Letzte Woche gab es viel Aufregung um eine Studie des DIW, die den Arbeitgebern so gar nicht willkommen war. Demnach gäbe es gar keinen Fachkräftemangel – wie die Industrie behauptet. Der Autor der Studie, Karl Brenke, führt an, dass etwa im Bereich Maschinenbau die Absolventenzahlen auch dauerhaft so gut seien, dass der Bedarf langfristig mehr als gedeckt sein dürfte. „Ich sehe, dass wir gerade im naturwissenschaftlich-technischen Bereich und im Ingenieurswesen in einem Maße ausbilden, dass wir in kurzer Zeit die Studienabsolventen gar nicht auf dem deutschen Arbeitsmarkt unterbringen werden.“
Könnte es sein, dass sich da Wunschdenken der Industrie in ihren Nachwuchssorgen spiegelt? Aber ja! Noch nie gab es einen wirklichen Fachkräftemangel. Es gibt lediglich zeitweise gefragtere Fachkräfte, die in der glücklichen Lage sind, zwischen mehreren Jobangeboten wählen zu können. Das betrifft aber nur jene winzig kleine Minderheit von Menschen bei denen (zeitweise) alles stimmt: Ausbildung, Erfahrung, Kenntnisse, Aktualität der Kenntnisse, Persönlichkeit, Alter, Gehaltsniveau. Die Mehrzahl der Fachkräfte, auch in den MINT-Berufen, sucht nach wie vor lange nach neuen Jobs. Das hat verschiedene Ursachen.
Nicht gesuchte Fachkräfte
Es gibt in vielen Bereichen einen klaren Fachkräfte-Überschuss. Zu viele Bewerber finden sich nach wie vor in der HR, im Marketing und der Unternehmenskommunikation. Beispiel: 40 Bewerbungen, keine Einladung bei einer Marketingmitarbeiterin. Oder: 300 Bewerbungen auf eine Pressereferentenstelle.
Wer von Fachkräften spricht meint sicher nicht solche, sondern Wirtschaftsinformatiker, Informatiker, Ingenieure bestimmter Disziplinen wie Maschinenbau sowie manche Mathematiker und Physiker sowie manche Naturwissenschaftler. Wer dagegen pauschal Naturwissenschaftler als gesuche Spezies deklariert, vergisst, dass es eine Zwei-Klassen-Gesellschaft unter den Absolventen gibt. Zur zweiten Klasse gehören Biologen, Chemiker ohne Doktortitel, Geologen etc.
Jung, gut und erfahren müssen sie sein
Aber auch in den gefragten MINT-Berufen gibt es hop und top. Top: Eine aktuell ausgebildete und junge Informatikerin mit Berufserfahrung in einem gefragten Bereich bekommt auf 10 Bewerbungen wahrscheinlich 8 oder sogar 9 Vorstellungsgespräche. Flop: Ein ebenfalls junger Informatiker, der zwei Jahre in einer Behörde gearbeitet hat, in einem Umfeld, wo er nicht das aktuellste Wissen aufbauen konnte.
Was gesucht ist, verändert sich
Es gibt gesuchte und weniger gesuchte Qualifikationen unter den Fachkräften, wiederum auch in den MINT-Berufen. Und welche Themen gerade gefragt sind, verändert sich ständig. Derzeit punktet man mit Business Intelligence. Doch wie lang? So lange bis sich ein neues Thema abzeichnet oder sich genügend Menschen in diesem Bereich qualifiziert haben.
Die Sache mit dem Alter
„Für Sie haben wir nichts“, sagte der Fallmanager meinem Kunden. Und das ist spezifisch. Alle, die sich in ihrer Fachtätigkeit, auch in MINT, weit über die 60.000 Euro-Jahresgrenze entwickelt haben, finden nur dann etwas Neues wenn sie a.) eine zufällig gerade sehr gesuchte Qualifikation haben, b.) sie in einer zufällig gerade boomenden Branche arbeiten oder c.) neben Fach- auch Methodenwissen da ist.
Fazit: Herr Brenke hat recht. Es gibt derzeit keine wirklichen Mängelbereiche, nur Bereiche, in denen ein bestimmter Bewerbertyp – entweder Jung und spezialisiert oder mittelalt und mit Branchenwissen ausgestattet – derzeit eine hohe Einladungsquote zum Vorstellungsgespräch hat. Und es gibt Arbeitgeber, die am liebsten den perfekten Bewerber hätten, in den gefragten Bereichen aber Abstriche machen müssen. Übrigens: Die einfachsten Maßnahmen bei akutem Bedarf kosten kaum etwas und verlangen kein Anwerber ausländischer Arbeitnehmer: 1. schlechter Qualifizierte qualifizieren, 2. ausländische Abschlüsse anerkennen. Mir jedenfalls begegnen eine Menge Menschen in MINT- Berufen, die nur den einen Makel haben: Ihr Abschluss ist bei uns nichts wert.
Sehr häufig wird der demographische Wandel als Ursache für zukünftigen Fachkräftemangel angeführt. Die Einwohnerzahl in D wird bis 2050 um ca. 10 Mio. abnehmen. Damit nimmt der verfügbare Pool an Mitarbeitern ab. Nur entsteht daraus auch ein Fachkräftemangel?
