Das Wetter allein kann der Grund nicht sein. Warum liegt der Quotient für die berufliche Zufriedenheit in Holland bei 80, in Deutschland aber nur bei 64% – und damit am Ende der europäischen Skala? Diese Frage stellte ich mir beim Blick auf eine neue Studie von Linkedin.com, aufbereitet unter anderem bei Media-Treff. Ist es die Gute-Laune-Mentalität? Bekommen wir hierzulande doch leicht den Eindruck, unser Nachbarland bestünde nur aus jederzeit fröhlichen Holländern wie Linda de Mol oder Sylvie van der Vaart?
Der Dieter als Holländer
Kann sich jemand Dieter Bohlen als Holländer vorstellen? Eher nicht: Seine Scherze verlören schon durch den Dialekt an Schärfe. Diese Schärfe, meist über die Grenzen des guten Geschmacks hinausschießend und jenseits eines weisen Lebens-Sarkasmus liegend, ist sehr deutsch. Möglicherweise ein Grund dafür, dass unser Humor, der sich auch im bitterbösen Stefan Raab spiegelt, kein mediales Exportgut ist.
Berufsoptimisten versus Zweifler
Doch was hat das jetzt mit der Realität im Arbeitsleben zu tun? Ich behaupte: Eine Menge. In den letzten Jahren beriet ich einige niederländische Kunden, die in deutschen Firmen arbeiteten; und umgekehrt. Ich hatte nie so viel Freude wie mit den Niederländern. Sie waren immer optimistisch, immer offen, immer positiv und begeistert dabei, Tipps anzunehmen (während Deutsche gerne alles in Frage stellen: “geht das? wirklich? mein Freund sagt…”).
Arbeiteten sie in deutschen Firmen, klagten sie öfter über Anpassungsschwierigkeiten. Schon in den Vorstellungsgesprächen war Verständigung nicht nur eine sprachliche Frage. Das fröhliche „Wir“ und die legere Haltung (von der Körperhaltung zum Outfit) irritiert den bisweilen stocksteifen Deutschen.
Ein Lob auf das WIR
Holland und Deutschland – beides sind individualistische West-Kulturen. Doch: Während den Niederländer ein offenes und fröhliches Wesen kennzeichnet, der seinen Individualismus auch mit anderen ausleben kann (siehe Sylvie), ist der Deutsche bisweilen durch eine Betonung des “Ich” in Abgrenzung zum Wir geprägt (Vetorecht Bohlen bei Das Supertalent). Unter Teamarbeit versteht er gemeinsame Kantinenbesuche, bei denen zwei über einen Kollegen lästern. Der Glauben, dass die Unternehmen von Teams sprechen, aber in Wahrheit strebsame Karriereautisten nach oben beförderten, hält sich in deutschen Landen beharrlich. Die Job-Anforderung Teamfähigkeit, ist in 90% aller deutschen Anzeigen ein Platzhalter für das große weite Nichts an Bedeutung. Das erschüttert gerade junge Berufseinsteiger, die sich bei der Formulierung ihrer Anschreiben noch den Kopf darüber zerbrechen, wie sie ihre Wir-Orientierung verbal beweisen können.
Hilfe, Karriereautisten
Jüngere Leute, die überall vom Wandel der Arbeitswelt lesen, stellen sich selbst mehr vom Berufsleben vor, als sich älteren Kollegen unterzuordnen, deren Karriereanker „Sicherheit“ lautet, was mehr oder weniger automatisch zu einem Dienst nach Vorschrift-Verhalten führt und in einen offensichtlichen Karriereautismus führt. Auch bei denen, die Karriere machen mit Besitzstandswahren verwechseln.
Entsetzt stellt die durch Projektarbeit geprägte Jugend fest, dass in deutschen Firmen die Karriereautisten-Strategie „Informationen abschotten“ eine bewährte und höchstoberst gedeckte Methode ist. Austausch und Miteinander: da reden wir drüber, wenn die Personalabteilung zuguckt – aber unter uns ist das unerwünscht. Gleichzeitig herrscht in der konservativen deutschen Normalfirma das typisch westliche Gleichheitsdenken: Hierarchien sind da, aber akzeptiert sind die Oberen nicht. Das erlaubt es jedem, Vorgesetzte insgeheim für blöd zu halten und die Entscheidungen von oben für bekloppt.
