Ein Gastbeitrag von dem Autor und Schauspieler Tom Schmitt
Erfolgreiche Manager und Verkäufer haben ein feines Gespür dafür: Welches Verhalten muss ich in diesem Gespräch zeigen, damit ich mein Ziel erreiche? Verfügt eine Person über diese sogenannte Status-Intelligenz nicht, kommt sie beruflich meist nicht weit.
Karl Fries (Name geändert), Seniorconsultant einer IT-Beratung, war begeistert. Der Mann, der ihm gegenüber saß, war ein echter Profi. Klar brachte der Vertriebsleiter eines mittelständischen Maschinenbauers – nennen wir ihn Hubert Prahl – auf den Punkt, welche Erwartungen sein Unternehmen an das neue CRM-System hat. Und ratzfatz entschied er, wie das Projekt zu dessen Einführung strukturiert sein solle – fast so, als gehöre ihm das Unternehmen. „Mit einem Mann, der so selbstbewusst, fachlich fit und gut strukturiert ist, kann man wunderbar zusammen arbeiten“, dachte Fries.
Doch dann öffnete sich die Tür zum Besprechungsraum. Herein schritt eine dynamische Frau, deren Auftritt man sofort entnahm: Das ist die Firmeninhaberin. Schlagartig veränderte sich das Verhalten von Vertriebsleiter Prahl. Sprach er zuvor eher laut und bestimmt, wurden seine Worte nun eher leise und verhalten. Und sagte er zuvor im Gespräch mit Fries „Wir machen das so und so“, sagte er jetzt zur Firmeninhaberin: „Wir haben darüber nachgedacht, ob wir…“.
Etwa vier, fünf Minuten dauerte das Frage-und-Antwort-Spiel. Danach verabschiedete sich die Inhaberin mit der Aussage „Ich sehe, Sie sind auf dem richtigen Weg“, wobei sie sowohl Berater Fries, als auch ihrem Vertriebsleiter ein wohlwollendes Lächeln schenkte.
Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, veränderte sich das Auftreten von Vertriebsleiter Prahl erneut: Seine Körperhaltung straffte sich, seine Stimme wurde wieder bestimmter. Und er fuhr im Gespräch dort fort, wo die beiden endeten, als die Firmeninhaberin den Raum betrat. Berater Fries musste innerlich schmunzeln und dachte: Faszinierend wie schnell und professionell Prahl seine Rollen wechselt. Wüsste ich es nicht besser, könnte man meinen, mir säße eine andere Person gegenüber.
Wie erreiche ich mein Ziel?
Dass Vertriebsleiter Prahl sich im Kontakt mit der Firmenchefin anders als im Kontakt mit dem Berater verhält, ist kein Indiz für ein mangelndes Rückgrat oder Charakterschwäche. Im Gegenteil: Sein Verhalten ist Ausdruck einer besonderen Form der sozialen und emotionalen Intelligenz – der sogenannten Status-Intelligenz. Und diese wird in unserer von einem stets höheren Grad an Komplexität geprägten (Arbeits-)Welt immer wichtiger zum Erreichen unserer Ziele. Denn beruflich und privat stehen wir immer wieder vor der Herausforderung unser Verhalten dem Gegenüber und der Situation anzupassen – wie Prahl.
Wer wird in dem Maschinenbauunternehmen letztlich entscheiden, wie das neue CRM-System gestrickt sein wird und wie dessen Einführung verläuft? Die Firmeninhaberin? Nein! Deren Unterschrift wird zwar unter dem Vertrag stehen, den der Mittelständler unterschreibt. Doch die eigentliche Einkaufsentscheidung trifft ihr Vertriebsleiter. Das ist auch Berater Fries klar.
Warum wird Prahl der eigentliche Entscheider sein? Gerade weil er sich so status-intelligent verhält und der Firmeninhaberin durch sein Verhalten signalisiert: „Chefin, selbstverständlich haben Sie das Sagen!“
Würde er auf seine Kompetenz und seine Befugnisse als Vertriebsleiter pochen und sich eventuell sogar vor Zeugen wie der heimliche Firmenchef gerieren, würde ihm die echte schnell signalisieren: „Halt, so nicht! Ich bin der Boss, nicht du!“ Prahl könnte danach die besten Argumente für die von ihm präferierte Lösung anführen. Seine Chefin würde ihn dennoch eiskalt abblitzen lassen, weil sie sich in ihrer Funktion als Inhaberin nicht ausreichend gewürdigt sähe.
