Über einen Leser (Danke, Ewald!) wurde ich heute darauf hingewiesen, dass die Stiftung Warentest in ihrer aktuellen Februar-Ausgabe Karriereratgeber getestet hat. Darunter auch mein Buch, die “Karriere-Bibel“. Und natürlich freut es mich sehr, dass das Buch die Traumnote “Empfehlenswert” erzielt hat. Nur eines der zwölf getesteten Bücher schneidet besser ab: “Finde den Job, der dich glücklich macht” von Angelika Gulder – “sehr empfehlenswert”. Gratulation! Allerdings (das soll die Bewertung aber überhaupt nicht schmälern) richtet sich die Autorin auch an eine andere Zielgruppe (siehe Tabelle unten). Zur Karriere-Bibel selbst sagt TEST:
Empfehlenswert, da innovativ und praxisnah durch viele Beispiele und Hintergrundinfos. Unterhaltsames Lesebuch. Schwerpunkt: die gezielte Karrierearbeit. Thema Bewerbung wird vertieft. Viele Tipps. Fehlende Seitenzahlen erschweren die Orientierung im Buch.
Ein wirklich schönes Gesamturteil. Aber der letzte Satz ist bemerkenswert: Fehlende Seitenzahlen erschweren die Orientierung im Buch. Ich habe diese Kritik jetzt schon einige Male in Rezensionen gelesen, so dass ich daran zeigen möchte, wie stark manchmal Denkschablonen wirken und wie sehr sie unser Urteil beeinflussen können. Damit will ich überhaupt nicht sagen, dass die Kritik nicht berechtigt ist: Wenn einige Leser tatsächlich damit Probleme haben, sich in dem Buch zu orientieren, kann man das nicht wegdiskutieren. Das ist dann einfach so, und entweder man ändert das oder nimmt es künftig bewusst in Kauf. Es ist aber auch so, dass ich mich jedes Mal gefragt habe, wieso Seitenzahlen ein so erhaltenswertes Ding sind, dass sie vor dem Aussterben (oder dem Surrogat) geschützt werden müssen.
Vielleicht vorab zur Erklärung: Die Karriere-Bibel ist wie ein Tagebuch aufgebaut. Das heißt, es gibt nicht 20 Kapitel, sondern 365 – für jeden Tag eine Kolumne, die im Schnitt eine Seite lang ist. Diese Texte sind wiederum kalendarisch durchnummeriert, also: 1. Januar, 2. Januar, und so weiter. Als zusätzliche Hilfe gibt es am Rand rote Monatsreiter, die auch bei zugeklapptem Buch sichtbar sind (wie bei einem Telefonbuch), so dass man sich über die jeweiligen Tage, beziehungsweise Monate durch das Buch hangeln kann. Die Monate sind zudem einer Art Oberthema gewidmet und bilden damit den typischen Verlauf einer Karriere ab. Entsprechend geht es im Januar mit Bewerbungstipps los, der Februar behandelt Empfehlungen für die ersten Tage im neuen Job, bis man sich schließlich im November (und nach einigen Beförderungen) mit Machtstrategien beschäftigt und im Dezember unter anderem mit der Frage, wann es Zeit ist, den Job zu quittieren oder wie man sein Comeback initiiert (Danach geht’s dann wieder mit der Bewerbung los). Das angehängte Stichwortverzeichnis enthält alle wichtigen Job- und Karriere-Suchbegriffe und verweist auf die entsprechenden Kapitel (= Tage) – nur eben nicht mittels Seitenzahlen, sondern kalendarischen Verweisen: 23.4, 3.5., 6.8.
Ich gebe zu, das ist relativ innovativ und neu. Die meisten Bücher haben nun mal Seitenzahlen – außer vielleicht der richtigen Bibel, die eine recht kryptische Zählung aus Kapitel- und Versnummern pflegt. Dennoch finde ich es bemerkenswert, dass es manche verwirrt, wenn sie statt der Seite 20 den 20. Januar aufschlagen müssen – obwohl eigentlich klar ist, dass etwa auf den 14. Februar der 15. Februar folgt und auf den Monat April so ziemlich immer der Mai. Worin also liegt die Orientierungsblockade von Seite 364 auf Seite 365 weiterzublättern oder eben vom 30. zum 31. Dezember?
Meine These: Es handelt sich um eine klassische Denkschablone. Wir sind so konditioniert darauf, dass Bücher Seitenzahlen zu haben haben, dass wir ein anderes Konzept sofort ablehnen und Probleme bekommen, uns darin zurecht zu finden. Man kann das zuweilen auch im Straßenverkehrt beobachten: Über Jahre hinweg fahren Berufspendler immer dieselbe Strecke zur Arbeit. Doch eines Tages gibt es mitten auf dem Weg eine Großbaustelle. Der alte Weg ist versperrt, sofort bildet sich ein Stau. Nicht wenige sind nun völlig hilf- und orientierungslos: Wo lang jetzt? Wie komme ich nur zur Arbeit? Die ewige Routine hat sie in watteweiche Sicherheit gehüllt und mit der Zeit unflexibel werden lassen. Manche nur für eine Schocksekunde, andere etwas länger.
