter .... ?«
»Nein, weil sieh’ doch mein Chiragra!«
»Kannst du mich auf deine Schultern nehmen?«
»Nur was du von hier aus sehen kannst!«

Montag, 7. Juli 2014

Maledicta

Herunter schaut die trutzige Feste vom Basaltkegel, zinnengeschmückt (die auratische Figur der egerländischen Nothafte), Zeugen des Böhmenkrieges, züngelnder Flammen, angeschürt von Friedrich von Dobeneck das Dorf Thyrstein, Waffenplatz der Mannschaften der Sechsämter, im albertinischen Krieg belagert, verloren, selbst abgebrannt, hergerichtet für Christian von Bayreuth, der lieber nach Hohenberg ging. 1642 zählte Thyrstein noch ganze sechs Personen; ach ihr Geister – ihr Geister von schneller Hand ! Auf schwach versauertem Untergrund gewinnt das steife Borstgras die Oberhand, Sumpfdisteln, Sumpfpippau, Waldengelwurz und Knöterich belechzen die feuchten Wiesengründe.
Worte verzehren sich harmlos im Spiel, Zungen kauen von Koprolallern gehörte Schallwellen, spucken die Hülsen ohne Bedeutung über die Rinnsteine, Grenzlinien zur Unterwelt. Steff wringt das Wort ‹Nutte› durch die trompetenäffende Hand, die er wie eine Röhre um seine Lippen – obscöner Ameisenbär – krümmt, benutzt das Wort, ohne den Genus zu meinen, wegen der Gemination in der Mitte, um etwas Speichel ins Rotieren zu bringen. Die Anderen lauschen nur, als spiele er ein Instrument (Mull of Kintyre). Ohne es zu wissen, dehnt er das Wort zurück zu seiner Herkunft : Nuuute. Er kennt wahrlich die meisten Maledicta. Nicht alle wissen, was ein Wort im Äther bewirkt, berauschen sich am Klang mehr als am Wein, des selten oder noch nie Gehörten.

Sonntag, 6. Juli 2014

Regen in der Stadt

     Regen in der Stadt, er bringt die Oberflächen zum Glänzen
     (reinigt die Skulpturen menschlicher Behausung)
     der Wetterbericht, der Sturm nicht angekündigt, der sich über Mülleimer hermacht, wie ein zorniges Kind Zweige von den Bäumen der Alleen bricht und die herabstürzenden Tropfen in jeden Winkel wirbelt, wer in den Betten liegt
     -Es geht etwas vor
     wird durch das Trommeln gegen die Fensterscheiben und herunter-gelassenen Rolladen dazu ermuntert, sich tiefer in den Schlummer zu begeben, niemand wagt sich um diese Zeit freiwillig nach draußen, sag es mir, wo bist du gewesen
     -Wo gehst du hin
     wenn du dich aus dem Atelier schleichst, wenn du
     (wie ich weiß)
     im Werkzeug wühlst, was uns trennt, was uns noch nicht trennt, die Nacht das Zepter in der Hand, wie es aussieht, wird es einen neuen Tag nicht geben
     -Ein Traum
     wenn es gut geht, läuft es auf ein Unentschieden hinaus, die Sonne brennt ein diffuses Licht in die Schwärze, ohne sich auch nur einmal sehen zu lassen, das Ergebnis ist ein nebelverhangener Schleier, der wie eine Glocke über allem hängt
     (kein Traum, sondern)
     niemand ist da, um die Gestalt in dem knöchellangen Mantel zu beobachten, die dem Wind trotzt, ihre linke Hand faßt den Kragen enger, als würde sie sich selbst würgen, die rechte trägt einen hellen Ballon, torkelnd kommt das Wesen, sich weit nach vorne beugend, die Straße entlang, hält im Torbogen kurz inne und müht sich weiter zum Rain, seit 1478 das Festgelände, dort findet es, was es sucht
     -Da geht etwas vor sich und du wirst mir nicht glauben, was es ist
     (ein Pfahl, an dem noch lose ein paar Drahtreste hingen)
     der Draht ist unwichtig, aber auf dem Pfahl soll das Ding, das der Mann mit sich führt, seinen Platz einnehmen
     -Sei ruhig, sei wieder ruhig
     vereinzelt tropft immer noch Blut aus dem abgeschlagenen Kopf, rinnt durch den Regen begünstigt das Holz hinunter als er aufgespießt wird
     (werden es morgen wissen)
     der Umfang des Pfostens ist wie eigens dafür geschaffen in den abgehackten Hals zu gleiten, kurz betrachtet der Unheimliche sein Werk, nickt
     (und das Haus hat Schaden genommen)
     und schlenderte an der Unteren Mühle vorbei Richtung Rotmoos, wo er verschwindet
     -Es geht etwas vor
     -Was denn
     sei ruhig, es war nur ein Traum, ein Traum, der dich einlud, vor die Türe zu sehen, aber da war nichts
     -Aber es geht etwas vor
     -Aber da ist nichts, nur ein Wetter
      nur das Wetter gegen das Haus, alter grober Wind, was bläst du so stark
     (alter grober Wind)
     wie eine übermütiges Kind

