MarcusSchmidt

Ein Interview mit dem Münchner Headhunter und Buchautor Marcus Schmidt

Marcus Schmidt ist Geschäftsführender Gesellschafter bei der internationalen Personalberatung Hanover Matrix. Davor arbeitete er lange Jahre in der Wirtschaft, unter anderem als Managing Partner bei BBDO, als General Manager Strategic Marketing für E-Plus oder als Senior Engagement Manager für A.T. Kearney. Anfang Februar erscheint sein erstes Buch – Die 40 größten Karriere-Mythen -, in dem der Headhunter angebliche Karriereregeln entzaubert und zeigt, welche Strategien tatsächlich erfolgreich machen.

40KarrieremythenHerr Schmidt, Sie haben 40 Karriere-Mythen entlarvt. Welcher Mythos ist denn der schlimmste?

Einer der gefährlichsten ist der Irrglaube, ein Sabbatical, also ein Ausstieg auf Zeit, nütze immer der Karriere. Das Sabbatical ist ursprünglich eine Erfindung amerikanischer Universitäten. Da hat es durchaus Sinn und birgt keinerlei Risiko, denn ein amerikanischer Professor hat eine Festanstellung auf Lebenszeit. Auch in der Wirtschaft beschleunigt ein Sabbatical immer eine Karriere – nur vielleicht nicht die eigene. So fördert der Ausstieg zunächst die Karriere der gleichgestellten Kollegen, die sich keine Auszeit nehmen. Die machen dann die nächste Beförderung unter sich aus. Umgekehrt wird der Ausstieg auf Zeit für den Aussteiger umso riskanter, je länger das Sabbatical dauert. In vielen Branchen verfällt das berufliche Netzwerk schon nach einem halben Jahr rapide und ist nach einem Jahr hoffnungslos veraltet. Für die Wirtschaft gilt: Je länger man weg ist, desto schwerer fällt der Wiedereinstieg. Zwar gibt es Zeitfenster, in die sich ein zeitweiliger Ausstieg besser einpassen lässt. Wer etwa gerade sein erstes Unternehmen verkauft hat, dem wird niemand den Bedarf für eine kreative Pause absprechen. Natürlich spricht auch nichts gegen das Erholungspotenzial und die Bildungsqualitäten einer Weltreise. Nur sollte man nicht erwarten, dass der nächste Chef das ähnlich euphorisch sieht. Es sei denn, man ist Reisejournalist.

Lassen Sie uns bei den Mythen bleiben: Netzwerke helfen bei der Karriere. Stimmt’s?

Nein, so einfach ist das nicht. Netzwerke sind für sich genommen kein Wert. Netzwerke sind lediglich ein Medium. Über sie verbreiten sich Informationen, die für den Betreffenden positive, aber auch negative Auswirkungen haben können. Ein Beispiel: Natürlich kann der Einzelne durch sein virtuelles Netzwerk profitieren. Er kann etwa von einem Jobangebot erfahren, für das er sich interessieren würde. Aber weder wird ihm dieser Job dabei sofort anonym angeboten, noch bleibt im Zweifel sein Interesse dafür anonym. Er bewirbt sich öffentlich – vor Publikum. Also bezahlt er für das Angebot durch Preisgabe von Informationen – etwa die seiner Wechselbereitschaft. Und falls derjenige abgelehnt wird, ist auch seine Nichteignung öffentlich. Tatsache ist, dass die Mitgliedschaft in sozialen Netzwerken ein öffentliches Statement, eine öffentliche Botschaft des Karrieristen ist und deshalb sehr sorgfältig konzipiert und gepflegt werden muss. In jedem Fall ist es eine Arbeitsprobe, die Sie von sich selbst zur Verfügung stellen und mindestens für die Dauer Ihrer Mitgliedschaft versenden. Im Executive-Search haben in den letzten Jahren sprunghaft die Fälle zugenommen, in denen eine Online-Recherche Details zutage gefördert hat, die mit den Anforderungen an eine Position nicht vereinbar waren. So hat allein die Darstellung in Online-Netzwerken oft schon dazu geführt, dass Kandidaten aussortiert wurden. Aber auch bei nichtvirtuellen Netzwerken sollte man stets im Sinn haben: Sie sind auf Sendung, sobald Sie sensible Daten mitteilen.

