Ein Gastbeitrag von Niels Warnecke, Organisationsberater
Techniken zur Selbstorganisation und zum Zeitmanagement gibt es viele, und der Bedarf daran scheint ungebrochen zu sein. „Getting Things Done“, „Zen Habits“, „The 4 Hour Workweek“ oder Personal Kanban – für jeden Charakter gibt es die scheinbar passende Methode und jede erfreut sich einer großen Fangemeinde. Es ist ein schierer Hype um die persönliche Produktivität entstanden. Und eigentlich ist das auch gut so. Nur: Wer kein Ziel hat, wird auch nirgendwo ankommen.
Ich glaube, ich habe bis vor etwa drei Jahren einmal im Quartal mein komplettes Zeit-Management umgeworfen und neu gemacht. Erst ein Time/System-Buch, schön in Leder eingebunden, dann Outlook, dann wieder nur ein kariertes Heft, und wieder Outlook. Aber wie auch immer ich die anstehenden Aufgaben zu organisieren suchte, es war ohne Effekt. Ich habe prokrastiniert. Und ich fühlte mich dabei alles andere als gut. Ich habe immer weniger geschafft.
Ich habe Fachliteratur zum Thema Selbstmanagement gelesen und war schier erschlagen von den vielen verschiedenen Ansätzen. Bis mir klar wurde, dass meine Selbst-Organisation das Spiegelbild meines inneren Zustands war: Keine Orientierung, keine klare Zielsetzung, manche der Themen auf meiner persönlichen Agenda waren mir vollkommen wurscht – mein Inneres war wie ein schwarzes Loch, es saugte viel auf, ließ aber nichts mehr heraus.
Ich verstand: Die Dinge richtig zu tun ist unmöglich, wenn Du nicht weißt, was für Dich die richtigen Dinge sind. All das Experimentieren mit den Tools konnte mein Dilemma nicht lösen, weil ich nicht wusste, warum ich all diese Tasks hätte erledigen sollen. Sie berührten mich nicht, waren mir egal – auch wenn ich durchaus sah, welche Auswirkungen das Nichterledigen haben konnte.
Und was ist mit Effektivität?
Am Hype um die persönliche Produktivität offenbart sich ein Seiteneffekt der modernen, digital vernetzten Welt. Wenn die Dinge immer komplexer zu werden scheinen, wenn Informationen immer schneller durch die Welt wabern, dann entsteht auf das Individuum ein immer größer werdender Druck, alle Informationskanäle im Blick zu halten (man könnte ja eine wesentliche Information verpassen) und gleichzeitig immer besser und effizienter werden zu müssen. Doch die Fokussierung auf Effizienz reicht nicht. Ohne die bewusste Entscheidung, was für Dich die richtigen Dinge sind, kannst Du Dich nicht langfristig effizient organisieren.
Die positiven Seiten der technologischen Entwicklungen unserer Zeit sind unbestritten. Aber eben auch die Schattenseiten. Die Zahlen für psychologische Erkrankungen steigen immer mehr. Und sie treffen vornehmlich die sogenannten Leistungsträger.
Anstatt präventiv einen Gang zurück zu schalten investieren ganze Heerscharen von Information-Workern eine Menge Zeit, um die neuesten Zeitmanagement-Techniken zu studieren und auszuprobieren. Da werden Tools heruntergeladen, Aufgaben von einem Management-System in das nächste verschoben. Da werden Ratgeber aus dem Internet geladen und Selbstlernkurse gebucht. Oder man besucht gar die Präsenz-Seminare der entsprechenden Gurus. Wer sich ganz besonders von den iPhonern abheben will und hip sein möchte, zückt neuerdings wieder ein ledergebundenes Buch, den Moleskine – eine Art Analog-Organizer, nur ohne karierte Kalendersichten.
Das ist effizient – vielleicht. Bei mir war es auch das nicht, trotz der ganzen Energie, die ich investierte. Um auch effektiv zu organisieren und zu handeln, braucht es mehr.
Die Beschäftigung mit der eigenen Zeit
Die Beschäftigung mit der eigenen (Lebens-)Zeit ist eine gute Sache, keine Frage. Aber zielführend ist sie allzu häufig nicht, weil sie nur an der Oberfläche kratzt. Sie erfolgt meist aus dem unbestimmten Gefühl heraus, dass man mit nur ein wenig besser organisierter Zeit besser leben und arbeiten könne. Doch das ist ein Trugschluss.
Wenn ein optimiertes Selbstmanagement nur dazu dienen soll, mehr Dinge in den Tagesablauf hinein zu pressen, dann ist es zum Scheitern verurteilt. Dann verdichtet sich nur der Druck, den das Individuum für sich selbst erzeugt. Effizienz („Die Dinge richtig tun“) ohne Effektivität („Die richtigen Dinge tun“) führt kurz oder lang zu einer dramatischen Konsequenz: Burn-Out oder gar Depression. Ich hatte das Glück, mir noch rechtzeitig bewusst zu werden, dass der Weg, den ich eingeschlagen hatte, ins Desaster führen würde. Die Anzeichen waren da: Antriebslosigkeit, Langeweile auf ganzer Linie, ich kam morgens kaum noch aus dem Bett geschweige denn ins Büro.