Folglich war Prahls Verhalten nicht nur zielführend: Es war intelligent. Und gewiss wird er es beruflich noch weit bringen.
Stolperdraht Verhaltensunflexibilität
Umgekehrt kommt jemand selten weit, der die Status-Spiele nicht beherrscht. Ein Paradebeispiel hierfür ist Hilde May (Name ebenfalls geändert). Sie verfügt über einen Lebenslauf, der sie eigentlich für Top-Positionen prädestiniert. Ihren BWL-Abschluss machte sie an einer renommierten Business-School. Außerdem erwarb sie einen MBA-Abschluss in den USA. Und sie ist enorm eloquent.
Trotzdem stagniert ihre Karriere seit Jahren. Weil sie die Status-Spiele nicht beherrscht, lebt sie im Dauerkonflikt mit ihren Vorgesetzten und Kollegen. Sie spürt zwar, dass sie nach aussen konsequenter auftreten sollte, schafft es aber innerlich nicht, die dazu notwendige Entschiedenheit und Distanz auf zu bauen. Dadurch wirkt sie verbissen.
Bei ihren Kollegen gilt sie als arrogant und schnippisch. Und bei ihren Chefs als kapriziös, wenig loyal und teamfähig. Und dies nur, weil sie nicht über die erforderliche Status-Intelligenz verfügt, um ihre Ansichten sozial angemessen zu vertreten. Immer wieder suggeriert sie durch ihr Verhalten – unbewusst – ihren Vorgesetzten und Kollegen: Eigentlich nehme ich Sie nicht ernst; faktisch haben Sie wenig Ahnung.
Weil Hilde May beruflich nicht vorwärts kam, wechselte sie schon mehrfach den Arbeitgeber – erfolglos. Immer wiederholte sich dasselbe Spiel. Bereits nach kurzer Zeit hatte sie erneut den Ruf weg: arrogant und schwer integrierbar. Und dies nur, weil sie im Umgang mit Kollegen, Kunden und Vorgesetzten nicht die erforderliche Verhaltensflexibilität zeigte, wodurch es immer wieder zu Reibereien kam und sie sich im Beziehungssystem Unternehmen isolierte.
Welches Verhalten erfordert die Situation?
Dass wir unser Verhalten dem Gegenüber anpassen müssen, beruflich und privat, das ist eigentlich jedem Menschen (unbewusst) klar. Deshalb verhalten wir uns im Kontakt mit Freunden zumeist anders als im Kontakt mit Fremden.
Mit Kindern reden wir anders als mit Erwachsenen, und mit fachlichen Laien kommunizieren wir anders als mit Experten. Doch nicht nur an unser Gegenüber passen wir unser Verhalten an, sondern auch an die Situation. So treten wir einem Polizisten, den wir nach dem Weg fragen, recht selbstbewusst gegenüber. Ertappt uns derselbe Polizist aber bei einer Ordnungswidrigkeit und droht uns eine saftige Strafe an, dann sind wir meist ganz klein und devot.
Ähnlich ist es im Kontakt von Eltern mit ihren Kindern. Haben letztere Probleme, dann beugen wir uns als Vater oder Mutter zu ihnen herab und lauschen ihnen verständnisvoll. Wir begeben uns mit ihnen scheinbar auf eine Ebene. Anders ist es hingegen, wenn sie, obwohl wir es ihnen schon zig Mal sagten, immer noch nicht ihr Zimmer aufgeräumt haben. Dann packt uns die Wut und wir drohen ihnen mit unserer gesamten (verbliebenen) elterlichen Autorität: „Wenn Du jetzt nicht aufräumst, dann…!“
Statusspiel mitspielen
In unserem Alltagsleben können wir gut beobachten, wie sich der Status, den Personen einnehmen, im Verlauf von Gesprächen oft ändert.