Und was ist mit: Wer sich anpasst, kommt schneller voran?

Noch so ein Mythos. Viele denken tatsächlich, dass im Unternehmen nur der vorankommt, der sich verhält wie alle anderen auch. Und viele überzeugte Anhänger dieses Mythos’ erkennt man zum Beispiel daran, dass sie in größeren Besprechungsrunden, in denen Meinungsäußerungen unumgänglich sind, versuchen, sich flexibel auf den Leitwolf einzustellen. Doch was, wenn der Leitwolf keine Lust auf das Spiel hat? Dann lässt er solche Adepten auch schon mal gnadenlos auflaufen. Fakt ist: Langfristig kann man sich in solchen Kreisen nur mit konsequent begründeter und gut argumentierter Überzeugung profilieren. Gerade in Zeiten des Umbruchs und der Neuorientierung ist ein Profil mit Substanz unabdingbar. Gut recherchierte und belegbare Einschätzungen und entsprechend konsequentes Verhalten, das man auch gegen herrschende Standpunkte verteidigen kann, sorgen für belastbaren Respekt bei den Kollegen und letztlich auch beim Chef. Natürlich ist ein solches Verhalten nicht ohne Risiko. Mitläufer sind kurzfristig oft gefragter und verschaffen sich so schnelle Vorteile. Aber schon mittelfristig verhalten sich Organisationen meistens nicht kontinuierlich. Neue Märkte und neue Technologien fordern ständige Neuausrichtung. Und in diesem Umfeld setzt sich dauerhaft nur ein eigenständiges Profil durch. Wer nur mitläuft, um ja keinen Fehler zu machen, kann nichts Herausragendes leisten und wird nicht dauerhaft auf sich aufmerksam machen.

Und was ist mit: Karriere geht nur über die Headhunterkartei?

Auch diese Meinung ist – leider – weit verbreitet. Danach hat derjenige beste Karrierechancen, der sich einem Headhunter persönlich bekannt macht. Sie glauben gar nicht, wie viele Lebensläufe meine Kollegen und ich bekommen, die per Mail und mit einem Standard-Anschreiben versendet wurden und so offenkundig zeigen, dass sie einem größeren Adressatenkreis zugedacht sind. Mag sein, dass ein Initiativbewerber so zunächst seine Verfügbarkeit signalisiert. Für eine Besetzung ist das aber lediglich eine notwendige, keinesfalls eine hinreichende Voraussetzung. Im Gegenteil. Aus der ungefragt kommunizierten Verfügbarkeit kann leicht der Eindruck entstehen, dass der Kandidat unbedingt einen neuen Job braucht. Mehr noch: Wir sehen darin auch, dass sich der Absender weder mit dem Adressaten auseinandergesetzt, noch die Mühe gemacht hat, seinen Lebenslauf auf die Kompetenz des Adressaten zuzuschneiden. Dabei sollte ein Bewerber immer das Interesse des Headhunters wecken können und deutlich machen, warum man sich gerade an ihn wendet. Der professionellste Weg der Kontaktaufnahme mit einem Headhunter, dem man nicht bekannt ist, führt daher eher über ein Informationsgespräch. Man ruft an, stellt sich vor und bittet um einen gelegentlichen Gedankenaustausch. Ist der Headhunter am Profil des Kandidaten interessiert, wird er um die Unterlagen bitten und danach eventuell auch zum Gespräch. Das passiert in der Regel aber erst zu dem Zeitpunkt, wenn ein passender Suchauftrag vorliegt.

Sie schreiben auch, dass selbst in der Krise steile Karrieren möglich sind. Was macht Sie da so sicher?