Die entscheidende Frage beim Selbstmanagement ist nicht, wie man mehr und mehr Aufgaben in der zur Verfügung stehenden Zeit bewältigen kann. Mit einer solchen Strategie wird man allenfalls marginale Verbesserungen erzielen. Die wichtigsten aller Fragen im Selbstmanagement sind:
- Warum will ich mich verändern/verbessern?
- Welche Freiräume schaffe ich mir durch bessere Selbstorganisation?
- Welchen Aspekten meines Lebens kann ich dann mehr Aufmerksamkeit schenken?
- Welchen Sinn sehe ich in meinem Tun: Heute, morgen und in einem Jahr?
Bevor man sich mit den Methoden zur Selbstorganisation auseinandersetzt, ist die Zielklärung oberstes Gebot. Ohne eine klare Vorstellung davon, was sich wie ändern soll und warum, bleiben Zeitmanagement-Methoden letzten Endes bloße Techniken. In anderen Worten: A fool with a tool is still a fool. Erst der übergeordnete Kontext ist es, der all diesen Möglichkeiten der Selbstorganisation einen tieferen Sinn gibt und der es ermöglicht, seine Zeit den wirklich wichtigen Dingen des Lebens zu widmen.
Und so habe ich mich irgendwann für mich allein hingesetzt und überlegt, wie ich mir eigentlich mein Leben in 15, 20 Jahren vorstelle – was werde ich erreicht haben, was werden die Kinder machen? Wie wird mich meine Familie sehen? Es ging mir dabei weniger um konkret greifbare Dinge. Also nicht „Ich fahre S-Klasse“ oder ähnliches. Ich fragte mich, was würde dafür sorgen, dass ich mich ebenso wie auch meine Familie zufrieden und glücklich fühlen würde, welche Themen mich neugierig machen würden, für welche Werte ich stehe und so weiter.
Work ist ein Teil von Life
Ein weit verbreiteter Fehler im Selbstmanagement ist es, Lebensbereiche auszuklammern. Da wird ganz im Sinne einer Work-Life-Balance die Art der Aufgabenplanung im Büro optimiert, während alle anderen sozialen Kontexte unberührt bleiben. Aber diese Abgrenzung funktioniert so nicht. „Work“ ist ein Bestandteil von „Life“, genauso wie es die Familie, die Freunde, die Sportkameraden usw. sind. Selbstmanagement-Veränderung ist nur dann wirklich erfolgreich, wenn sie diese verschiedenen Kontexte berücksichtigt – denn hinsichtlich der Zeitnutzung stehen diese Kontexte in Konkurrenz zueinander. Zeit, die ich für den Verein aufwende, fehlt für die Familie und den Beruf. Zeit, die ich der Familie widme, kann ich nicht für den Verein nutzen, und so weiter. Selbstmanagement muss alle Lebensbereiche adressieren.
Vor der Erprobung und der Implementierung von Selbstmanagement-Techniken steht daher das Klären der persönlichen Vision, des übergeordneten Kontextes. Wie möchte ich mein Leben leben? Was ist mir in meinem Leben wichtig? Was sind die großen Themen meines Lebens, denen ich intensiver Zeit widmen möchte?
Genau diese Fragen aber scheinen in der modernen Gesellschaft immer mehr in den Hintergrund zu geraten. Die Teilhabe am Informationsgewitter und das Partizipieren am Schneller-Höher-Weiter-Prinzip unserer erlebnisorientierten Welt lassen immer weniger Zeit für die Fokussierung auf unser individuelles Wesen. So verwundert es nicht, dass immer mehr Menschen irgendwann unter diesem Zwang zusammenbrechen, ihre Orientierung verlieren – trotz optimierter Termin- und Aufgabenplaner.
Ich habe statt weiter Techniken zu studieren einen Abstraktionsschritt weiter zurück gemacht und mich fragt, wohin die Lebens-Reise eigentlich gehen soll. Diese Vorgehensweise klärt den tieferen Sinn des eigenen Handelns. Und leider schmerzhaft auch den Unsinn.
Das VOR-Prinzip – Vision entwickeln, Orientieren, Realisieren
Ich kann es nur jedem wärmstens empfehlen, mit sich selbst regelmäßig in Klausur zu gehen und diese zentralen Fragen zu klären. Erst wenn man sich das persönliche Lebensszenario und die individuelle Zielsetzung bewusst gemacht hat, kann man die für sich optimale Gestaltung von Zeit und Organisation finden. Denn erst dann ist man in der Lage, allen anfallenden Aufgaben echte, ganzheitlich orientierte Prioritäten zuzuordnen. Erst dann ergibt sich in den Aufgaben und Terminschienen eine Art Landkarte mit dem Weg zu den eigenen Zielen. Erst dann wird es möglich, sich im täglichen Chaos sich stetig wandelnder Projekte, Themen und Anforderungen nicht mehr unterkriegen zu lassen – weil man einem übergeordneten Kontext folgt.