Freitag, 4. Juli 2014

Im Wald von Ypern

     Blau in Samt, beturtelt, den Weg hinauf gerumpelt worden, weil der Schlaf so besser kann. Der schöne Mittag sonn=bestrahlt, das holde Rauschen zweigbespielt. Ich kenne mich von Bildern dieser Zeit. Die Mütter pumpen Milch mit ihren Händen aus den Brüsten, stehen um den großen Bottich barbebust, daneben Barbecue, daneben bar die Flaschen, geschützt in eisigen Würfeln, in Plastikeimern
     (schon Plastikeimer!)
     pumpen Milch, baden dann die Kinderchen darin herum. Genügt das schwere Naß noch nicht, wird Buttermilch geholt vom Bauern rechts ums Eck, der hält der Kühe viele, mit Butter seifen sie die Haut, ein Geist des Fleisches zitiert der Nüstern Lust herbei, der Speichel lost und weckt die Zungen, bald der Zähne Speis' ist Brei. Kanönchen-Böhnchen, Schlacht um Schlacht, noch sind die Kinderchen nicht satt, noch flutschen sie auf Mutter=Butter und grinsen alle Welt herbei.
     Seht, seht, das ist doch sehenswert, wie sie ihr Badewasser schlürfen und wie sie dann
     (kommt ein Schrapnell)
     nicht ganz zerschnitten werden.
     Es riecht so duft, es riecht so sanft nach Senf : und Gas ist unsere Erde auch.

Donnerstag, 3. Juli 2014

Abb. 5 : Sei der Spaziergang


Abwesenheit von Erinnerung

Adam sah die beiden Hanfseile auf sich zu, von sich weg knirschen. Versteckt unterm Fenster das geflüsterte Trillern der Schaukelnden, die sich im Idiom eines leisen Kicherns miteinander unterhielten, die Mühlgrabenbrücke als geschätzte Kulisse. Ziegen mähten Gras.
 »Gras! Die wippen, wir fressen. Gras!«
Die Uhr gongte eine verquaste Stunde in die Sommerluft hinein.
»Gras! Die wippen, wir fressen Gras.«
Gong! Es stank plötzlich nach Zeit. Im Sommer trägt die Luft den Ton bis in den Raum, in dem man steht. Keiner weiß, was das Nichts ist. Auch das Gelächter da draußen weiß es nicht. Lachen täuscht nicht über Vergänglichkeit hinweg. Jeder Winkel negiert einen Augenblick. Das Nichts als Abwesenheit von Erinnerung. Adam sieht aus dem Fenster, zwischen die Hanfseile hindurch, an der Linde vorbei, immer weiter über das Tal hinweg, die Schafwiese, in ein anderes Fenster hinein, vor dem zwei Mädchen an einem Baum schaukeln. Hinter dem Fenster aber herrscht Dunkelheit. Die Mélancolie einer ländlichen Idylle.

Mittwoch, 2. Juli 2014

Jägerinnen

Die Mädchen sind frühreife, sonnenpolierte Nymphen, ein sanfter Splitter im Granit, der den Härtegrad verdirbt. Durch ihr rätselhaftes Fangen=Spiel wetteifern sie mit den Blumen der Lüfte; sie fassen sich an den luftdurchfluteten Blütenkleidern, klirrend ihr Lachen, die Zeit verwelkt. Heute sind sie jedermännisch, ihrer früheren Geheimnisse beraubt, doch damals konnte man ihre lunare Stimmung erhaschen. Jede von ihnen eine potentielle Jägerin der Nacht, vor Mitternacht zu Bett getragen, um im Traum zu verpuppen. Der Sommer trägt die Gelüste vorwärts, im Frühling versprochen, im Herbst entspannt genossen. Das erste Regen der Exogamie. Sie schwangen am Baum vor dem Haus : Mone. Und Katjanka, die sich mit ihrem nachtschwarzen Haar, in dem sich verschiedene Blumen gut ausmachten, besonders für Indianerspiele eignete. Das Besondere an diesen fallenden seidenschimmernden Garnen war, daß man Konraden und Zimbelkraut damit festzurren konnte. Diese Art des Blumenbindens verkürzte ihre Frisur zunehmend, vom verhangenen Gesicht zur Windschnittigkeit getrimmt : Frisuren im Wandel der Zeiten.