In der Psychologie gibt es seit den Achtziger Jahren eine interessante Hypothese, die davon ausgeht, dass wir alle manipulieren – und zwar jederzeit. Das Baby manipuliert seine Eltern mit Geschrei, damit sie ihm Essen geben; Eltern manipulieren ihre Kinder durch Belohnung oder Strafe, damit sie machen, was sie sollen; Liebende manipulieren einander durch Zuwendung oder Liebesentzug. Und selbst dieses Wechselbad der Gefühle ist sogar insgesamt Manipulation, um die Liebe interessant zu halten. In Freundschaften, in der Freizeit, im Büro – überall setzt sich das fort. So gesehen ist selbst dieser Beitrag ein Manipulationsversuch: Ich schreibe einen neuen Text, in der Hoffnung, dass Sie ihn lesen – und mir wiederum dafür Aufmerksamkeit widmen. Kurz gesagt: Glaubt man der Hypothese, tun wir nichts ohne Berechnung, ohne Motiv. Das heißt nicht, dass uns das ständig bewusst wäre, aber eine Kalkulation steckt dahinter.

Anfangs hat mich diese These überhaupt nicht überrascht, geht sie doch vom Schlechten im Menschen aus, der nichts aus freien Stücken tut und schon gar nicht, ohne etwas dafür zurück zu bekommen. Geben und Nehmen sind ständig um Balance bemüht, erreichen sie aber nie. So geht das Spiel immer weiter. So funktioniert Kapitalismus. So funktioniert sogar das moderne Netzwerken 2.0 in Clubs wie Myspace, Facebook oder Xing: Jeder knüpft möglichst viele Kontakte – wer weiß, wozu es einmal gut ist. Freundschaftspflege aus Kalkül. Wer den Gedanken zulässt, entdeckt tatsächlich, wie viele Menschen andere und uns selbst manipulieren: Selbst der Gutmensch ist am Ende nur gut, damit er Anerkennung erzielt oder ein Erleichterung für sein Gewissen. Und warum reden Menschen am liebsten über sich, ihre Taten, Erfolge, Erlebnisse? Womöglich weil sie nach Wertschätzung gieren, nach Zuwendung, Liebe – vielleicht sogar nach Sex.

Inzwischen gibt es einige Psychologen, die von dieser Idee abrücken. Sie sagen: Ja, es wird viel manipuliert, aber nicht alles ist bewusste Beeinflussung. Wahrscheinlich war ihnen die erste Hypothese zu beängstigend. Aber was, wenn es stimmt? Was wenn Selbstlosigkeit nur eine Illusion ist – und dieser Beitrag bloße Manipulation?