Krisen sind nun mal selektiv. Sie treffen weder Unternehmen einheitlich, noch diskriminieren sie Kandidaten gleichermaßen. Stattdessen sorgen sie wie ein Kontrastmittel für eine deutliche Trennung zwischen der Vergangenheit und der Zukunft, zwischen Leistungsträgern und Minderleistern, zwischen Kandidaten mit und denen ohne Chancen. In der Krise wählen Unternehmen bei der Besetzung von Stellen zwar sorgfältiger aus, es gibt eine geringere Fehlertoleranz. Doch sie stellen immer noch ein. Und dabei setzen sich verstärkt die wirklich guten Leute durch. Wobei gut hier vor allem die an die Marktbedingungen optimal angepassten Mitarbeiter meint. Gerade in der Rezession bekommen oft Leute aus der zweiten Reihe eine Chance. Zum Beispiel zur Übernahme von Restrukturierungsjobs, bei denen wirklich die Fähigkeit der Verantwortlichen zählt. Auf eine solche, erfolgreiche Restrukturierung kann ein Manager dann im nächsten Zyklus aufsetzen. Auch Jobeinsteiger sollten eine Rezession allem als Chance begreifen. Wer jetzt zu sehr auf Status und Normalität pocht, punktet nicht. Wer hingegen bei seinem Jobeinstieg die Nachfrage berücksichtigt und einen flexibleren Einstieg wählt, hat die Nase beim nächsten Aufschwung vorn.

Überrascht hat mich auch Ihre Behauptung, es gäbe keine gläserne Decke für Frauen.

Ein in Deutschland besonders hartnäckig verbreiteter Mythos lautet, dass Frauen in der Wirtschaft benachteiligt seien. Erstaunlicherweise sind die Vertreter dieser Ansicht außerhalb von Politik und Journalismus überwiegend Männer. In persönlichen Gesprächen mit Kandidatinnen oder Managerinnen wird das Thema jedenfalls nicht nennenswert problematisiert. In Gesprächen mit männlichen Führungskräften werden Frauenkarrieren dagegen häufiger angeschnitten, insbesondere bei den Personalverantwortlichen. Dann wird allerdings keine gläserne Decke beklagt, sondern der generelle Mangel an weiblichen Führungskräften. Ich will und kann natürlich nicht verleugnen, dass es auffällige Unterschiede bei den Gehältern von Frauen und Männern in vergleichbaren Positionen gibt. Die Ursache hierfür ist jedoch entgegen anders lautenden Klischees keine Diskriminierung. Vielmehr ist es so: Unsere Auftraggeber machen Gehaltsangebote – unabhängig vom Geschlecht. Und sie richten sich dabei am aktuellen Gehalt und am Wunschgehalt des Kandidaten aus. Und wenn das bei einer Frau niedriger liegt als bei einem Mann gleicher Qualifikation, fällt auch das Angebot an eine Frau niedriger aus. Selbst bei solchen Unternehmen, die eigentlich auf die Einstellung von Frauen in Führungspositionen überproportional Wert legen. Nach meiner Beobachtung äußern Frauen bei Einstiegsverhandlungen öfter niedrigere Gehaltswünsche. Und die wenigsten Unternehmen werden der Kandidatin dann ein höheres Gehalt anbieten. Das Argument „Gehaltsstruktur“, das umgekehrt immer angewendet wird, wenn ein Kandidat ein überdurchschnittliches Gehalt verlangt, wird verständlicherweise kaum im Sinne des Kandidaten angewendet. Auch das übrigens keine Besonderheit oder Bosheit gegenüber Frauen. Hinzu kommt, dass bei der Suche nach qualifizierten Kandidatinnen das Angebot deutlich geringer ist, als die Nachfrage. Insbesondere für Beratungsunternehmen und große internationale Konzerne werden meine Kollegen und ich häufig gebeten, nach Kandidatinnen zu suchen, Frauen werden dabei teilweise sogar eindeutig bevorzugt. Allerdings sind sie deutlich schwerer zu finden – zum Beispiel, weil Frauen noch immer in zu geringem Maße in männerdominierte Studiengänge einsteigen, also in Disziplinen wie Betriebswirtschaftlehre, Ingenieurwissenschaften und Naturwissenschaften.

Aber was ist mit der Familie, mit Kindern – das scheint doch ein großes Problem zu sein?