Dieser Weg ist in den seltensten Fällen gradlinig – aber man kann die Kurven und Weggabelungen schon vorhersehen und für sich selbst die besseren Entscheidungen treffen. Man wird aus einem Reagierenden zu einem Akteur. Auch Unvorhersehbares verliert dann seinen Schrecken – denn es ist nicht mehr als eine ungeplante, dafür aber ausgeschilderte Umleitung.
Interessanterweise hat sich die Art, Aufgaben und Termine zu planen, im Sinne des organisatorisch-technischen Prozesses für mich kaum verändert. Aber bei der Bewertung der Wichtigkeit der Aufgaben und auftretenden Ereignisse bin ich inzwischen sehr gelassen. Denn ich habe ein Bild im Kopf, ein Gefühl dafür, wie sich mein Leben entwickeln soll und wird. Mit der Orientierung an meinen Werten und meinen Überzeugungen ist jeder Tag eine Herausforderung, aber nun im positiven Sinne.
Die Priorisierung von Aufgaben nehme ich in einen System vor, dass dem A-B-C-D-System entlehnt ist. Zwei Achsen (Wichtigkeit und Dringlichkeit) bilden bei mir eine neun Felder umfassende Matrix. Jede Aufgabe wird entsprechend dieser Achsen einmal wöchentlich im Review auf einer Skala von eins bis drei bewertet – die unwichtigsten Aufgaben landen so bei einem Ergebniswert von zwei, die wichtigen und dringenden bei sechs. Bei der Dringlichkeit orientiere ich vor allem an der Frage, welche Auswirkungen eine Nichterledigung hätte. Bei der Wichtigkeit geht es vor allem um die Bedeutung der Aufgabe für die Themen und Projekte, die mir am Herzen liegen.
Mit einer echten Vision und einer klarer Orientierung im Leben entfalten so die verschiedenen Techniken zum Zeit- und Selbstmanagement auch echte Wirkung – in dem sie Mechanismen zur Verfügung stellen, die mich auf meinem Weg mit meiner Lebensvorstellung unterstützen. Für den einen wird das Tool der Wahl vielleicht ein GTD-System sein, für einen anderen vielleicht ein Personal Kanban, für einen Dritten eine Mischung mehrerer Ansätze. Ich habe mich da nicht festgelegt, denn ich wechsele immer noch regelmäßig meine Selbst-Managementtools. Aber diesmal aus reiner beruflicher Neugier…
Über den Autor
Niels Warnecke, Jahrgang 1970, ist studierter Diplom-Verwaltungswirt, verheiratet und hat zwei Kinder. In der Informationstechnik „groß“ geworden und durch mehrjährige Personalführungserfahrung geprägt berät er als Organisationsberater Klein- und mittelständische Unternehmen unter anderem in Fragen des Zeit- und Selbstmanagements und der wertebasierten Personalführung. Über seine Themen bloggt er seit einiger Zeit auch.

Seba
Spannender Text. Wird es einen zweiten Teil geben, wie man denn nun solche Visionen entwickelt und/oder gewichtet/bewertet? (Und welche das beim Autor sind.)
Christian Faller
Guter Artikel! Mir gefallen viele der Ansätze. Und ich denke, dass wir uns in diesen Verhaltensmustern alle irgendwo selbst entdecken. Danke für die Denkanstöße!
Vor allem den Selbstmanagement Fragen stimme ich uneingeschränkt zu. Solange das Gesamtbild unscharf ist, macht Zeitmanagement im Detail nur eingeschränkt Sinn.
Christian
Das Flattr ich!!
Ich selbst habe immer wieder das Problem festgestellt, dass besseres Zeitmanagement nichts hilft. Ein Tag hat am Ende doch nur 24 Std, wobei man auch mal Schlafen sollte.
Man muss definitiv seine Denkweise ändern.
Vielen Dank für den Artikel.
Christian Faller
Christian, gerade weil ein Tag nur 24 Stunden hat sollte man doch meinen, dass Zeitmanagement wichtig ist. Oder etwa nicht? Für mich ist Deine Aussage daher etwas widersprüchlich.
Oder verstehe ich Dich da falsch?
Christian
@Christian, muss ich dir Recht geben, da habe ich mich falsch/unklar ausgedrückt.
2. Versuch:
Zeitmanagement allein hat bei mir nicht den erhofften Erfolg gebracht.
Ich konnte nie alles erledigen was ich mir vorgenommen hatte, trotz Zeitplanung.
Ich hatte jeden Tag von Anfang bis Ende durchgeplant, was mich oft sehr eingeengt hat.
Nun habe ich aber meinen Einstellung geändert und komme besser klar. Was
Ganz wichtig dabei ist „Die richtigen Dinge tun“ und ofts mal “Nein” sagen.
Und ich muss Dir recht geben, ohne ein gewisses Zeitmanagement geht es trotzdem nicht.
Gruß
Christian
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