Ein Gastbeitrag von Klaus Schuster, Buchautor und Managercoach

Neulich war ich fünf Minuten zu früh bei einem Termin und erwischte den Bereichsleiter, der mich gerufen hatte, gerade im dicksten Stress. Er versuchte, fünf Probleme gleichzeitig zu lösen, schaffte das auch irgendwie und sank dann etwas ermattet in seinen Sessel zurück: „Manchmal frage ich mich, warum ich das alles hier mache!“

Eine gute Frage. Eine Frage, die wir viel zu selten stellen – wenn überhaupt. Weil wir „zu viel um die Ohren haben für solche tiefschürfenden Fragen“, wie mir der Bereichsleiter sagte. Was er nicht wusste: Es ist genau umgekehrt! Wir haben immer dann so viel um die Ohren, wenn wir diese grundlegende Frage nicht stellen.

Der Mann hatte mich unter anderem gerufen, weil er die Effizienz seines Bereiches erhöhen wollte. Wir begannen, indem wir seine Aufgabenliste durchgingen. Bei jeder dritten musste ich ihn fragen: „Warum macht das eigentlich nicht Ihr Stellvertreter?“

Er sagte: „Ich habe gar keinen Stellvertreter! Ich weiß, ich sollte eigentlich einen haben. Der Müller oder die Schulze wären auch fast so weit. Denen fehlen bloß noch ein, zwei strategische Projekte. Aber die bekommen sie nicht von mir. Denn wenn die das auch noch können – wozu bin ich dann noch da?“

Früher hätte ich ihm kurz und knapp geantwortet: Na, für die strategischen Aufgaben: Wo ist mein Bereich in zehn Jahren? Also genau für jene Fragen, die kein Stellvertreter beantworten kann und darf. Seit ich einen Kriminal-Profiler kennengelernt habe, gebe ich diese Antwort nicht mehr. Weil ich erkannt habe: Es geht gar nicht um die strategischen Aufgaben. Es geht um die Furcht des Managers.

Die Angst ersetzbar zu sein

Aus Furcht vor den Kronprinzen hält er diese klein. Das kennen wir. Das haben wir alle schon gemacht. Das ist normal. Selbsterhaltungstrieb. Seit ich den Profiler traf, frage ich mich jedoch: Wie fühlt man sich dabei? Als ob wir das nicht alle wüssten: nicht gut!

Ein Leben in Angst ist nur ein halbes Leben, wie die Spanier sagen. Angst und Furcht machen unglücklich – und dumm. Dass wir dabei verdummen, fällt uns bloß nicht auf. Dem Bereichsleiter auch nicht. Dabei ist die Sache (für alle außer für ihn) offensichtlich: Dass seine beiden Kronprinze(ssine)n ihn kompetenzmäßig überholen könnten – also das, was er fürchtet – kann ja nur eintreten, wenn – was? Wie sehr ist Ihre Kombinationsgabe bereits vom alltäglichen Veil of Fear im Management beeinträchtigt?

Die Antwort ist einfach:

Die Kronprinzen, die mit einem strategischen Projekt dazulernen könnten, können ihren Boss nur dann überholen, wenn dieser seinerseits stehenbleibt.

Das ist der Unterschied zwischen Koala und Hai: Der Koala hängt am liebsten bewegungslos im Eukalyptus und wird gefressen. Der Hai ist ständig in Bewegung – und kennen Sie Fische, die Haie fressen? Ich nicht. Wer selber in Bewegung bleibt, kann nicht überholt werden.

Das ist der Vorteil vom Ständig-in-Bewegung-bleiben: ein Leben ohne Furcht.

Volition ist besser als Motivation

Ich kenne einen anderen Bereichsleiter, der mich beim letzten Treffen fragte: „Schon mal was von Volition gehört? Das ist besser als Motivation!“

Ich dachte mir: Woher hat er das bloß?! Eben daher: Er ist ständig in Bewegung, fräst seinen Geist ständig durch neue Ideen und hat dauernd das Ohr am Puls der neuesten Entwicklung. Während andere bloß rummeckern und ihre Kronprinzen klein halten, entwickelt er sich ununterbrochen weiter.

Jedes Jahr gönnt er sich mindestens vier, fünf, manchmal acht Trainingstage; Coaching sowieso fast durchgängig. Sein Assistent versorgt ihn wöchentlich mit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen. Seine Kronprinzen nicht. Die lernen zwar auch dazu, aber nicht in diesem Tempo und Umfang. Sie können ihren Boss einfach nicht einholen. Weil er schneller rennt, schneller lernt, seine Ohren weiter aufsperrt.

Das ist wahre Größe. Er lebt ein Leben ohne Furcht.

KlausSchusterÜber den Autor:

Klaus Schuster war lange Jahre Vorstand eines internationalen Finanzinstituts und als Troubleshooter in vielen Ländern unterwegs. Inzwischen leitet er sein eigenes Unternehmen, berät und trainiert Topmanager sowie Junior Executives aller Branchen und Bereiche. Er schreibt Fachartikel und hat zahlreiche Bücher veröffentlicht.