Der Mensch neigt zur Konformität. Schon immer. Weil es bequemer ist, aber auch, weil er ein soziales Wesen ist. Immer wieder konnten psychologische Experimente nachweisen, dass dieser menschliche Hang zur Übereinstimmung bis zur Selbstverleugnung reicht.
Denken Sie etwa an die Versuche des Psychologen Serge Moscovici. Er zeigte zum Beispiel seinen Probanden farbige Dias, allesamt blaue Flächen: hellblaue, dunkelblaue, aquamarinblaue, kobaltblaue, blaufrische (wie die Farbe dieses Blogs). Anschließend ließ er seine Versuchsteilnehmer die Farbe benennen, die das Dia zeigte. Keine allzu schwere Aufgabe, wie Sie sich denken können. Was die Probanden jedoch nicht wussten: Es gab zwei eingeweihte Querulanten, die vehement behaupteten, das Dia sei grün. Und ob Sie es glauben oder nicht: Danach stieg die Zahl derjenigen, die meinten das Dia sei tatsächlich „grün“, signifikant an:
- 8,4 Prozent aller Antworten lauteten Grün.
- 32 Prozent aller Versuchspersonen gaben zumindest einmal an, ein grünes Dia gesehen zu haben.
Und das, obwohl zuvor ihre farbliche Sehfähigkeit alle Teilnehmer als völlig normal getestet wurde und es eindeutig war, dass es sich um ein blaues Bild handelte. Irre, oder?
Natürlich gibt es ebenso Gegenbeispiele. Denn auch bewusster Widerstand kann sich sozial lohnen. Das tut er allerdings seltener. Um also unserer Neigung zur Konformität etwas mehr auf die Schliche zu kommen, habe ich ein paar Einflussgrößen zusammengestellt, die unser Verhalten diesbezüglich stark prägen:
Gruppengröße
Eine der entscheidendsten Faktoren dafür, dass Menschen sich den Überzeugungen anderer anpassen (auch wenn diese den eigenen widersprechen), ist die Größe einer Gruppe. Studien zeigen, dass der Konformitätsdruck sein Maximum bei einer Gruppe von drei bis fünf Personen erreicht.
Reziprozität
Die Macht dieses Wie-du-mir-so-ich-dir-Verhaltens wird oft unterschätzt, ist aber ebenfalls einer der großen Einflussfaktoren in Sachen Konformität. Nicht wenige Menschen lassen sich dadurch – bewusst oder unbewusst – leicht manipulieren, weil sie sich, nachdem Sie etwas empfangen haben (ein Geschenk, einen Kompromissvorschlag, …), sofort zur Gegenleistung verpflichtet fühlen.
Dazugehörigkeit
Damit sich die Mitglieder einer Gruppe bereitwillig anpassen, muss derjenige, der Einfluss auf sie ausüben will, dazu gehören. Das klingt banal, ist es aber nicht. Damit ist keine Mitgliedskarte oder ein Vereinsausweis gemeint. Vielmehr geht es dabei um das Gefühl: „Das ist einer von uns.“ „Der tickt genauso wie ich.“ Kurz: Es geht um instinktives Vertrauen.
Widerspruch
Sobald jemand vehement widerspricht, sinkt bereits die ungeteilte Bereitschaft zuzustimmen. Wie im obigen Beispiel von Moscovicis Experiment, reichen schon wenige Personen, um Meinungen zu beeinflussen. Es gibt Studien, die belegen, dass eine Meinungsmehrheit von 97 Prozent auf schlappe 36 Prozent sinkt, wenn sich in der Gruppe nur ein einzelner, dafür aber kompetenter, Abweichler lautstark zu Wort meldet. Umgekehrt bedeutet das freilich: Starker Widerspruch nötig uns zum Einlenken.
So war es auch im obigen Blau-Beispiel: Die eingeweihten Mitspieler waren wissenschaftliche Mitarbeiter, die auf die anderen Teilnehmer einen vergleichsweise souveränen und kompetenten Eindruck machten. Deshalb wiederholten die Forscher das Experiment auch – nur diesmal trug einer der Querulanten eine glasbausteindicke Brille und verhielt sich auch sonst eher sonderbar. Prompt schrumpfte sein Einfluss auf die Gruppe, wenn der überhaupt noch messbar war.
Selbstbewusstsein
Selbstvertrauen und Anpassungsbereitschaft gehen Hand in Hand. Menschen mit einer weniger starken Persönlichkeit neigen eher dazu, dem Gruppendruck nachzugeben und sich der Mehrheit (oder dem Leitwolf) anzuschließen. Ein klassischer Fall von Mitläufertum. Aber auch Menschen, die ein großes Bedürfnis haben, von anderen gemocht zu werden, sind dafür anfällig.
Kultur
Hinzu kommen kulturelle Unterschiede. Insbesondere in Asien gibt es eine Tradition zur Konformität. In Kulturen westlicher Prägung dagegen wird mehr Wert auf Individualität gelegt. Studien zeigen, dass in Gemeinschaftskulturen die Konformitätsraten zwischen 25 und 58 Prozent liegen, während sie in individualistisch geprägten Kulturen eher zwischen 14 und 39 Prozent liegen.
Stimmung
Natürlich hat auch die eigene Tageslaune einen gewissen Einfluss auf unser Verhalten und damit auf die Bereitschaft zur Konformität. Wer gerade seine Verdrießlichkeit zelebriert, neigt eher zur Antihaltung. Hochstimmung dagegen macht uns zustimmungsbereiter. Ganz fies ist folgende Masche: Erzeugen Sie erst Angst vor etwas, dann relativieren Sie diese Furcht (die Stimmung verbessert sich somit), um schließlich Zustimmung für Ihr (Abwehr-)Projekt zu erhalten.
Autorität
Sobald Hierarchie oder Autorität mitspielen, nimmt die Bereitschaft zur Konformität zu, die dann sogar bis zur blinden Unterwürfigkeit reichen kann. In der deutschen Geschichte gibt es leider einen sehr starken Beleg für dieses Verhalten (der das damit allerdings keinesfalls rechtfertigen soll). Aber auch das berühmte Elektroschock-Experiment von Milgram zeigt, wie schon die Autorität eines Wissenschaftlers dazu ausreicht, dass Menschen andere Menschen offensichtlich quälen. Allerdings muss man einräumen, dass Autorität nur ein vergleichsweise schwacher Einflussfaktor ist. Laut Studien reicht die Unterwürfigkeitsspanne dabei von zwölf bis hin zu 92 Prozent.
Verstehen Sie mich aber bitte nicht falsch: Selbst wenn Sie jetzt einige Einflussfaktoren kennengelernt haben, heißt das nicht, dass Konformität per se schlecht oder gut wäre. Die meisten Gesellschaften, demokratische sowieso, und ihre Institutionen wären ohne Konformität nicht denkbar, geschweige denn funktionsfähig. Andererseits basieren Innovationen oder jeglicher kreativer Akt in der Regel auf dem bewussten Bruch mit Traditionen und bisherigen sozialen wie strukturellen Normen. Letztlich kommt es also darauf an, sich bewusst zu machen, wann man sich anpasst und warum. Wer verstanden hat, wie und wann die geschilderten Effekte greifen, der hat viel an Handlungs- und Entscheidungsfreiheit gewonnen.
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