Erneut ein Beispiel: Angenommen ein Kind kommt von der Schule nach Hause und gesteht seiner Mutter kleinlaut, dass es in Mathe eine Fünf geschrieben hat. Dann kann der sich daran anschließende Gesprächsverlauf wie folgt aussehen. Die Mutter sagt zunächst zu ihrer Tochter oder ihrem Sohn: „Das überrascht mich nicht. So wenig, wie Du gelernt hast, musste das ja passiert.“ Das heißt, sie nimmt zunächst – wie dies in der Schauspielersprache heißt – den „Hoch-Status“ ein und liest ihrem Kind die Leviten.
Nach einiger Zeit ändert sich jedoch neben ihrem Ton auch ihre Sprache sowie ihre Mimik, Gestik und Körperhaltung, und sie sagt zu ihrem Nachwuchs: „Ich finde es ärgerlich, dass Du …“ „Liegt es eventuell daran, dass …?“ „ Wie kann ich Dir helfen, …?“
Das heißt, sie begibt sich mit dem Kind scheinbar auf eine Ebene. Oder anders formuliert: Sie wechselt in einen tieferen Status (innen „hoch“, spielt aber außen „tief“), um die Ursachen zu erforschen und mit dem Kind eine Lösung zu erarbeiten. Und gegen Ende des Gesprächs wechselt die Mutter erneut in einen höheren Status, indem sie zum Beispiel sagt: „Dass Du mal eine Fünf geschrieben hast, ist kein Beinbruch. Doch ich erwarte von Dir, dass Du künftig …“
Den Status gezielt wechseln
Solche für Gesprächskonstellationen typischen Verläufe kann man auch im Arbeitsalltag immer wieder registrieren – unabhängig davon, ob Kollegen miteinander, Verkäufer mit ihren Kunden oder Führungskräfte mit ihren Mitarbeitern reden.
Hierfür zwei Beispiele: Angenommen ein Abteilungsleiter ist mit der Leistung seiner Mitarbeiter unzufrieden, dann wird er in der Regel im Hoch-Status, der seine Funktion in der Organisation widerspiegelt, in das Gespräch einsteigen und zum Beispiel sagen: „Leute, in dem Projekt X geht es nur schleppend voran. Unsere Aufgabe ist es … Wenn wir so weiter machen, kriegen wir Riesenprobleme!“
Nach dieser mehr oder minder deutlichen Standpauke, ändert er den Status und sagt zu seinen Mitarbeiter zum Beispiel: „Was muss passieren, damit …?“ „Drücke ich mich missverständlich aus?“ „Wie kann ich euch besser unterstützen?“ Das Ziel dabei: die Problemlage ermitteln und eine Lösung erarbeiten. Danach wird die Führungskraft wieder in den Hoch-Status wechseln und sagen: „Also, wir machen das ab jetzt wie besprochen – Erstens: … Zweitens: … Drittens: … Alles klar? Dann zurück an die Arbeit.“
Anders ist die Status-Verlaufskurve, wenn zum Beispiel Mehrarbeit ansteht, und der Chef möchte, dass seine Mitarbeiter Überstunden machen. Dann steht er irgendwann in der Tür und sagt im Tief-Status: „Leute, wir haben ein Problem. Unser Kunde X möchte, dass wir bis morgen Abend … Seid ihr bereit, heute länger zu bleiben?“
Und wenn seine Mitarbeiter zugestimmt haben, wechselt er in den Hoch-Status und sagt zum Beispiel: „Sehr gut! Ich schlage vor – weil die Zeit drängt -, dass Sie, Herr Müller, folgende Aufgabe übernehmen … Sie, Frau Mayer machen …“ Und nachdem die Aufgaben verteilt sind, wechselt er erneut in einen tieferen Status und sagt: „Nochmals Danke, dass ihr länger bleibt. Das rechne ich euch hoch an.“
Das Statusspiel lässt sich lernen
Ob Führung gelingt, hängt immer auch davon ab, inwieweit eine Führungskraft das Status-Spiel beherrscht. Denn was würde passieren, wenn eine Führungskraft, wenn kurzfristig Überstunden anfallen, im absoluten Hoch-Status verkünden würde: „Leute, Ihr müsst heute Abend länger bleiben – Punkt aus, basta“?
