Ein Gastbeitrag von dem Buchautor Roland Jäger

Die gute Nachricht zuerst: Sie sind dem Arbeitsmarkt nicht hilflos ausgeliefert.
Jetzt die schlechte: Sie sind dem Arbeitsmarkt nicht hilflos ausgeliefert.

Das ist deshalb so unangenehm, weil damit drei Dinge nicht mehr gehen: Erstens Jammern, zweitens Sündenböcke vorführen, drittens so kuschelig weitermachen wie bisher. Aber eins nach dem anderen…

Horst P. sitzt am Besprechungstisch seiner Chefin. Die Atmosphäre ist angespannt. Seine Chefin eröffnet ihm gerade, dass er für das Unternehmen künftig entbehrlich sei. Dass er in der Firma keine Zukunft habe. Dass er nun dem Arbeitsmarkt wieder zugeführt werden solle. Dass er hiermit seinen Job verloren habe und es nur noch um die Modalitäten gehe. Horst P. bleibt ruhig, hört sich gelassen die Vorschläge seiner Chefin an – und handelt selbstbewusst einen guten Abgang aus.

Denn was seine Chefin nicht weiß: Er hat längst etwas Neues. Besser bezahlt und in einer Branche, die ihm mehr Perspektiven bietet. Im Gegensatz zu seiner Chefin hat er verstanden, dass er durch den Jobverlust nicht etwa dem Arbeitsmarkt zugeführt wird, sondern sich schon immer auf dem Arbeitsmarkt befunden hat. Genau: Auch und gerade während seiner Zeit beim Unternehmen, war er niemals weg vom Arbeitsmarkt, sondern hat sich bewusst darauf bewegt und ist im Gespräch geblieben.

Die Vorstellung, der Arbeitsmarkt sei das Sammelbecken der Arbeitssuchenden, wie sie die monatlichen Berichte der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg und die dazu passende Berichterstattung der Medien kollektiv in uns verankern, ist eine gefährliche Simplifizierung. Stattdessen sollte jeder Arbeitnehmer begreifen: Er gehört zu den knapp 40 Millionen Menschen, die in Deutschland für Geld arbeiten wollen. Und sie alle sind auch dann noch auf dem Arbeitsmarkt, wenn sie gerade einen bestehenden Arbeitsvertrag haben. Auf einem Markt herrscht immer Wettbewerb. Auch noch nach Abschluss von Verträgen.

In der Realität angekommene Arbeitskraftanbieter, die sich im Gegensatz zu den träumenden Arbeitsplatzbesitzern lieber auf sich selbst verlassen, als auf Muttergesellschaften im Blindflug oder launische Bonusempfänger in der Teppichetage, bewerben sich jedes Jahr. Richtig! Sie haben jedes Jahr mindestens ein Vorstellungsgespräch, auch ganz ohne die konkrete Absicht, den Job zu kündigen. Denn sie sind neugierig: Vielleicht ist mal was Gutes dabei? Sie erfahren dabei auf jeden Fall ihren Marktwert, bleiben im Training, was Bewerbungsverfahren und -gespräche angeht, halten ihre Unterlagen auf dem neuesten Stand, sprechen regelmäßig mit Headhuntern und halten den überlebensnotwendigen Kontakt zur Außenwelt.

Das ist anstrengend, natürlich. Und gar nicht kuschelig. Aber sich selbst um das eigene Wohlbefinden zu kümmern, ist das Einzige, was Sicherheit bietet. Es gibt nämlich keinen fürsorglichen Staat, der sich um einen kümmert, wenn man Sorgen hat. Den Wunsch danach kann ich ja noch verstehen. Aber er ist unerfüllbar, eine Fata Morgana. Wer darauf vertraut, dass der Staat einen gerechten Anspruch auf Arbeit unterstützt, der vertraut Leuten, die bei mindestens zwei Gelegenheiten lügen: vor der Wahl und nach der Wahl.