Gegen die Obrigkeit
Die Ursache für dieses Verhalten mag auf eine heidnische Prägung und den germanischen und gallischen Kampf gegen die Obrigkeit der Römer zurückzuführen sein. Der Schlaue, siehe Asterix, ist immer ein Underdog. Sein Glaubenssatz: “Cheffe muss es formaltechnisch geben, aber ich weiß es im Grunde besser.”
Das Einzelkämpfertum allerdings kann nicht allein auf die Germanen zurückzuführen sein. Ich sehe es als die Folge einer jahrelangen Frontalkultur, deren schicksalshafter Lauf in der bundesdeutschen Schule, und hier vor allem im bundesdeutschen Gymnasium begann. Insofern dürfte ordentlich Wind in die Unternehmen kommen, wenn die Teamlerner, die derzeit an Schulen und Unis großwerden, in die Unternehmen kommen. Beim letzten Elternsprechtag konnte ich an so einer ollen staatlichen Schule live bewundern, was Stationenlernen heißt: Lehrer go home. Chef go home – eine logische Konsequenz, mit der sich deutsche Firmen wohl ebenso bald auseinandersetzen müssen wie mit der Forderung nach echter Gemeinschaft statt Lästerrunde.
Alt auf neu
Viel Unzufriedenheit entsteht gerade in traditionellen deutschen Unternehmen, weil alt auf neu trifft. Der Kontrast ist in Deutschland größer als bei unseren Nachbarn, weil es bei uns immer schon weniger „wir“ und mehr „ich“ gab. Die konkurrenzorientierte Ich-Kultur ist eine des Informationsverdeckens, Ellenbogenboxens, Selbstdarstellens und ständigen Suchens nach dem eigenen Vorteil. Als Leistungsaffinität interpretieren das einige. „Wir-Kulturen“ wie die holländische sind keineswegs weniger leistungsorientiert, aber messen im Unterschied zu uns den Erfolg auch am gemeinsamen Ergebnis. Das führt möglicherweise direkt dazu, dass sich die Menschen wohler fühlen – und beruflich glücklicher sind. Und jetzt raten Sie mal, wer zufriedener mit seinem Leben ist: Sylvie van der Vaart oder Dieter Bohlen?
Wer in einer Firma arbeitet, in der es drunter und drüber geht … wo die linke Hand nicht weiß, was dir rechte tut … wo ein Chef den nächsten jagt … wo es hinten und vorne an Material und Ressourcen fehlt … wo Tyrannen und Duckmäuser den Mitarbeiterstamm bilden – ist Übellaunigkeit eine gesunde Reaktion auf die Zustände. Oder? Gute Laune als per se das Beste anzupreisen, halte ich für verfehlt. Umgekehrt ist Unzufriedenheit ein hervorragender Antrieb für effektive Veränderungen.
Stimmt, Kollege. Aber wollen wir nicht alle lieber in einer Athmosphäre arbeiten, in der es um übergeordnete Ziele, Gemeinsamkeiten, Gerechtigkeit und Fairness geht? Ist doch klar, dass das die Laune hebt. Und schön wär´s, wenn das Gegenteil automatisch Veränderungsbereitschaft auslöste… kann auch direkt into Schockstarre führen. LG Svenja Hofert
Wenn Unzufriedenheit automatisch zu Verbesserungen führen würde, müsste ich keine Bücher darüber schreiben – da haben Sie natürlich völlig Recht
Schon wieder dieser sentimentale Unsinn von Freiberuflern, die nie ein richtiges Unternehmen von innen sehen. Die einzige Aufgabe eines Teams ist es, ein soziales oder technisches Re-Engineering umzusetzen, indem die Anzahl der Alternativen erhöht wird. Dies funktioniert nicht mit weich gespülten Dogmatikern. Die neuen Lernmethoden in Schulen und Univeritäten sind dafür da, um die Anzahl der Abiturienten und Studenten zu erhöhen. Wir können die Gefühlsmenschen nicht mehr in die Hauptschule abschieben. PS: Woher wollen Sie wissen, wie zufrieden Dieter Bohlen oder Silvie van der Vaart sind?