Die Mitarbeiter würden zumindest innerlich rebellieren und denken: Der kann mich mal. Entsprechend mies wäre die Stimmung und entsprechend schlecht die Arbeitsmoral.
Und was würde passieren, wenn die Führungskraft, nachdem die Mitarbeiter ihre Bereitschaft zum Bleiben bekundet haben, nicht in den Hoch-Status wechseln würde? Dann würden die Mitarbeiter ebenfalls murren: „Wenn wir schon länger bleiben müssen, weil es Dringendes zu erledigen gibt, dann sollte uns der Chef wenigstens klare Anweisungen geben. Sonst sitzen wir noch heute Nacht um 2 Uhr hier.“
Aus den Status-Verlaufskurven von Gesprächen kann man denn auch – losgelöst vom Inhalt – vielfach entnehmen, wie erfolgreich diese waren. Entsprechend wichtig ist es für den beruflichen Erfolg, das Status-Spiel zu beherrschen. Und das Erfreuliche ist: Man kann es lernen – ähnlich wie dies Schauspieler während ihrer Ausbildung tun, damit sie in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen können.
Ein erster Schritt in diese Richtung ist es, bei anderen Personen – zum Beispiel erfolgreichen Verkäufern oder Führungskräften – zu analysieren: Wie verhalten sie sich in bestimmten Situationen? Wie sieht ihr Status-Spiel aus, wenn sie das Ziel X erreichen möchten?
Im zweiten Schritt kann man dann ermitteln: Wie ist mein eigenes Statusspiel? Wann wäre ein anderes Spiel sinnvoll, weil das bisherige nicht zielführend ist?
Und sind die Schwachstellen ermittelt, dann heißt es üben, üben und nochmals üben – ähnlich wie dies ein Schauspieler tut, bis er eine Rolle sozusagen wie im Schlaf beherrscht.
Doch Vorsicht! Das Ziel hierbei ist nicht, einen Text oder eine Rolle zu lernen. Dies wäre ein Leichtes. Das Ziel ist vielmehr zu lernen, sich gezielt in die Emotionen zu versetzen, die die jeweilige Rolle sowie Situationen erfordern. Denn nur, wenn sich in unserem Tun und Verhalten unsere innere Haltung widerspiegelt, wirken wir authentisch und somit glaubwürdig. Das heißt, wir und unsere Botschaften kommen an.

Über den Autor
Tom Schmitt arbeitet als Managementberater und Trainer für die Unternehmensberatung Kraus & Partner in Bruchsal. Der Diplom-Pädagoge sowie ausgebildete Schauspieler schrieb mit Michael Esser das Buch „Status-Spiele: Wie ich in jeder Situation die Oberhand behalte“.
Paul
Sehr guter Artikel um über sein eigenes Auftreten und das Selbstbild vs. Fremdbild nachzudenken.
meinbrennpunkt
Ich bin begeistert von diesem Artikel, da ich mir selbst schon längere Zeit darüber Gedanken mache, wie ich auf andere wirke. Wenn ich nun die Beispiele lese, kann ich mich da ziemlich gut einordnen und habe auf jeden Fall Änderungspotential entdeckt ;-)
Thomas
Das ist sozusagen die Professionalisierung des Fußatmens.
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DS
Das ist absolut einer der besten Artikel auf Karrierebibel.de!
Weiter so.
Hier wird der Grund beschrieben, warum Personaler mittlerweile ihre zukünftigen Mitarbeiter aufgrund ihrer Status-Intelligenz auswählen und die fachlichen Fähigkeiten mittlerweile in den Hintergrund gerückt sind.
Die fachlichen Kompetenzen sind mit Abstand schneller zu erlernen als die im Artikel beschriebenen “Chamäleon-Fähigkeiten”, wie ich sie nenne.
Gerade in technischen Berufen ist es unglaublich schwer, technisch versierte Mitarbeiter zu finden, die gleichzeitig dieses Gespür für Person und Situation in sich vereinen.
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Nicolas vom Gentleman-Blog
Eine wunderbarer, intelligenter und inspirierender Artikel. Nicht nur unsere Leben ist im ständigen Fluss, unsere menschlichen Beziehungen sind es auch!
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