Schrumpfende Einwohnerzahlen in D bedeuten auch schrumpfende Märkte in D. Allein deshalb wird auch der Bedarf an Mitarbeitern entsprechend abnehmen.
Auch die aktuellen Handelsüberschüsse werden sich nicht dauerhaft fortschreiben lassen. Und schließlich werden die globalen Unternehmen auch ihre F&E und Marketing-Zentralen stärker in die Boomregionen verlagern.
Neben der sinkenden Nachfrage auf dem Heimatmarkt (gilt auch für den europäischen Markt) wird auch die Globalisierung von F&E und Marketingaktivitäten den Bedarf an Fachkräften mindestens an die schrumpfende Bevölkerungszahl anpassen.
Hallo Herr Briegert,
hinzu kommt die fortschreitende Globalisierung und Technisierung. Lese gerade das Buch von Guenter Dueck “Aufbrechen. Warum wir eine Exzellenzgesellschaft brauchen”. Er beschreibt hier das Ende der Dienstleistungsgesellschaft – und eine Konsequenz ist ganz sicher, dass bisher bekannte Jobs wegfallen. Auch ein Teil der derzeit gesuchten. LG Svenja Hofert
Ein sehr gut geschriebener Artikel. Wie Sie vollkommen richtig vermuten, bezieht sich der “Mangel” nur in dem sehr engen Bereich von Mint-Spezialisten zwischen 30 und 35Jahren. Dies zeigt ein kurzer Blick in die Anforderungen bei den Jobbörsen: 5Jahre Berufserfahrung sind gefordert – nicht mehr. Diese Personen sind noch billig genug. Vielfach stammen diese Angebote auch nur von Zeitarbeitsfirmen, die anderen Aufträge abjagen könnten und damit nur Jobs auf andere Personen verlagern würden, aber keine ZUSÄTZLICHE Stelle haben. Alles eine Fatamorgana. So wie es der DIW beschrieben hat
Danke für die Beiträge, die alle ihre Berechtigung haben; ich möchte nur auf den Passus Fazit eingehen.
So einfach ist es in der Praxis nicht, wenn weitere Aspekte davon betroffen sind;
1. es ist schlichtweg unmöglich, das was in 40 Jahren verpennt wurde, in wenigen Jahren nachzuholen
(ich erinnere an die sog. Schweinezyklen-Diskussionen, die *’wir’* bereits das hundertste Mal führen,
aber immer wieder noch nicht auf BREITER BASIS verinnerlicht bzw. umgesetzt haben
das hat mit geisteswissenschaftlichem Erfahrungswissen zu tun…
http://.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/ProduktionsfaktorMitLangerLieferzeit_weiterbildungsblog_de
http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/BevoelkerungsentwicklungD_wikipedia_org
http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/WolfgangFranz_zew_de
http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/Hochzeit_wikipedia_org
http://ed.iiQii.de/gallery/search.php?searchstring=schweinezyk
http://ed.iiQii.de/gallery/search.php?searchstring=demograph
Wie immer warne ich vor eindimensionalen Erklärungs-/Lösungs-Versuchen!
Neurobiologisch lässt sich die sog. psychologische Diskrepanz zwischen linearer Wahrnehmung und exponentiellen Vorgängen
recht plausibel erklären:
http://ed.iiQii.de/gallery/Die-iiQii-Philosophie/GerdEisenbeiss_fv_sonnenenergie_de
http://ed.iiQii.de/gallery/VictimsOfGroupThink/DanielGilbert_danielgilbert_com
2. in KMU Unternehmen helfen (leider) ausländische Abschlüsse nicht unbedingt weiter, weil Geschäftspartner, Kunden etc. nicht von heute auf morgen alle englisch-globalisiert sind
3. die Werte und die Gesellschaft ändern sich, vgl.
http://www.faz.net/s/RubEC1ACFE1EE274C81BCD3621EF555C83C/Doc~ED6D8568ECE6E452682C308FC37D9C56D~ATpl~Ecommon~Scontent.html
4. Nachfrage und Binnenkonsum und Export von hochqualifizierten Dienstleistungen & Hochqualitäts-Produkten sind durchaus verschiedne Dinge
und können sich entgegengesetzt verhalten
Innovative Grüße,
EF
Hinsichtlich der Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Qualifikationen sollte ggf. noch klargestellt werden, daß diese Abschlüsse bei uns in Deutschland formal nichts wert sind. Es gibt indes auch zuhauf die Situation, daß auch deutsche Abschlüsse auf dem deutschen Arbeitsmarkt nichts wert sind; und zwar im faktischen Sinne. Ich selbst kann als davon Betroffener wahrlich “ein Lied davon singen.”
In der deutschen Wirtschaft werden derzeit 38.000 IT-Experten gesucht. Im Vergleich zum Vorjahr ist die Zahl der freien IT-Arbeitsplätze um 10.000 angestiegen, ein Zuwachs um 36 Prozent. Das ist das Ergebnis einer Studie, für die das Meinungsforschungsinstitut Aris 1.500 Geschäftsführer und Personalleiter von Unternehmen unterschiedlicher Branchen befragt hat. Die Studie wurde vom IT-Branchenverband Bitkom in Auftrag gegeben.
Softwareentwickler:
http://www.golem.de/1110/87203.html
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