In den kommenden Wochen fahren drei von vier Deutschen in den Urlaub – um die vergangenen Wochen Revue passieren zu lassen, um sich zu erholen. Auch ich werde verreisen. Aber anders als bisher und anders als die meisten Bundesbürger: Ich werde abschalten. Sprichwörtlich.

Mehr als die Hälfte der Deutschen kann oder will das nicht. Sie rufen selbst im Sommerurlaub noch geschäftliche E-Mails ab. Jeder Dritte (34 Prozent) packt dazu sein privates Laptop oder Smartphone in die Reisetasche, 18 Prozent nehmen gar ihre Dienstgeräte mit, so eine Emnid-Umfrage. Gleichzeitig wundern sich 63 Prozent der Männer und 39 Prozent der Frauen darüber, dass der Bürostress in den Ferien nicht nachlassen will und warum sie nachher genauso cremig sind wie vorher.

Für die Titelgeschichte der aktuellen WirtschaftsWoche habe ich dazu ein Essay geschrieben. Denn ich finde: Es reicht. Als Online-Nerd und Social-Media-Junkie weiß ich, wovon ich spreche. Das Thema ist für mich nicht nur ein Modethema im Sommerloch. Es ist das Thema der nächsten Monate, wenn nicht gar Jahre. Ich kenne Manager, denen es ähnlich geht. Ich kenne Menschen, die nicht mehr abschalten wollen und gleichzeitig ignorieren, dass sie nicht mehr abschalten können. Weil es im Job verlangt wird – und ihnen das Gefühl von Kontrolle vermittelt über eine Entwicklung, die sie längst nicht mehr im Griff haben.

Es gibt Menschen, die lesen noch vor dem ersten Kaffee ihre E-Mails, checken ihre Feeds zum Toast, twittern ein paar Nachrichten an ihre Freunde und gehen dann ins Büro. Ich gebe zu, ich bin einer davon. Über den Tag hinweg korrespondiere ich mit Bekannten auf Facebook, Xing und Linkedin. Auf meinem Bürorechner sind permanent zwei E-Mail-Konten in Empfangsbereitschaft, zwei weitere sind damit verknüpft, ebenso das iPhone daneben. Zusätzlich bemerkt der Feedreader, sobald irgendwo ein neuer Artikel auf den 300 von mir abonnierten Blogs erscheint.

All das hat meine, hat unsere Arbeits- und Freizeit nicht nur in zahllose Bits fragmentiert und eine Art Permapräsenz erschaffen. Es hat auch dafür gesorgt, dass wir das Maß verloren haben. Ständige Erreichbarkeit ist ein Fetisch geworden, den wir kaum noch hinterfragen, geschweige denn zügeln. Ich bin sicher, würde Einstein heute noch leben und genauso simsen, mailen, twittern und facebooken, wie wir es tun – er säße vermutlich noch immer in seinem Berner Patentamtsbüro und hätte nie die Zeit und Muße gefunden, seine Relativitätstheorie zu entwickeln.

Was würde wohl jemand tun, wenn draußen vor seinem Fenster plötzlich ein Bautrupp anrückt und mit Presslufthämmern und anderem schweren Gerät die Straße vor dem Büro aufreißt? Klar, das Fenster schließen, den Lärm aussperren! Beim Internet und unseren Smartphones aber machen wir es genau umgekehrt. Egal, wie sehr es um uns herum bereits lärmt, bimmelt und piept: Wir öffnen noch ein paar Bildschirmfenster und Apps mehr – und wundern uns über den zunehmenden Verdruss, Stress und Konzentrationsmangel.

Das Internet ist per Konstrukt ein Unterbrechungssystem. Egal, wie sehr man sich auch anstrengt, dessen Störungen beharrlich auszublenden, am Ende beschlagnahmt es doch immer wieder unsere Aufmerksamkeit. Darunter leidet nicht nur das Lernen, sondern auch unser Verstand. Statt unser Wissen zu einem sprichwörtlichen Erfahrungsschatz zu kultivieren, degenerieren wir zurück zu reinen Jägern und Sammlern im Datendickicht. Und das kann nicht einmal im Interesse der Unternehmen sein, die per Diensthandy und Online-Tools ein Überallbüro propagieren.

Clifford Nass und Anthony Wagner von der Stanford-Universität fanden kürzlich heraus, dass Menschen, die chronisch multitasken, bald so etwas wie eine dramatische Fokussierungsschwäche erleiden: Zuerst können sie kaum noch Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden, danach verlieren sie die Fähigkeit, schnell zwischen simultanen Aufgaben zu wechseln – obwohl ausgerechnet das ihre Stärke sein sollte. Man könnte auch sagen: Chronische Mediennutzer werden anfälliger für Ablenkungen und bekommen irgendwann Probleme damit, diese zu ignorieren, beziehungsweise sich selbst zu kontrollieren und zu konzentrieren. Und nicht wenige tragen final die Züge einer veritablen Zwangsneurose.

Wie sieht der ideale Sommerurlaub aus?

Urlaubsvergnügen %
Erholen, Ausspannen 28
Urlaub mit Familie, Freunden 24
Neue Kulturen erkunden 21
Zu Hause gemütlich machen 9
Sport machen 7
Menschen kennenlernen 4
Lesen, Horizont erweitern 3
[Quelle: Ipsos, Rest zu 100 Prozent: "Weiß nicht"]

Es nutzt eben nichts, Spam oder Unnützes auszufiltern. Es bleibt immer noch genug von dem übrig, was ablenkt, zerstreut, lähmt. Das Einzige, was hilft, ist: (temporär) abschalten. Ich bin davon überzeugt: So wie es in der Dialektik unserer Existenz das Böse geben muss, damit sich das Gute manifestieren kann, braucht es auch in unserer technisch hoch vernetzten Welt wieder ein totales Offline, damit das Online weiterhin Nutzen stiften kann.

Nur allzu oft erliegen wir der eitlen Illusion, für eine gewisse Zeit nicht erreichbar zu sein würde den Untergang des Abendlandes einleiten und uns sozial isolieren. Ein Kurzschluss, der sich gerade jetzt und in der Urlaubszeit (siehe auch Kasten rechts) falsifizieren lässt. Nicht wenige stellen nach ihrer Rückkehr verblüfft fest: Egal, wie lange sie weg und unerreichbar waren – die Firma hat überlebt, die Freunde sind noch da, und es gibt ein Leben ohne Netz.