Sollten Sie zu diesen Leuten gehören, die sich bei ihrem Arbeitgeber in sicheren Händen fühlen und sich deshalb gerade nicht angesprochen fühlen: Gratulation! Ihnen ist nicht zu helfen. Und ich weiß, es nützt nichts, Ihnen zu predigen: “Es gibt keine sicheren Jobs!” Sie zucken nur mit den Schultern – und stehen morgen vielleicht schon auf der Straße.

Ein Arbeitsvertrag bietet höchstens eine trügerische Scheinsicherheit. Der Vertragspartner kann pleite gehen oder umziehen. Ruckzuck hat man einen Aufhebungsvertrag auf dem Tisch liegen und steckt, wenn man zu den Privilegierten im Lande gehört, in einem Outplacement-Programm. Verträge bieten nun mal keine Sicherheit. Wer sich darauf verlässt, ist verlassen.

Stattdessen sollten Sie regelmäßig folgende Fragen zu Ihrem persönlichen Arbeitssicherheitssystem beantworten:

10 sinnvolle Arbeitsmarktfragen

  • Bin ich arbeitsfähig, körperlich und geistig topfit?
  • Bin ich flexibel und mobil?
  • Verfüge ich über das aktuelle fachliche Wissen in meinem Metier, für heute, vor allem aber für morgen?
  • Wie lange will ich den Job noch machen und wie wahrscheinlich ist das?
  • Wie unsicher ist mein Arbeitsplatz? In welcher Situation steckt mein Arbeitsbereich, mein Unternehmen, meine Branche, die Wirtschaft?
  • Wohin wird sich mein Tätigkeitsgebiet und meine Branche entwickeln? Kann das, was ich tue, auch ein anderer aus einem Billiglohnland, zum Beispiel ein Chinese machen?
  • Ist das, was ich kann, auch für andere Branchen interessant? Für welche?
  • Was sind meine Stärken und Kompetenzen, sowohl fachlich, methodisch als auch persönlich?
  • Welchen Marktwert hätte ich gerne? Wie realistisch ist das? Was muss ich dafür tun?
  • Welches große Ziel habe ich beruflich? Was will ich künftig täglich von morgens bis abends am liebsten machen? Wie weit bin ich davon weg?

Unser Kronzeuge Horst P. ist seiner Chefin also eine Nasenlänge voraus. Deshalb hört man ihn auch nicht jammern. Wer über die Unsicherheit seines Arbeitsplatzes jammert, hat sich für Passivität entschieden. Horst P. hat sich jedoch entschieden, gut informiert zu sein, was die Lage seiner Abteilung, seiner Firma, seiner Branche, seiner Region und der Weltwirtschaft angeht – und sich auf diesen Moment verantwortungsvoll vorbereitet.

Wer an dieser Stelle argumentiert, er habe aber nun mal diesen Job gelernt und müsse dabei bleiben, er wohne an diesem Ort und seine Familie könne schließlich nicht einfach umziehen, der reiht sich freiwillig unter die Verlorenen ein:

5 Stufen der Sicherheit

  • Stufe 1: Die Verlorenen

    Sie sind total abhängig von ihrem Arbeitgeber, sie vertrauen alleine auf ihren Arbeitsvertrag, ihre gefährliche Lage ist ihnen nicht bewusst und es ist ihnen auch gar nicht wichtig.

  • Stufe 2: Die Betrogenen

    Sie wissen, dass sie ihrem Arbeitgeber auf Gedeih und Verderb ausgeliefert sind, aber sie vertrauen ihm. Sie nehmen die Gefahr eines Jobverlusts nicht ernst, kuscheln mit ihrem Chef und genießen die Vorteile ihres Jobs.

  • Stufe 3: Die Ängstlichen

    Sie fühlen sich in der Abhängigkeit unwohl und von den Krisenzeichen und Arbeitsmarktdaten bedroht. Sie bekommen mit, dass in ihrem Umfeld Arbeitskräfte entlassen werden. Sie spüren steigenden Druck etwas zu unternehmen, aber sie bleiben untätig, denn sie haben Angst.

