Freitag, 15. Mai 2015

3. Zeitfluss-Metapher

Willi hat zu viel Zeit zum Nachdenken, zu wenig Zeit, etwas zu verändern. Vielleicht hat sich die Tür, die offen stand, wie es uns das Unterbewusste lehrt, mit lautem Krachen geschlossen, vielleicht ist dies das Geräusch, das er hört, bevor er in Aufruhr gerät und stets zur selben Stunde erwacht: »Hier spricht die Zeit! Bleiben Sie stehen und hören Sie gut zu, denn ich werde mich nicht wiederholen!« Und auch die Bewegung, die er jetzt ausführt (es ist nur ein Streifen mit den Fingern an der Schläfe entlang), wird er nicht noch einmal machen. Frischluft wirbelt einsam in der bodennahen Grenzschicht herum, windkateraktreitende Pollen, Nacktsamer, Bedecktsamer. Nichts könnte tauglicher sein für ein tägliches Brunchen mit der Feder als jenes Fragment 91 des dunklen Heraklit. Alles plätschert oder fließt also, und man wird nicht zweimal in das gleiche Flussbett pinkeln. Aber die Zeit fließt nicht wie ein Fluss, sondern tickt wie eine Uhr, wobei jedes Ticken einer Planck-Zeit von 10-43 Sekunden entspricht, genauer gesagt, die Zeit im Universum fließt mit dem Ticken unzähliger Uhren. Bei einem Tick ist die Materie da, beim nächsten Tick ist sie verschwunden – eigentlich wird das Ticken durch das Verschwinden definiert. Aber zwischen den Ticks existiert die Zeit nicht; es gibt so wenig ein ‹Dazwischen›, wie es Wasser zwischen zwei benachbarten Wassermolekülen gibt. Doch das Beunruhigende an der Zeitfluss-Metapher ist nicht der Fluss, der sich von der Kaverne hervor aus dem Quell greint, sondern dass wir selbst es sind, die nie wieder dieselben sein können. Ein Gedanke, der uns ontologisch gebeutelten Wesen sagt, dass es Sein an sich nicht gibt, dass Werden und Bewegung bereits alles ist. Wir können sagen, dass es unsere Fiktionen von uns selbst sind, die sich im Werden befinden, dass wir die Weltgeschichte entziffern, indem wir sie erfinden.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen