Ein Gastbeitrag von dem Management-Coach Volker Schneider
Seit Jahren reden wir über den demografischen Wandel. Einige Unternehmen reden nicht nur darüber, sie handeln schon. Allerdings erst wenige. Zu wenige. Denn noch immer herrscht in vielen Unternehmen der Jugendwahn. Die Attribute, die die Firmen jungen Mitarbeitern zuschreiben, scheinen gleichbedeutend mit Erfolg zu sein: Komplexere und sich schnell verändernde Aufgaben, Projekte, Technik und Kundenwünsche scheinen vor allem durch den Einsatz jüngerer, veränderungsbereiter Mitarbeiter beherrschbar.
Auf der anderen Seite gibt es natürlich auch zahlreiche Menschen, die danach streben, frühzeitig in den Ruhestand zu gehen. Aber nur bei guter Absicherung. Das heißt, genau betrachtet, haben Unternehmen und ältere Mitarbeiter, das gleiche Interesse. So ist es auch verständlich, dass die Allgemeinheit die aus dem demografischen Wandel entstehenden Notwendigkeiten weitgehend verdrängt und ignoriert hat. Und es wird verständlich, warum Unternehmen keine oder nur wenige Konzepte zur Beschäftigung älterer Mitarbeiter entwickeln.
Im Vergleich dazu setzen Unternehmen allerdings eine Vielzahl von Konzepten und Programmen ein, um junge Mitarbeiter zu gewinnen und zu halten. Was auch sinnvoll ist, keine Frage.
Aber die Unternehmen springen damit zu kurz.
Wesentliche Argumente, warum der Fokus auf junge Mitarbeiter gerichtet wird, sind beispielhaft: Veränderungs- und Lernbereitschaft, Einsatzbereitschaft, Leistungsvermögen und natürlich die Kosten.
Die Kosten sind in der Tat ein wichtiges und schwieriges Thema. Bei reiner Betrachtung der Payroll schlagen ältere Mitarbeiter in der Regel wesentlich stärker zu Buche, als vergleichbare jüngere. Kosten, die nur schwer oder nicht eindeutig berechnet werden können, fließen in diese Betrachtung allerdings meist nicht ein.
Zum Beispiel Fehler, die durch noch nicht vorhandene Erfahrungen entstehen; Projekte, von denen Unternehmen durch noch nicht genügend aufgebaute Netzwerke der Jüngeren nie erfahren. Oder Kosten durch Transferverluste, weil Wissen und Erfahrungen älterer Mitarbeiter nicht mehr auf jüngere übertragen werden können. Dies einfließen zu lassen, würde die Kostenrechnung maßgeblich verändern.
Ein weiteres Klischee lautet: Mit steigendem Alter verschwinden Eigenschaften wie Leistungsfähigkeit, Kreativität, Flexibilität und Lernfähigkeit oder sie werden zumindest schwächer.
Weit gefehlt!
Neuere Forschungsergebnisse zeigen: Die Leistungskraft und Innovationsfähigkeit haben weniger mit dem biologischen Alter zu tun. Dafür umso mehr damit, ob Menschen in ihrer privaten wie beruflichen Umwelt gefördert oder eher blockiert werden. Und ob die Unternehmen bereit sind, die Potenziale ihrer (älteren) Mitarbeiter zu nutzen.
Wieder andere Untersuchungen schreiben älteren Beschäftigten viele positive Kompetenzen zu: Zum Beispiel den realistischen Umgang mit komplexen Sachverhalten, Krisenbeständigkeit und gutes Zeitmanagement, gute Kooperationsfähigkeit und Gelassenheit.
Nicht unbedingt die schlechtesten Eigenschaften in der heutigen Zeit.
Ältere bieten mehr Mehrwert
Als Reaktion auf den demografischen Wandel und als Alternative zu mehr älteren Mitarbeitern, diskutieren manche Unternehmen die Verlagerung von Arbeitsplätzen ins Ausland. Da gibt es noch genügend Jüngere. Aber ist das wirklich eine Alternative?
Eine zukunftsorientierte Personalpolitik sollte zunächst für jeden Mitarbeiter Perspektiven und auf einzlene Lebensphasen bezogene Entwicklungschancen bieten. Sie muss eine Unternehmenskultur fördern, die ältere Mitarbeiter nicht als (notwendiges) Übel betrachtet, sondern als Mehrwert!
Aufgabe der Personalpolitik ist es, bestehendes Personal an sich binden und zu motivieren. Diese Aufgaben sollten gleichermaßen auf jüngere und ältere Mitarbeiter ausgerichtet werden. Dies bedeutet zugleich, die Fähigkeit und Bereitschaft zum Lernen in allen Altersgruppen zu erhalten und zu fördern.
Sicher, der Alltag vieler Mitarbeiter stellt Anforderungen an die physische und psychische Leistungsfähigkeit. Und dies kann mit zunehmendem Alter schwieriger werden. Ältere brauchen mehr Zeit, um sich zu erholen. Das lässt sich nicht abtun.
Diese Einschränkungen verlieren aber an Bedeutung, wenn die Arbeit in altersgemischten Teams der jeweiligen Leistungsfähigkeit entsprechend verteilt wird. Führungskräfte, die dies beherzigen, schaffen so die Fähigkeiten aller Kollegen lange konstant zu halten. Denn Ältere sind zudem bestens in der Lage, ihre Leistungskraft den normalen physischen und psychischen Anforderungen anzupassen und so einen optimalen Flow während eines Arbeitstages beizubehalten.
Auch das weiß man aus der Forschung heute: Menschen, die in einer leistungsfördernden Umgebung arbeiten, können ihr Potenzial bis weit über das aktuelle Ruhestandsalter hinaus entfalten und nutzen. Positiver Nebeneffekt: Alternde Belegschaften erhöhen den Druck auf die Unternehmen, Maßnahmen und Konzepte zu entwickeln, eben diese Leistungsfähigkeit ihrer Mitarbeiter möglichst lange zu erhalten. Das kommt dann auch den Jüngere zugute.
Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr
Ältere lernen nicht schlechter, sondern anders als Jüngere! Mit dem Alter erwerben wir eine Fülle von Kenntnissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten. Ergänzt werden diese durch Erfahrungen sowie umfangreiches Grundlagen- und Prozesswissen. Doch das ist – um mit einem weiteren Vorurteil aufzuräumen – kein abgeschlossener Prozess. Oder anders ausgedrückt: Die Bereitschaft zur Weiterbildung ist keine Frage des Alters!
Aber Mitarbeiter, die zum Alteisen deklariert werden, verlieren das Selbstvertrauen und die Motivation zur Weiterbildung. Und was mindestens genauso schlimm ist: Sie verlernen mit der Zeit auch das Lernen.
Auch hierbei kommt den Führungskräften eine wesentliche Aufgabe und Verantwortung zu: Für den nachhaltigen Unternehmenserfolg ist es für sie unumgänglich, die Kompetenzen und Potenziale ihrer langjährigen erfahrenen Mitarbeiter zu nutzen und diese in diversifizierten Teams zu mischen. Diese Herausforderung wird wachsen. Bisher sind Beschäftigte mit 50+ noch in der Minderheit. In wenigen Jahren aber werden sie einen wesentlichen Anteil im Personalbestand der Unternehmen ausmachen.
Alle, die in dieser Entwicklung eine existentielle Bedrohung der Unternehmen sehen, will ich gerne beruhigen. Ich bin überzeugt, die Aufgaben der Zukunft können auch oder gerade von altersgemischten Belegschaften erfolgreich erfüllt werden. Voraussetzung dafür ist allerdings eine intelligente Personalpolitik. Und ebensolche Führungskräfte.
Über den Autor
Volker Schneider, Jahrgang 1960, ist Trainer und Coach für Führungskräfte und Buchautor. Seine berufliche Laufbahn begann er als Polizeibeamter. Nachdem zwei Mal auf ihn geschossen worden war, entschied er sich in die freie Wirtschaft zu gehen. Durch seine erfolgreiche Arbeit in einer Unternehmensberatung und dem parallelen Studium der Betriebswirtschaft, wurde er schnell mit Aufgaben als Geschäftsführer in verschiedenen Unternehmen betraut und war bis 1999 Vorstandsvorsitzender einer Aktiengesellschaft. Seit mehr als zehn Jahren ist Schneider erfolgreich als Management-Trainer und Moderator für Konzerne und mittelständische Unternehmen tätig.