Sicher, die Work-Life-Balance, also eine Lebensweise, bei der die privaten und geschäftlichen Anforderungen in Einklang gebracht werden, ist eine notwendige Sache. Auch der überzeugte Workaholic kann auf Dauer nicht ohne Ausgleich funktionieren. Für den Nachwuchs mit drei Jahren Berufserfahrung ist die unaufgeforderte Thematisierung der Work-Life-Balance im Bewerbungsgespräch allerdings eine Akzentuierung, die man sich tunlichst verkneifen sollte. Zumindest kurzfristig ist die Vereinbarkeit von Aufstiegs- und Privatinteressen auch für erfahrene Manager nicht ohne Kompromiss möglich. Einen zukunftsweisenden Job nicht anzunehmen, weil der in einer anderen Stadt liegt und man dann seine Familie für einige Zeit nur noch am Wochenende sieht, kann sich kein Karrierist erlauben. Auch eine Beförderung aus familiären Gründen abzulehnen, weil die mehr Reisetätigkeit erfordert, wird nicht folgenlos bleiben. Wohlgemerkt: Nicht jeder muss Karriere machen! Es ist völlig akzeptabel, wenn sich jemand entschließt, nicht weiter aufsteigen zu wollen. Aber: Wer aufsteigen will, kann sich solche Absagen ohne zwingenden Grund nicht leisten. Ein zwingender Grund wäre zum Beispiel die Krankheit und Pflegebedürftigkeit des Partners. Hier sollte man allerdings bei der Wahrheit bleiben. So gab ein Manager einmal eine unheilbare Krankheit seiner Partnerin als Grund für eine Absage an. Als er wenig später eine ähnliche Tätigkeit in einem anderen Unternehmen übernahm, flog die Sache auf: Er hatte die Krankheit schlicht erfunden. So etwas wirkt noch lange nach, insbesondere in eng verwobenen, kommunikationsintensiven Branchen.

Sie wettern in Ihrem Buch zudem ordentlich gegen klassische Karrierekriterien: Auslandsaufenthalt, Doktor-Titel, MBA. Sie selbst haben einen MBA in Chicago gemacht. War das ein Fehler?

Nein. Aber es wäre ein Fehler gewesen, hätte ich vorher nicht meine Hausaufgaben gemacht. Viele preisen den Master of Business Administration als angesagtes Karrierewerkzeug und sprechen vom garantierten Aufstieg auf Basis dreier Buchstaben. Der MBA – anders als der Doktortitel – ist aber zunächst kein akademischer Grad, dessen Vergabe grundsätzlich staatlich geregelt und kontrolliert würde. Und anders als der Doktorgrad ist er nur in Zusammenhang mit der ihn verleihenden Institution und unter genauer Analyse der vermittelten Inhalte wertvoll. Ein Interessent sollte deshalb genau recherchieren, welches Renommee die Business School besitzt. Die regelmäßig erscheinenden Ranglisten, etwa im Wall Street Journal oder der Financial Times sind ein erstes Indiz. Wer in diesen Rankings über einen langen Zeitraum immer wieder unter die Top10 kommt, leistet sicher Herausragendes. Aber deswegen ist die Entscheidung für einen MBA noch kein Selbstgänger. Vor allem die Frage, ob sich die Investition lohnt, mehr noch amortisiert, muss der Interessent vorab klären. Dazu zählen dann auch die Opportunitätskosten, die dadurch entstehen, dass man sich für die Dauer von einem bis zu zwei Jahren aus seinem Beruf zugunsten des Studiums verabschiedet.

Nachdem Sie mit einigen Illusionen aufräumen, mal anders herum gefragt: Was ist denn Ihr bester Tipp für Menschen, die beruflich weiterkommen wollen?

Vermeiden Sie eine Karriere auf Rezept! Anstatt lemminghaft den Empfehlungen von Karriereexperten zu folgen sollten Sie lieber mit einer persönlichen Stärken- und Neigungsanalyse starten und mit den beiden Fragen: Was kann ich besonders gut? Und: Was macht mir besonders viel Spaß? In diese Kombination sollten Sie dann all Ihre Energie setzen. Natürlich kann es Ihnen passieren, dass Sie anschließend und aus Marktsicht über exotische Fertigkeiten verfügen, die nicht allzu breit nachgefragt werden. Jedenfalls nicht aktuell. Wer hätte vor 20 Jahren schon gedacht, dass jemand heute einen Energieberater oder einen Ernährungscoach braucht? Unsere Berufswelt wird immer komplexer. Die Halbwertszeit jeglichen Wissens sinkt dramatisch. Ein Berufsanfänger wird daher zwangsläufig auf Phänomene stoßen, die einfach nicht antizipierbar sind. Eine interessen- und neigungsbasierte Ausbildung ist daher allemal besser als eine, die sich allein an aktuellen, aber kurzfristigen Markttrends orientiert. Das gilt natürlich auch für die spätere Weiterbildung oder Zusatzqualifikationen, die Sie erwerben möchten.