Zugegeben: Wir leben in einer komplexen Welt. Routinen helfen uns, verringen diese Komplexität, verschaffen einen besseren Überblick, geben Sicherheit und senken den Stresspegel. Während sich alles um uns herum verändert, bilden sie wichtige Konstanten. Sie helfen uns Ordnung zu schaffen und können das sogar Selbstvertrauen steigern – etwa, wenn wir merken, dass wir bestimmte Erfolge reproduzieren können, wie jedes Jahr einen Marathon zu laufen. Das alles ist also ungeheuer positiv.
Allerdings sollte jeder bereit sein, solche Abläufe und Stereotype stetig zu hinterfragen und zu korrigieren, falls sie sich als überholt erweisen. Zu starr dürfen Bräuche nämlich nicht werden, sonst wirken sie wie ein zu enges Korsett und beschränken unseren Horizont. Denn Geist und Seele reagieren auf Gewohnheiten genauso wie der Körper auf mangelnde Bewegung: sie verkümmern. Routinierte bewegen sich wie jemand, der durch Zement stapft: Irgendwann klebt man fest. Umgekehrt zeigen psychologische Studien, dass schon winzigen Abweichungen von solchen Mentalschemata unser Denken an einem ganzen Tag positiv beeinflussen können. Insofern würde ich mir vielmehr wünschen, dass Sie der kalendarische Buchaufbau zusätzlich inspiriert und nicht verwirrt. Und zwar länger als eine Schocksekunde.
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Kittyluka
Also da würde ich gerne einwerfen:
Seitenzahlen sind insofern praktisch, da sie immer unten rechts (bzw. links) sind, das heißt man muss sich nicht die Seiten durchblättern, sondern nur die Ecken.
Ich hatte selbst mal ein solches Buch in der Hand und dachte “wasn das für ein mist?” weils einfach zu lange dauert, bis man sich jede einzelne Seite…. naja egal. Innovation muss sein.
Herzlichen Glückwunsch, zum SW Urteil! …und das ganz ohne Schmiergeld ;)
Sebastian
Mich persönlich stören nicht die fehlenden Seitenzahlen an dem kalendarisch orientierten Konzept, sondern dass ein Thema in ein Korset von 28 bis 31 Unterthemen gezwängt wird. Darunter muss meines Erachtens irgendwann die Qualität leiden: Entweder man brauch noch ein zwei Unterthemen, die man sonst nicht reingenommen hätte (z.B. Zitate). Oder aber, man muss Themen wegstreichen, die vielleicht doch lesenwert wären.
Nichts desto trotz muss ich ihnen das Kompliment machen, dass das beim Lesen erstaunlich selten auffällt :) Deswegen auch von mir die herzlichsten Glückwünsche.
Ivan Blatter
Gratuiliere zu dem Urteil!
Nur eine kleine Ergänzung: Die Bibelausgaben, die ich hier habe – und das sind einige -, haben alle Seitenzahlen. :-)
Jochen Mai
@Kittyluka: Hm, okay, so habe ich es noch nicht gesehen. Allerdings blätter auch ich manchmal ein paar Stichworte in meinem Buch nach und fand, dass das Datum doch relativ schnell zu sehen ist. Ansonsten aber: Danke!
@Sebastian: DAS ist in der Tat ein richtiges Argument. Wobei – und das wissen Sie wahrscheinlich auch – selbst Bücher, die kein solches “Korsett” haben, ebenfalls Restriktionen unterliegen. Und sei es nur, weil der Verlag eine Seitenobergrenze von 200 Seiten festgelegt hat. Die inhaltliche Qualität muss deshalb aber nicht leiden. Allenfalls die Vollständigkeit. Meine Erfahrung ist aber eher: Die ersten 300 Kapitel waren mir inhaltlich sehr schnell klar – die letzten 65 waren schwer zu finden. Und dabei gebe ich gerne auch mal etwas Füllstoff zu. Insofern musste ich dabei nichts wegstreichen.
@Ivan: Danke. Und meine gefühlten 20 Bibeln, die ich hier habe, besitzen ebenfalls Seitenzahlen. Nur sagt keiner: “Auf Seite 539 sagt Jesus…” sondern in Joh. 3,16 sagt er: “Also hat Gott die Welt geliebt, auf dass er seinen einzigen Sohn gab, so dass jeder der an ihn glaubt, nicht verloren gehe, sondern das ewige Leben habe.”
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