  • Stufe 4: Die Cleveren

    Sie sind bereit, sich schlau zu machen, wissen jedoch nicht genau wie und sind deshalb überfordert. Sie suchen Rat und sind darauf gefasst, handeln zu müssen – handeln aber noch nicht. Wenn es sein müsste, würden sie re-agieren.

  • Stufe 5: Die Freien

    Sie sind jederzeit flexibel und mobil, kennen ihre eigenen Fähigkeiten genau und entscheiden selbst, wann und wo sie sie einsetzen. Sie agieren, handeln also proaktiv, wann immer sich Gelegenheiten bieten. Wenn die Einschläge näher kommen, sind sie schon weg.

Auf welcher Stufe stehen Sie? Vielleicht pflegen Sie zumindest keine falsche emotionale Bindung zu ihrem Arbeitgeber mehr. Gut so! Loyalität zwischen Unternehmen und Mitarbeitern ist nämlich auch so ein Mythos. Schon vor Jahren haben die Arbeitgeber ihre Loyalität auf dem Shareholder-Value-Globalisierungsaltar geopfert. Das ist nicht schlimm. Man muss es nur realistisch betrachten.

Für Arbeitnehmer gilt: Wo sie arbeiten, geben sie 100 Prozent. Das ist fair. Aber wenn sie morgen etwas Besseres finden oder nicht mehr zufrieden sind, dann sind sie weg. So wie ihr Arbeitsplatz auch ruckzuck weg wäre, wenn es kostengünstiger ist, sie zu entlassen. „Do ut des“ – ich gebe, damit du gibst – das ist die römische Formel für Verträge jeder Art und für jedes soziale Miteinander, das nicht pervers ist.

Planen Sie langfristig

Um täglich konsequent eine Entscheidung für seinen Arbeitgeber treffen zu können, sollte man seine langfristigen Ziele kennen und sie jeden Tag verfolgen. Ziele sind nichts für morgen. Ein Ziel wirkt jeden Tag, sonst ist es kein Ziel, sondern ein Luftschloss. Selberentscheider passen ihre Kenntnisse und Fähigkeiten den Anforderungen an und entwickeln ihre Methodenkompetenz permanent weiter.

Dazu gehört auch, sich die persönliche Weiterbildung selbst zu finanzieren. Privat. Dafür reservieren kluge Leute bis zu zehn Prozent ihres Jahreseinkommens. Diese Investition wird sich in jedem Fall langfristig auszahlen: Mehr Sicherheit, mehr Zufriedenheit, mehr Einkommen. Altersvorsorge ist im Vergleich dazu ein ganz schlechtes Geschäft.

Wer Angst hat, entlassen zu werden, kann sich auch einfach selbständig machen. Damit hätte man diese Gefahr ein für allemal ausgeschlossen. Ob man lieber angestellt oder selbständig ist, sollte allerdings keine Notlösung, sondern eine bewusste, rechtzeitige Entscheidung sein. Sie übernehmen damit schließlich auch mehr Risiken und mehr Verantwortung.

Und selbst wer nach all diesen Überlegungen nicht kündigt und auch die nächsten Jahre bei seinem Unternehmen bleibt, wird zufriedener sein und sich viel weniger über seinen Chef oder die Kollegen ärgern. Denn aus einer unabhängigen Haltung heraus wählt man sich die Ärgernisse selbst. Ganz bewusst. Weil man es so will. Gut vorbereitet kann man aber auch jederzeit gehen, Motto: Woanders habe ich zwar den gleichen Ärger, aber er wird wenigstens besser bezahlt.

Letztlich wird so aus der Frage nach meiner Jobsicherheit eine ganz andere: Bin ich bereit, alles, wirklich alles dafür zu tun, um nie mehr Angst davor zu haben, nicht ausreichend Geld für mich, meine Familie und die sich daraus ergebenden Verpflichtungen zu haben und dabei viel Freude bei meiner Arbeit zu empfinden?